Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.verstand sie, einige Wochen darauf war sie verheirathet. Ein Jahr später starb sie im Kindbette. Den Schmerz dieser Geschichte kann man fühlen, wenn man nur ein Herz hat; aber die ganz eigenthümliche heilige Weihe, die auf ihr liegt, versteht man nur, wenn man dabei Wilsons lächelnde Resignation auf einem hinreißend einnehmenden Antlitze sieht, wie er fast beschämt, fast jungfräulich sein Auge niederschlägt und eine Thräne nicht zu bemerken scheint, die ihm zwischen seinen schwarzen Augenwimpern hängen bleibt! Wilson ist jetzt seit zwanzig Jahren verheirathet. Es war Pflicht der Dankbarkeit, die ihn bestimmte, einem Frauenzimmer seine Hand zu geben, das ihn anbetete (er war schön), und das ihn doch verschmähte. Ein eignes Verhältniß! Sophiens Eltern waren einfach genug, aber sie zogen eine ansehnliche Pension, die sie durch irgend einen Zufall mit der von Wilson nur mühsam ernährten Passamentirfamilie theilten. Dieß edle Verhältniß währte lange Zeit hindurch. Wilson bekam freie Hand. Er warf sich auf die Kaufmannschaft und trat, durch seine Kenntnisse und seine imponirende Gestalt empfohlen, sogleich in eine große Handlung ein. Für seine Eltern war gesorgt. Sophie wurde darüber dreißig Jahr: es verstand sich von selbst, daß Wilson die stillschweigende Verpflichtung hatte, sie zu heirathen. Sie sträubte sich, weil sie einen starken, fast männlichen Charakter hatte. Er, weil er sie nicht lieben konnte. Endlich verbanden sie sich, ohne Rücksprache, ohne vor dem Altar sich verstand sie, einige Wochen darauf war sie verheirathet. Ein Jahr später starb sie im Kindbette. Den Schmerz dieser Geschichte kann man fühlen, wenn man nur ein Herz hat; aber die ganz eigenthümliche heilige Weihe, die auf ihr liegt, versteht man nur, wenn man dabei Wilsons lächelnde Resignation auf einem hinreißend einnehmenden Antlitze sieht, wie er fast beschämt, fast jungfräulich sein Auge niederschlägt und eine Thräne nicht zu bemerken scheint, die ihm zwischen seinen schwarzen Augenwimpern hängen bleibt! Wilson ist jetzt seit zwanzig Jahren verheirathet. Es war Pflicht der Dankbarkeit, die ihn bestimmte, einem Frauenzimmer seine Hand zu geben, das ihn anbetete (er war schön), und das ihn doch verschmähte. Ein eignes Verhältniß! Sophiens Eltern waren einfach genug, aber sie zogen eine ansehnliche Pension, die sie durch irgend einen Zufall mit der von Wilson nur mühsam ernährten Passamentirfamilie theilten. Dieß edle Verhältniß währte lange Zeit hindurch. Wilson bekam freie Hand. Er warf sich auf die Kaufmannschaft und trat, durch seine Kenntnisse und seine imponirende Gestalt empfohlen, sogleich in eine große Handlung ein. Für seine Eltern war gesorgt. Sophie wurde darüber dreißig Jahr: es verstand sich von selbst, daß Wilson die stillschweigende Verpflichtung hatte, sie zu heirathen. Sie sträubte sich, weil sie einen starken, fast männlichen Charakter hatte. Er, weil er sie nicht lieben konnte. Endlich verbanden sie sich, ohne Rücksprache, ohne vor dem Altar sich <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0036" n="8"/> verstand sie, einige Wochen darauf war sie verheirathet. Ein Jahr später starb sie im Kindbette.</p> <p>Den Schmerz dieser Geschichte kann man fühlen, wenn man nur ein Herz hat; aber die ganz eigenthümliche heilige Weihe, die auf ihr liegt, versteht man nur, wenn man dabei Wilsons lächelnde Resignation auf einem hinreißend einnehmenden Antlitze sieht, wie er fast beschämt, fast jungfräulich sein Auge niederschlägt und eine Thräne nicht zu bemerken scheint, die ihm zwischen seinen schwarzen Augenwimpern hängen bleibt! Wilson ist jetzt seit zwanzig Jahren verheirathet. Es war Pflicht der Dankbarkeit, die ihn bestimmte, einem Frauenzimmer seine Hand zu geben, das ihn anbetete (er war schön), und das ihn doch verschmähte. Ein eignes Verhältniß! Sophiens Eltern waren einfach genug, aber sie zogen eine ansehnliche Pension, die sie durch irgend einen Zufall mit der von Wilson nur mühsam ernährten Passamentirfamilie theilten. Dieß edle Verhältniß währte lange Zeit hindurch. Wilson bekam freie Hand. Er warf sich auf die Kaufmannschaft und trat, durch seine Kenntnisse und seine imponirende Gestalt empfohlen, sogleich in eine große Handlung ein. Für seine Eltern war gesorgt. Sophie wurde darüber dreißig Jahr: es verstand sich von selbst, daß Wilson die stillschweigende Verpflichtung hatte, sie zu heirathen. Sie sträubte sich, weil sie einen starken, fast männlichen Charakter hatte. Er, weil er sie nicht lieben konnte. Endlich verbanden sie sich, ohne Rücksprache, ohne vor dem Altar sich </p> </div> </body> </text> </TEI> [8/0036]
verstand sie, einige Wochen darauf war sie verheirathet. Ein Jahr später starb sie im Kindbette.
Den Schmerz dieser Geschichte kann man fühlen, wenn man nur ein Herz hat; aber die ganz eigenthümliche heilige Weihe, die auf ihr liegt, versteht man nur, wenn man dabei Wilsons lächelnde Resignation auf einem hinreißend einnehmenden Antlitze sieht, wie er fast beschämt, fast jungfräulich sein Auge niederschlägt und eine Thräne nicht zu bemerken scheint, die ihm zwischen seinen schwarzen Augenwimpern hängen bleibt! Wilson ist jetzt seit zwanzig Jahren verheirathet. Es war Pflicht der Dankbarkeit, die ihn bestimmte, einem Frauenzimmer seine Hand zu geben, das ihn anbetete (er war schön), und das ihn doch verschmähte. Ein eignes Verhältniß! Sophiens Eltern waren einfach genug, aber sie zogen eine ansehnliche Pension, die sie durch irgend einen Zufall mit der von Wilson nur mühsam ernährten Passamentirfamilie theilten. Dieß edle Verhältniß währte lange Zeit hindurch. Wilson bekam freie Hand. Er warf sich auf die Kaufmannschaft und trat, durch seine Kenntnisse und seine imponirende Gestalt empfohlen, sogleich in eine große Handlung ein. Für seine Eltern war gesorgt. Sophie wurde darüber dreißig Jahr: es verstand sich von selbst, daß Wilson die stillschweigende Verpflichtung hatte, sie zu heirathen. Sie sträubte sich, weil sie einen starken, fast männlichen Charakter hatte. Er, weil er sie nicht lieben konnte. Endlich verbanden sie sich, ohne Rücksprache, ohne vor dem Altar sich
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Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/36>, abgerufen am 16.02.2025. |