Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.Deutscher ausruft, und es mag in dem freisten seiner Bundesstaaten seyn: "ich bin ein Deutscher!" so drückt er damit immer nur eine historische Erinnerung, ein moralisches Moment aus, keinesweges Civil-Jdeen, die bei dem Ausrufe: ich bin ein Engländer, ich bin ein Franzose! sich von selbst verstehen. Hier ergibt sich nämlich immer die Nebenvorstellung: ich habe ein mit mir gebornes Anrecht auf jeden Vorzug, den die Oeffentlichkeit im Schooße unsrer Nation dem Einzelnen nur gewähren kann; ich habe das Recht, an den gemeinsamen Angelegenheiten, unter freilich mehr oder minder lästigen Bedingungen, Theil zu nehmen, ich gehöre einem Lande an, wo sich die Folgen jedes Ereignisses, welches ihm durch Gunst oder Ungunst zustößt, auch auf mich erstrecken; ich bin meinem Lande Aufopferung schuldig, kurz, ich besitze Rechte und Pflichten, welche sich wechselseitig die Wage halten. Kurz, dieser Ausruf: ich bin ein Engländer, ein Spanier, ein Norwege, ein Schweizer, ein Ungar! sind an die Stelle jenes antiken Bürgerstolzes getreten, den wir in dieser Schroffheit und Beschränkung nicht mehr verstehen können. Es müssen sich nationale Empfindungen, historische Erinnerungen und ähnliche Elemente jenem Bewußtseyn beimischen, welches jetzt die freien Glieder einer freien Staatsgemeinschaft emporhebt und schwebend trägt. Ein Begriff, der sich dem antiken Bürger schon bei weitem nähert, ist der des modernen Wählers. Ja, ein Wähler ist ein Mann, der nicht blos, wie wir alle, Deutscher ausruft, und es mag in dem freisten seiner Bundesstaaten seyn: "ich bin ein Deutscher!" so drückt er damit immer nur eine historische Erinnerung, ein moralisches Moment aus, keinesweges Civil-Jdeen, die bei dem Ausrufe: ich bin ein Engländer, ich bin ein Franzose! sich von selbst verstehen. Hier ergibt sich nämlich immer die Nebenvorstellung: ich habe ein mit mir gebornes Anrecht auf jeden Vorzug, den die Oeffentlichkeit im Schooße unsrer Nation dem Einzelnen nur gewähren kann; ich habe das Recht, an den gemeinsamen Angelegenheiten, unter freilich mehr oder minder lästigen Bedingungen, Theil zu nehmen, ich gehöre einem Lande an, wo sich die Folgen jedes Ereignisses, welches ihm durch Gunst oder Ungunst zustößt, auch auf mich erstrecken; ich bin meinem Lande Aufopferung schuldig, kurz, ich besitze Rechte und Pflichten, welche sich wechselseitig die Wage halten. Kurz, dieser Ausruf: ich bin ein Engländer, ein Spanier, ein Norwege, ein Schweizer, ein Ungar! sind an die Stelle jenes antiken Bürgerstolzes getreten, den wir in dieser Schroffheit und Beschränkung nicht mehr verstehen können. Es müssen sich nationale Empfindungen, historische Erinnerungen und ähnliche Elemente jenem Bewußtseyn beimischen, welches jetzt die freien Glieder einer freien Staatsgemeinschaft emporhebt und schwebend trägt. Ein Begriff, der sich dem antiken Bürger schon bei weitem nähert, ist der des modernen Wählers. Ja, ein Wähler ist ein Mann, der nicht blos, wie wir alle, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0310" n="282"/> Deutscher ausruft, und es mag in dem freisten seiner Bundesstaaten seyn: "ich bin ein Deutscher!" so drückt er damit immer nur eine historische Erinnerung, ein moralisches Moment aus, keinesweges Civil-Jdeen, die bei dem Ausrufe: ich bin ein Engländer, ich bin ein Franzose! sich von selbst verstehen. Hier ergibt sich nämlich immer die Nebenvorstellung: ich habe ein mit mir gebornes Anrecht auf jeden Vorzug, den die Oeffentlichkeit im Schooße unsrer Nation dem Einzelnen nur gewähren kann; ich habe das Recht, an den gemeinsamen Angelegenheiten, unter freilich mehr oder minder lästigen Bedingungen, Theil zu nehmen, ich gehöre einem Lande an, wo sich die Folgen jedes Ereignisses, welches ihm durch Gunst oder Ungunst zustößt, auch auf mich erstrecken; ich bin meinem Lande Aufopferung schuldig, kurz, ich besitze Rechte und Pflichten, welche sich wechselseitig die Wage halten. Kurz, dieser Ausruf: ich bin ein Engländer, ein Spanier, ein Norwege, ein Schweizer, ein Ungar! sind an die Stelle jenes antiken Bürgerstolzes getreten, den wir in dieser Schroffheit und Beschränkung nicht mehr verstehen können. Es müssen sich nationale Empfindungen, historische Erinnerungen und ähnliche Elemente jenem Bewußtseyn beimischen, welches jetzt die freien Glieder einer freien Staatsgemeinschaft emporhebt und schwebend trägt.</p> <p>Ein Begriff, der sich dem antiken Bürger schon bei weitem nähert, ist der des modernen <hi rendition="#g">Wählers</hi>. Ja, ein Wähler ist ein Mann, der nicht blos, wie wir alle, </p> </div> </body> </text> </TEI> [282/0310]
Deutscher ausruft, und es mag in dem freisten seiner Bundesstaaten seyn: "ich bin ein Deutscher!" so drückt er damit immer nur eine historische Erinnerung, ein moralisches Moment aus, keinesweges Civil-Jdeen, die bei dem Ausrufe: ich bin ein Engländer, ich bin ein Franzose! sich von selbst verstehen. Hier ergibt sich nämlich immer die Nebenvorstellung: ich habe ein mit mir gebornes Anrecht auf jeden Vorzug, den die Oeffentlichkeit im Schooße unsrer Nation dem Einzelnen nur gewähren kann; ich habe das Recht, an den gemeinsamen Angelegenheiten, unter freilich mehr oder minder lästigen Bedingungen, Theil zu nehmen, ich gehöre einem Lande an, wo sich die Folgen jedes Ereignisses, welches ihm durch Gunst oder Ungunst zustößt, auch auf mich erstrecken; ich bin meinem Lande Aufopferung schuldig, kurz, ich besitze Rechte und Pflichten, welche sich wechselseitig die Wage halten. Kurz, dieser Ausruf: ich bin ein Engländer, ein Spanier, ein Norwege, ein Schweizer, ein Ungar! sind an die Stelle jenes antiken Bürgerstolzes getreten, den wir in dieser Schroffheit und Beschränkung nicht mehr verstehen können. Es müssen sich nationale Empfindungen, historische Erinnerungen und ähnliche Elemente jenem Bewußtseyn beimischen, welches jetzt die freien Glieder einer freien Staatsgemeinschaft emporhebt und schwebend trägt.
Ein Begriff, der sich dem antiken Bürger schon bei weitem nähert, ist der des modernen Wählers. Ja, ein Wähler ist ein Mann, der nicht blos, wie wir alle,
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