Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.zog; doch später erlosch dieß glänzende Feuer in den Augen, diese jugendliche Röthe auf den Wangen der russischen Diplomatie und es blieben nur zurück die Handgriffe einer Routine, welche ungemein vielen Esprit verräth, aber entschieden nur auf die retardiven Jnteressen gegründet ist. Der Graf Nesselrode, der gegenwärtige Staatskanzler des russischen Reiches, ist der Schöpfer jener russischen Diplomatie, welche in Erstaunen setzt, wenn man ihre Feinheit und Gewandtheit mit dem Charakter und Bildungsgrade jenes Volkes vergleicht, dessen Jnteressen sie zu vertreten hat. Jn der That geht aus dem Kabinet von St. Petersburg eine Fülle von geistreichen Wendungen, von Routine und Talleyrandistischer Originalität hervor. Nesselrode schuf diese Diplomatie, indem er die von uns oben berührten halb bojarischen, halb jakobinischen Extreme, in welche die russische Politik hätte ausarten können, überflügelte und namentlich durch seine Berührungen mit dem Fürsten Metternich jenes ruhigen und gemäßigten Gleichgewichtes Herr zu werden suchte, welches die Diplomatie zu einer wechselseitigen Abwägung von mehr oder minder Klugheit gegen mehr oder minder Aufrichtigkeit macht. Die Schule Nesselrode's zeichnet sich durch das Talent der Unterhandlung aus, zu welcher sich der leidenschaftliche Partikularismus der Bojarenpolitik niemals würde herbeigelassen haben. Es war nach dem Winter von 1812, wo Pozzo di Borgo in die russische Diplomatie eintrat und bis auf die neueste Zeit ein Versteckensspiel mit Frankreich zog; doch später erlosch dieß glänzende Feuer in den Augen, diese jugendliche Röthe auf den Wangen der russischen Diplomatie und es blieben nur zurück die Handgriffe einer Routine, welche ungemein vielen Esprit verräth, aber entschieden nur auf die retardiven Jnteressen gegründet ist. Der Graf Nesselrode, der gegenwärtige Staatskanzler des russischen Reiches, ist der Schöpfer jener russischen Diplomatie, welche in Erstaunen setzt, wenn man ihre Feinheit und Gewandtheit mit dem Charakter und Bildungsgrade jenes Volkes vergleicht, dessen Jnteressen sie zu vertreten hat. Jn der That geht aus dem Kabinet von St. Petersburg eine Fülle von geistreichen Wendungen, von Routine und Talleyrandistischer Originalität hervor. Nesselrode schuf diese Diplomatie, indem er die von uns oben berührten halb bojarischen, halb jakobinischen Extreme, in welche die russische Politik hätte ausarten können, überflügelte und namentlich durch seine Berührungen mit dem Fürsten Metternich jenes ruhigen und gemäßigten Gleichgewichtes Herr zu werden suchte, welches die Diplomatie zu einer wechselseitigen Abwägung von mehr oder minder Klugheit gegen mehr oder minder Aufrichtigkeit macht. Die Schule Nesselrode’s zeichnet sich durch das Talent der Unterhandlung aus, zu welcher sich der leidenschaftliche Partikularismus der Bojarenpolitik niemals würde herbeigelassen haben. Es war nach dem Winter von 1812, wo Pozzo di Borgo in die russische Diplomatie eintrat und bis auf die neueste Zeit ein Versteckensspiel mit Frankreich <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0358" n="330"/> zog; doch später erlosch dieß glänzende Feuer in den Augen, diese jugendliche Röthe auf den Wangen der russischen Diplomatie und es blieben nur zurück die Handgriffe einer Routine, welche ungemein vielen Esprit verräth, aber entschieden nur auf die retardiven Jnteressen gegründet ist. Der Graf Nesselrode, der gegenwärtige Staatskanzler des russischen Reiches, ist der Schöpfer jener russischen Diplomatie, welche in Erstaunen setzt, wenn man ihre Feinheit und Gewandtheit mit dem Charakter und Bildungsgrade jenes Volkes vergleicht, dessen Jnteressen sie zu vertreten hat. Jn der That geht aus dem Kabinet von St. Petersburg eine Fülle von geistreichen Wendungen, von Routine und Talleyrandistischer Originalität hervor. Nesselrode schuf diese Diplomatie, indem er die von uns oben berührten halb bojarischen, halb jakobinischen Extreme, in welche die russische Politik hätte ausarten können, überflügelte und namentlich durch seine Berührungen mit dem Fürsten Metternich jenes ruhigen und gemäßigten Gleichgewichtes Herr zu werden suchte, welches die Diplomatie zu einer wechselseitigen Abwägung von mehr oder minder Klugheit gegen mehr oder minder Aufrichtigkeit macht. Die Schule Nesselrode’s zeichnet sich durch das Talent der Unterhandlung aus, zu welcher sich der leidenschaftliche Partikularismus der Bojarenpolitik niemals würde herbeigelassen haben. Es war nach dem Winter von 1812, wo Pozzo di Borgo in die russische Diplomatie eintrat und bis auf die neueste Zeit ein Versteckensspiel mit Frankreich </p> </div> </body> </text> </TEI> [330/0358]
zog; doch später erlosch dieß glänzende Feuer in den Augen, diese jugendliche Röthe auf den Wangen der russischen Diplomatie und es blieben nur zurück die Handgriffe einer Routine, welche ungemein vielen Esprit verräth, aber entschieden nur auf die retardiven Jnteressen gegründet ist. Der Graf Nesselrode, der gegenwärtige Staatskanzler des russischen Reiches, ist der Schöpfer jener russischen Diplomatie, welche in Erstaunen setzt, wenn man ihre Feinheit und Gewandtheit mit dem Charakter und Bildungsgrade jenes Volkes vergleicht, dessen Jnteressen sie zu vertreten hat. Jn der That geht aus dem Kabinet von St. Petersburg eine Fülle von geistreichen Wendungen, von Routine und Talleyrandistischer Originalität hervor. Nesselrode schuf diese Diplomatie, indem er die von uns oben berührten halb bojarischen, halb jakobinischen Extreme, in welche die russische Politik hätte ausarten können, überflügelte und namentlich durch seine Berührungen mit dem Fürsten Metternich jenes ruhigen und gemäßigten Gleichgewichtes Herr zu werden suchte, welches die Diplomatie zu einer wechselseitigen Abwägung von mehr oder minder Klugheit gegen mehr oder minder Aufrichtigkeit macht. Die Schule Nesselrode’s zeichnet sich durch das Talent der Unterhandlung aus, zu welcher sich der leidenschaftliche Partikularismus der Bojarenpolitik niemals würde herbeigelassen haben. Es war nach dem Winter von 1812, wo Pozzo di Borgo in die russische Diplomatie eintrat und bis auf die neueste Zeit ein Versteckensspiel mit Frankreich
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Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 330. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/358>, abgerufen am 28.07.2024. |