Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.Vielfältigkeit und Wunderlichkeit der Menschenrasse verbreitet. Natürlich; im Flug vorüberfahrend an den zweideutigen Ufern haftete der Blick an keiner Situation, an keiner Erscheinung, die in sich wäre gerundet und abgeschlossen gewesen. Aus einer Frau, die ihrem Manne Waffen zutrug und nur allein am Ufer erblickt wurde, gestaltete sich ein ganzes Amazonenvolk. Aus einem Kranich, der mit verwundertem Auge und neugierigem Schnabel den Vorübergehenden nachsah, bildeten sich Pygmäen, Vögelkriege und die geographischen Anschauungen des Homer. Der Mensch, sich noch selbst weit räthselhafter als die Natur, erblickte in Allem, was ihn erschreckte, oder das er nicht sogleich begreifen konnte, die Wunder einer dämonischen Welt. Weil man sonst die Seefahrten nur unternahm, um das Abenteuerliche zu finden, so fand man es auch nur. Jetzt ist der der Mährchen entwöhnte nüchterne Verstand die Bussole des Entdeckers. Er reißt von dem Unbekannten das Gewand der Phantasie, Dichtung und Furcht ab; er verflacht sogar das Außerordentliche und bringt das Neue mit dem Alten nach dem Satze, daß es unter der Sonne nichts gebe, was nicht schon da gewesen, in eine Harmonie, wo manche Merkwürdigkeit, manches eigenthümliche Phänomen unberücksichtigt bleibt. Wir sind alle einer wie der andere, heißt es. O nein, Meilen- und Jahrtausende liegen zwischen uns und schufen sich jene bunte Mannigfaltigkeit der Völkerunterschiede vom Feuerländer bis zum Europäer, für welche der Franzose ein Vielfältigkeit und Wunderlichkeit der Menschenrasse verbreitet. Natürlich; im Flug vorüberfahrend an den zweideutigen Ufern haftete der Blick an keiner Situation, an keiner Erscheinung, die in sich wäre gerundet und abgeschlossen gewesen. Aus einer Frau, die ihrem Manne Waffen zutrug und nur allein am Ufer erblickt wurde, gestaltete sich ein ganzes Amazonenvolk. Aus einem Kranich, der mit verwundertem Auge und neugierigem Schnabel den Vorübergehenden nachsah, bildeten sich Pygmäen, Vögelkriege und die geographischen Anschauungen des Homer. Der Mensch, sich noch selbst weit räthselhafter als die Natur, erblickte in Allem, was ihn erschreckte, oder das er nicht sogleich begreifen konnte, die Wunder einer dämonischen Welt. Weil man sonst die Seefahrten nur unternahm, um das Abenteuerliche zu finden, so fand man es auch nur. Jetzt ist der der Mährchen entwöhnte nüchterne Verstand die Bussole des Entdeckers. Er reißt von dem Unbekannten das Gewand der Phantasie, Dichtung und Furcht ab; er verflacht sogar das Außerordentliche und bringt das Neue mit dem Alten nach dem Satze, daß es unter der Sonne nichts gebe, was nicht schon da gewesen, in eine Harmonie, wo manche Merkwürdigkeit, manches eigenthümliche Phänomen unberücksichtigt bleibt. Wir sind alle einer wie der andere, heißt es. O nein, Meilen- und Jahrtausende liegen zwischen uns und schufen sich jene bunte Mannigfaltigkeit der Völkerunterschiede vom Feuerländer bis zum Europäer, für welche der Franzose ein <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0265" n="237"/> Vielfältigkeit und Wunderlichkeit der Menschenrasse verbreitet. Natürlich; im Flug vorüberfahrend an den zweideutigen Ufern haftete der Blick an keiner Situation, an keiner Erscheinung, die in sich wäre gerundet und abgeschlossen gewesen. Aus einer Frau, die ihrem Manne Waffen zutrug und nur allein am Ufer erblickt wurde, gestaltete sich ein ganzes Amazonenvolk. Aus einem Kranich, der mit verwundertem Auge und neugierigem Schnabel den Vorübergehenden nachsah, bildeten sich Pygmäen, Vögelkriege und die geographischen Anschauungen des Homer. Der Mensch, sich noch selbst weit räthselhafter als die Natur, erblickte in Allem, was ihn erschreckte, oder das er nicht sogleich begreifen konnte, die Wunder einer dämonischen Welt. Weil man sonst die Seefahrten nur unternahm, um das Abenteuerliche zu finden, so fand man es auch nur. Jetzt ist der der Mährchen entwöhnte nüchterne Verstand die Bussole des Entdeckers. Er reißt von dem Unbekannten das Gewand der Phantasie, Dichtung und Furcht ab; er verflacht sogar das Außerordentliche und bringt das Neue mit dem Alten nach dem Satze, daß es unter der Sonne nichts gebe, was nicht schon da gewesen, in eine Harmonie, wo manche Merkwürdigkeit, manches eigenthümliche Phänomen unberücksichtigt bleibt. Wir sind alle einer wie der andere, heißt es. O nein, Meilen- und Jahrtausende liegen zwischen uns und schufen sich jene bunte Mannigfaltigkeit der Völkerunterschiede vom Feuerländer bis zum Europäer, für welche der Franzose ein </p> </div> </body> </text> </TEI> [237/0265]
Vielfältigkeit und Wunderlichkeit der Menschenrasse verbreitet. Natürlich; im Flug vorüberfahrend an den zweideutigen Ufern haftete der Blick an keiner Situation, an keiner Erscheinung, die in sich wäre gerundet und abgeschlossen gewesen. Aus einer Frau, die ihrem Manne Waffen zutrug und nur allein am Ufer erblickt wurde, gestaltete sich ein ganzes Amazonenvolk. Aus einem Kranich, der mit verwundertem Auge und neugierigem Schnabel den Vorübergehenden nachsah, bildeten sich Pygmäen, Vögelkriege und die geographischen Anschauungen des Homer. Der Mensch, sich noch selbst weit räthselhafter als die Natur, erblickte in Allem, was ihn erschreckte, oder das er nicht sogleich begreifen konnte, die Wunder einer dämonischen Welt. Weil man sonst die Seefahrten nur unternahm, um das Abenteuerliche zu finden, so fand man es auch nur. Jetzt ist der der Mährchen entwöhnte nüchterne Verstand die Bussole des Entdeckers. Er reißt von dem Unbekannten das Gewand der Phantasie, Dichtung und Furcht ab; er verflacht sogar das Außerordentliche und bringt das Neue mit dem Alten nach dem Satze, daß es unter der Sonne nichts gebe, was nicht schon da gewesen, in eine Harmonie, wo manche Merkwürdigkeit, manches eigenthümliche Phänomen unberücksichtigt bleibt. Wir sind alle einer wie der andere, heißt es. O nein, Meilen- und Jahrtausende liegen zwischen uns und schufen sich jene bunte Mannigfaltigkeit der Völkerunterschiede vom Feuerländer bis zum Europäer, für welche der Franzose ein
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Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 237. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/265>, abgerufen am 28.07.2024. |