Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.Nahrung und Geschlechtssinnlichkeit. Das Gewinnen des Quecksilbers übt auf die Gesundheit den nachtheiligsten Einfluß. Man kennt Almaden, die berühmten Merkurialgruben Spaniens, man kennt es aus dem jetzigen spanischen Successionskriege und den kühnen Märschen des Carlistenchefs Gomez. Dort ist der Sitz des größten physischen Elends, das sich denken läßt. Selten, daß ein Mann sein natürliches Alter erreicht. Er stirbt immer frühzeitig. Peru hat berühmte Quecksilberwerke in Huanca-Velika. Die Arbeiter haben dort meist die fallende Sucht oder leiden an Zuckungen und Convulsionen. Und dennoch sind Menschen da, die dem unvermeidlichen Tode so in die Arme gehen, die ihr Geschäft mit derselben Resignation verrichten, wie Lord Stanley, wenn er im Unterhaus die Beine auf den Tisch legt und den Engländern Gesetze macht. Es fällt jenen Menschen nicht einmal ein, etwas Anderes zu seyn, weil sie etwas Anderes nicht ahnen können, und ihnen die Gewöhnung an die tägliche Fristung ihrer Existenz gar keinen Gedanken übrig läßt, als könnt' es ihnen besser ergehen. Denn das ist der Fluch dieser unglücklichen Sphäre: man muß etwas können, wenn man leben will; Jeder hat sogar einen Stolz auf dieß traurige Können, wie sich z. B. Gürtler und ähnliche Arbeiter, die früh ihre Augen verlieren und pestartige Ausdünstungen einathmen müssen, gar nicht von ihrem Geschäft abbringen lassen, von einem Geschäft, das sie nicht haben, sondern das sie hat. Nahrung und Geschlechtssinnlichkeit. Das Gewinnen des Quecksilbers übt auf die Gesundheit den nachtheiligsten Einfluß. Man kennt Almaden, die berühmten Merkurialgruben Spaniens, man kennt es aus dem jetzigen spanischen Successionskriege und den kühnen Märschen des Carlistenchefs Gomez. Dort ist der Sitz des größten physischen Elends, das sich denken läßt. Selten, daß ein Mann sein natürliches Alter erreicht. Er stirbt immer frühzeitig. Peru hat berühmte Quecksilberwerke in Huanca-Velika. Die Arbeiter haben dort meist die fallende Sucht oder leiden an Zuckungen und Convulsionen. Und dennoch sind Menschen da, die dem unvermeidlichen Tode so in die Arme gehen, die ihr Geschäft mit derselben Resignation verrichten, wie Lord Stanley, wenn er im Unterhaus die Beine auf den Tisch legt und den Engländern Gesetze macht. Es fällt jenen Menschen nicht einmal ein, etwas Anderes zu seyn, weil sie etwas Anderes nicht ahnen können, und ihnen die Gewöhnung an die tägliche Fristung ihrer Existenz gar keinen Gedanken übrig läßt, als könnt’ es ihnen besser ergehen. Denn das ist der Fluch dieser unglücklichen Sphäre: man muß etwas können, wenn man leben will; Jeder hat sogar einen Stolz auf dieß traurige Können, wie sich z. B. Gürtler und ähnliche Arbeiter, die früh ihre Augen verlieren und pestartige Ausdünstungen einathmen müssen, gar nicht von ihrem Geschäft abbringen lassen, von einem Geschäft, das sie nicht haben, sondern das sie hat. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0223" n="195"/> Nahrung und Geschlechtssinnlichkeit. Das Gewinnen des Quecksilbers übt auf die Gesundheit den nachtheiligsten Einfluß. Man kennt Almaden, die berühmten Merkurialgruben Spaniens, man kennt es aus dem jetzigen spanischen Successionskriege und den kühnen Märschen des Carlistenchefs Gomez. Dort ist der Sitz des größten physischen Elends, das sich denken läßt. Selten, daß ein Mann sein natürliches Alter erreicht. Er stirbt immer frühzeitig. Peru hat berühmte Quecksilberwerke in Huanca-Velika. Die Arbeiter haben dort meist die fallende Sucht oder leiden an Zuckungen und Convulsionen. Und dennoch sind Menschen da, die dem unvermeidlichen Tode so in die Arme gehen, die ihr Geschäft mit derselben Resignation verrichten, wie Lord Stanley, wenn er im Unterhaus die Beine auf den Tisch legt und den Engländern Gesetze macht. Es fällt jenen Menschen nicht einmal ein, etwas Anderes zu seyn, weil sie etwas Anderes nicht ahnen können, und ihnen die Gewöhnung an die tägliche Fristung ihrer Existenz gar keinen Gedanken übrig läßt, als könnt’ es ihnen besser ergehen. Denn das ist der Fluch dieser unglücklichen Sphäre: man muß etwas können, wenn man leben will; Jeder hat sogar einen Stolz auf dieß traurige Können, wie sich z. B. Gürtler und ähnliche Arbeiter, die früh ihre Augen verlieren und pestartige Ausdünstungen einathmen müssen, gar nicht von ihrem Geschäft abbringen lassen, von einem Geschäft, das <hi rendition="#g">sie</hi> nicht haben, sondern <hi rendition="#g">das sie</hi> hat.</p> </div> </body> </text> </TEI> [195/0223]
Nahrung und Geschlechtssinnlichkeit. Das Gewinnen des Quecksilbers übt auf die Gesundheit den nachtheiligsten Einfluß. Man kennt Almaden, die berühmten Merkurialgruben Spaniens, man kennt es aus dem jetzigen spanischen Successionskriege und den kühnen Märschen des Carlistenchefs Gomez. Dort ist der Sitz des größten physischen Elends, das sich denken läßt. Selten, daß ein Mann sein natürliches Alter erreicht. Er stirbt immer frühzeitig. Peru hat berühmte Quecksilberwerke in Huanca-Velika. Die Arbeiter haben dort meist die fallende Sucht oder leiden an Zuckungen und Convulsionen. Und dennoch sind Menschen da, die dem unvermeidlichen Tode so in die Arme gehen, die ihr Geschäft mit derselben Resignation verrichten, wie Lord Stanley, wenn er im Unterhaus die Beine auf den Tisch legt und den Engländern Gesetze macht. Es fällt jenen Menschen nicht einmal ein, etwas Anderes zu seyn, weil sie etwas Anderes nicht ahnen können, und ihnen die Gewöhnung an die tägliche Fristung ihrer Existenz gar keinen Gedanken übrig läßt, als könnt’ es ihnen besser ergehen. Denn das ist der Fluch dieser unglücklichen Sphäre: man muß etwas können, wenn man leben will; Jeder hat sogar einen Stolz auf dieß traurige Können, wie sich z. B. Gürtler und ähnliche Arbeiter, die früh ihre Augen verlieren und pestartige Ausdünstungen einathmen müssen, gar nicht von ihrem Geschäft abbringen lassen, von einem Geschäft, das sie nicht haben, sondern das sie hat.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/223 |
Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 195. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/223>, abgerufen am 28.07.2024. |