Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.zu unterhalten gewußt hat. Die erste Bedingung dieser Repräsentation war die vollkommene Gleichstellung mit den Vorzügen und Virtuositäten des französischen Lebens. Pozzo di Borgo kannte das Terrain, die Menschen und die Verhältnisse, und hat mit außerordentlicher Begabung Rußlands Jnteressen gegen die Undankbarkeit der Restauration, gegen die Feindseligkeit der Parteien, gegen die Julirevolution und die Umtriebe der polnischen Flüchtlinge zu vertreten gewußt. Pozzo di Borgo fiel, vielleicht weil er den Begriff der russischen Diplomatie zu fein, vielleicht aber auch, weil er ihn zu formell aufgefaßt hatte. Pozzo di Borgo hatte sich so weit in die pariser Tagsdebatte eingelassen und dadurch Rußland in so nahe Berührung mit dem Gewirr der Parteien gebracht, daß sich Petersburg nach Paris versetzt glauben mußte, daß man beinahe hätte annehmen sollen, in Paris existirte eine vollkommen organisirte russische Politik und Journalistik. Es kam fast bis zum Scandal. Rußland war immer im Vorgrunde, Rußland war eben so erhitzt, jähzornig, eilfertig, eben so passionirt für die kleine Jntrigue, wie Thiers und die Tuilerien. Rußland besticht, Rußland besoldet, Rußland schreibt sogar in pariser Blättern; man mußte dieß glauben, wenn man auch nur die Schatten des Gerüchts und die dabei handelnden Figuren nicht leibhaft sah. Was soll man glauben: wurde Herr Löwe-Weimars, der plötzlich aus den kleinen Streitigkeiten der Journalistik nach Petersburg ging, um von dort eine bessere Meinung über Rußland zu verbreiten zu unterhalten gewußt hat. Die erste Bedingung dieser Repräsentation war die vollkommene Gleichstellung mit den Vorzügen und Virtuositäten des französischen Lebens. Pozzo di Borgo kannte das Terrain, die Menschen und die Verhältnisse, und hat mit außerordentlicher Begabung Rußlands Jnteressen gegen die Undankbarkeit der Restauration, gegen die Feindseligkeit der Parteien, gegen die Julirevolution und die Umtriebe der polnischen Flüchtlinge zu vertreten gewußt. Pozzo di Borgo fiel, vielleicht weil er den Begriff der russischen Diplomatie zu fein, vielleicht aber auch, weil er ihn zu formell aufgefaßt hatte. Pozzo di Borgo hatte sich so weit in die pariser Tagsdebatte eingelassen und dadurch Rußland in so nahe Berührung mit dem Gewirr der Parteien gebracht, daß sich Petersburg nach Paris versetzt glauben mußte, daß man beinahe hätte annehmen sollen, in Paris existirte eine vollkommen organisirte russische Politik und Journalistik. Es kam fast bis zum Scandal. Rußland war immer im Vorgrunde, Rußland war eben so erhitzt, jähzornig, eilfertig, eben so passionirt für die kleine Jntrigue, wie Thiers und die Tuilerien. Rußland besticht, Rußland besoldet, Rußland schreibt sogar in pariser Blättern; man mußte dieß glauben, wenn man auch nur die Schatten des Gerüchts und die dabei handelnden Figuren nicht leibhaft sah. Was soll man glauben: wurde Herr Löwe-Weimars, der plötzlich aus den kleinen Streitigkeiten der Journalistik nach Petersburg ging, um von dort eine bessere Meinung über Rußland zu verbreiten <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0359" n="331"/> zu unterhalten gewußt hat. Die erste Bedingung dieser Repräsentation war die vollkommene Gleichstellung mit den Vorzügen und Virtuositäten des französischen Lebens. Pozzo di Borgo kannte das Terrain, die Menschen und die Verhältnisse, und hat mit außerordentlicher Begabung Rußlands Jnteressen gegen die Undankbarkeit der Restauration, gegen die Feindseligkeit der Parteien, gegen die Julirevolution und die Umtriebe der polnischen Flüchtlinge zu vertreten gewußt. Pozzo di Borgo fiel, vielleicht weil er den Begriff der russischen Diplomatie zu fein, vielleicht aber auch, weil er ihn zu formell aufgefaßt hatte. Pozzo di Borgo hatte sich so weit in die pariser Tagsdebatte eingelassen und dadurch Rußland in so nahe Berührung mit dem Gewirr der Parteien gebracht, daß sich Petersburg nach Paris versetzt glauben mußte, daß man beinahe hätte annehmen sollen, in Paris existirte eine vollkommen organisirte russische Politik und Journalistik. Es kam fast bis zum Scandal. Rußland war immer im Vorgrunde, Rußland war eben so erhitzt, jähzornig, eilfertig, eben so passionirt für die kleine Jntrigue, wie Thiers und die Tuilerien. Rußland besticht, Rußland besoldet, Rußland schreibt sogar in pariser Blättern; man mußte dieß glauben, wenn man auch nur die Schatten des Gerüchts und die dabei handelnden Figuren nicht leibhaft sah. Was soll man glauben: wurde Herr Löwe-Weimars, der plötzlich aus den kleinen Streitigkeiten der Journalistik nach Petersburg ging, um von dort eine bessere Meinung über Rußland zu verbreiten </p> </div> </body> </text> </TEI> [331/0359]
zu unterhalten gewußt hat. Die erste Bedingung dieser Repräsentation war die vollkommene Gleichstellung mit den Vorzügen und Virtuositäten des französischen Lebens. Pozzo di Borgo kannte das Terrain, die Menschen und die Verhältnisse, und hat mit außerordentlicher Begabung Rußlands Jnteressen gegen die Undankbarkeit der Restauration, gegen die Feindseligkeit der Parteien, gegen die Julirevolution und die Umtriebe der polnischen Flüchtlinge zu vertreten gewußt. Pozzo di Borgo fiel, vielleicht weil er den Begriff der russischen Diplomatie zu fein, vielleicht aber auch, weil er ihn zu formell aufgefaßt hatte. Pozzo di Borgo hatte sich so weit in die pariser Tagsdebatte eingelassen und dadurch Rußland in so nahe Berührung mit dem Gewirr der Parteien gebracht, daß sich Petersburg nach Paris versetzt glauben mußte, daß man beinahe hätte annehmen sollen, in Paris existirte eine vollkommen organisirte russische Politik und Journalistik. Es kam fast bis zum Scandal. Rußland war immer im Vorgrunde, Rußland war eben so erhitzt, jähzornig, eilfertig, eben so passionirt für die kleine Jntrigue, wie Thiers und die Tuilerien. Rußland besticht, Rußland besoldet, Rußland schreibt sogar in pariser Blättern; man mußte dieß glauben, wenn man auch nur die Schatten des Gerüchts und die dabei handelnden Figuren nicht leibhaft sah. Was soll man glauben: wurde Herr Löwe-Weimars, der plötzlich aus den kleinen Streitigkeiten der Journalistik nach Petersburg ging, um von dort eine bessere Meinung über Rußland zu verbreiten
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Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 331. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/359>, abgerufen am 16.02.2025. |