Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.Hyperkultur, mit welcher sie wider Willen gesäugt und genährt ist, hat so viele dunkle Schattenpartien, daß in den Werken eines gediegenen, gefühlvollen und mit scharfen Augen begabten Sittenmalers der Lesewelt oft ganz neue Regionen unserer Gesellschaft aufgehen. Wie schwer ist es z. B. zu entdecken, wovon Sir Thomas Kugler lebt? Man sieht ihn voll und genährt und sieht nicht, daß er arbeitet. Man weiß, daß er mit dem Bankrutt seines Vaters auf die Welt kam, und daß seine Mutter im Schuldgefängnisse gestorben wäre, wäre sie nicht zu den Methodisten übergegangen und hätte sich von den Almosen einer kleinen ekstatischen Gemeinde zu Tode nähren lassen. Wovon lebt Sir Thomas? Er trägt die schlechteste Garderobe, die man tragen kann, ohne für einen Bettler angesehen zu werden; er hat nichts, alle Welt weiß es; er würde längst den Armengesetzen verfallen seyn, wenn ihn der Adel seines Namens nicht zurückhielte, um Unterstützung einzukommen. Aber sein rundes Aussehen, seine genährten, blühenden Wangen, diese lächelnde Physiognomie eines Mannes, der das Bewußtseyn hat, gut zu verdauen? Ja, dieß ist das Räthsel, hier ist der Hafen, hier schiffe man sich ein und entdecke auf der Erd- und Glückskugel unserer moralischen Existenz ein neues Amerika! Obschon es nicht in meinen Gegenstand dießmal gehört, so hab ich mir doch den Vorwurf zu machen, daß ich die Neugier meiner Leser erweckte. Sir Thomas Kugler lebt, wie ich authentisch versichern kann, nur von Hyperkultur, mit welcher sie wider Willen gesäugt und genährt ist, hat so viele dunkle Schattenpartien, daß in den Werken eines gediegenen, gefühlvollen und mit scharfen Augen begabten Sittenmalers der Lesewelt oft ganz neue Regionen unserer Gesellschaft aufgehen. Wie schwer ist es z. B. zu entdecken, wovon Sir Thomas Kugler lebt? Man sieht ihn voll und genährt und sieht nicht, daß er arbeitet. Man weiß, daß er mit dem Bankrutt seines Vaters auf die Welt kam, und daß seine Mutter im Schuldgefängnisse gestorben wäre, wäre sie nicht zu den Methodisten übergegangen und hätte sich von den Almosen einer kleinen ekstatischen Gemeinde zu Tode nähren lassen. Wovon lebt Sir Thomas? Er trägt die schlechteste Garderobe, die man tragen kann, ohne für einen Bettler angesehen zu werden; er hat nichts, alle Welt weiß es; er würde längst den Armengesetzen verfallen seyn, wenn ihn der Adel seines Namens nicht zurückhielte, um Unterstützung einzukommen. Aber sein rundes Aussehen, seine genährten, blühenden Wangen, diese lächelnde Physiognomie eines Mannes, der das Bewußtseyn hat, gut zu verdauen? Ja, dieß ist das Räthsel, hier ist der Hafen, hier schiffe man sich ein und entdecke auf der Erd- und Glückskugel unserer moralischen Existenz ein neues Amerika! Obschon es nicht in meinen Gegenstand dießmal gehört, so hab ich mir doch den Vorwurf zu machen, daß ich die Neugier meiner Leser erweckte. Sir Thomas Kugler lebt, wie ich authentisch versichern kann, nur von <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0277" n="249"/> Hyperkultur, mit welcher sie wider Willen gesäugt und genährt ist, hat so viele dunkle Schattenpartien, daß in den Werken eines gediegenen, gefühlvollen und mit scharfen Augen begabten Sittenmalers der Lesewelt oft ganz neue Regionen unserer Gesellschaft aufgehen. Wie schwer ist es z. B. zu entdecken, wovon Sir Thomas <hi rendition="#g">Kugler</hi> lebt? Man sieht ihn voll und genährt und sieht nicht, daß er arbeitet. Man weiß, daß er mit dem Bankrutt seines Vaters auf die Welt kam, und daß seine Mutter im Schuldgefängnisse gestorben wäre, wäre sie nicht zu den Methodisten übergegangen und hätte sich von den Almosen einer kleinen ekstatischen Gemeinde zu Tode nähren lassen. Wovon lebt Sir Thomas? Er trägt die schlechteste Garderobe, die man tragen kann, ohne für einen Bettler angesehen zu werden; er hat nichts, alle Welt weiß es; er würde längst den Armengesetzen verfallen seyn, wenn ihn der Adel seines Namens nicht zurückhielte, um Unterstützung einzukommen. Aber sein rundes Aussehen, seine genährten, blühenden Wangen, diese lächelnde Physiognomie eines Mannes, der das Bewußtseyn hat, gut zu verdauen? Ja, dieß ist das Räthsel, hier ist der Hafen, hier schiffe man sich ein und entdecke auf der Erd- und Glückskugel unserer moralischen Existenz ein neues Amerika!</p> <p>Obschon es nicht in meinen Gegenstand dießmal gehört, so hab ich mir doch den Vorwurf zu machen, daß ich die Neugier meiner Leser erweckte. Sir Thomas Kugler lebt, wie ich authentisch versichern kann, nur von </p> </div> </body> </text> </TEI> [249/0277]
Hyperkultur, mit welcher sie wider Willen gesäugt und genährt ist, hat so viele dunkle Schattenpartien, daß in den Werken eines gediegenen, gefühlvollen und mit scharfen Augen begabten Sittenmalers der Lesewelt oft ganz neue Regionen unserer Gesellschaft aufgehen. Wie schwer ist es z. B. zu entdecken, wovon Sir Thomas Kugler lebt? Man sieht ihn voll und genährt und sieht nicht, daß er arbeitet. Man weiß, daß er mit dem Bankrutt seines Vaters auf die Welt kam, und daß seine Mutter im Schuldgefängnisse gestorben wäre, wäre sie nicht zu den Methodisten übergegangen und hätte sich von den Almosen einer kleinen ekstatischen Gemeinde zu Tode nähren lassen. Wovon lebt Sir Thomas? Er trägt die schlechteste Garderobe, die man tragen kann, ohne für einen Bettler angesehen zu werden; er hat nichts, alle Welt weiß es; er würde längst den Armengesetzen verfallen seyn, wenn ihn der Adel seines Namens nicht zurückhielte, um Unterstützung einzukommen. Aber sein rundes Aussehen, seine genährten, blühenden Wangen, diese lächelnde Physiognomie eines Mannes, der das Bewußtseyn hat, gut zu verdauen? Ja, dieß ist das Räthsel, hier ist der Hafen, hier schiffe man sich ein und entdecke auf der Erd- und Glückskugel unserer moralischen Existenz ein neues Amerika!
Obschon es nicht in meinen Gegenstand dießmal gehört, so hab ich mir doch den Vorwurf zu machen, daß ich die Neugier meiner Leser erweckte. Sir Thomas Kugler lebt, wie ich authentisch versichern kann, nur von
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Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 249. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/277>, abgerufen am 16.02.2025. |