Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.Wir haben zuerst von der Bevölkerung zu sprechen. Wie harmlos und dem jetzigen Bestande der Dinge widersprechend beginnt die Geschichte dieser Frage! Wie einfach ist sie bis auf den Augenblick, wo Malthus die fürchterliche Gestalt des immer mehr anwachsenden Riesen in allen ihren Conturen zum ersten Male wahrnahm und durch die Entdeckung seines berühmten Satzes, daß die Bevölkerung geometrisch und die Nahrungsmittel arithmetisch zunehmen, Alles, was in Europa nicht nur lebte, sondern auch Leben schaffen wollte, mit Schrecken erfüllte! Von jeher haben die Gesetzgeber sich damit beschäftigt, die Fortpflanzung des Menschengeschlechtes zu regeln; doch war ihr Gesichtspunkt immer der, daß ihnen entweder die Zahl zu gering, oder zu hoch nur in dem Falle war, daß aristokratische kleine Gemeinwesen von einer allzujäh zunehmenden Bevölkerung in ihren Privilegien verkürzt zu werden fürchteten. China, an Uebervölkerung leidend, gestattet den Verkauf und die Aussetzung der Kinder, einen Gebrauch, von dem man nicht weiß, ob er weniger grausam ist, als der von Montesquieu angeführte auf der Jnsel Formosa, wo die Weiber vorm fünfunddreißigsten Jahre nicht gebären dürfen und sich mit einer Priesterin abzufinden haben, wenn sie vor diesem Alter ihrer Leibesfrüchte los werden wollen. Plato und Aristoteles, die großen Weltweisen haben wenig Rücksicht auf das noch nicht zum Bewußtseyn gekommene Menschenleben genommen. Aristoteles rathet, Wir haben zuerst von der Bevölkerung zu sprechen. Wie harmlos und dem jetzigen Bestande der Dinge widersprechend beginnt die Geschichte dieser Frage! Wie einfach ist sie bis auf den Augenblick, wo Malthus die fürchterliche Gestalt des immer mehr anwachsenden Riesen in allen ihren Conturen zum ersten Male wahrnahm und durch die Entdeckung seines berühmten Satzes, daß die Bevölkerung geometrisch und die Nahrungsmittel arithmetisch zunehmen, Alles, was in Europa nicht nur lebte, sondern auch Leben schaffen wollte, mit Schrecken erfüllte! Von jeher haben die Gesetzgeber sich damit beschäftigt, die Fortpflanzung des Menschengeschlechtes zu regeln; doch war ihr Gesichtspunkt immer der, daß ihnen entweder die Zahl zu gering, oder zu hoch nur in dem Falle war, daß aristokratische kleine Gemeinwesen von einer allzujäh zunehmenden Bevölkerung in ihren Privilegien verkürzt zu werden fürchteten. China, an Uebervölkerung leidend, gestattet den Verkauf und die Aussetzung der Kinder, einen Gebrauch, von dem man nicht weiß, ob er weniger grausam ist, als der von Montesquieu angeführte auf der Jnsel Formosa, wo die Weiber vorm fünfunddreißigsten Jahre nicht gebären dürfen und sich mit einer Priesterin abzufinden haben, wenn sie vor diesem Alter ihrer Leibesfrüchte los werden wollen. Plato und Aristoteles, die großen Weltweisen haben wenig Rücksicht auf das noch nicht zum Bewußtseyn gekommene Menschenleben genommen. Aristoteles rathet, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0208" n="180"/> <p> Wir haben zuerst von der Bevölkerung zu sprechen. Wie harmlos und dem jetzigen Bestande der Dinge widersprechend beginnt die Geschichte dieser Frage! Wie einfach ist sie bis auf den Augenblick, wo <hi rendition="#g">Malthus</hi> die fürchterliche Gestalt des immer mehr anwachsenden Riesen in allen ihren Conturen zum ersten Male wahrnahm und durch die Entdeckung seines berühmten Satzes, daß die Bevölkerung geometrisch und die Nahrungsmittel arithmetisch zunehmen, Alles, was in Europa nicht nur lebte, sondern auch Leben <hi rendition="#g">schaffen</hi> wollte, mit Schrecken erfüllte!</p> <p>Von jeher haben die Gesetzgeber sich damit beschäftigt, die Fortpflanzung des Menschengeschlechtes zu regeln; doch war ihr Gesichtspunkt immer der, daß ihnen entweder die Zahl zu gering, oder zu hoch nur in dem Falle war, daß aristokratische kleine Gemeinwesen von einer allzujäh zunehmenden Bevölkerung in ihren Privilegien verkürzt zu werden fürchteten. China, an Uebervölkerung leidend, gestattet den Verkauf und die Aussetzung der Kinder, einen Gebrauch, von dem man nicht weiß, ob er weniger grausam ist, als der von Montesquieu angeführte auf der Jnsel Formosa, wo die Weiber vorm fünfunddreißigsten Jahre nicht gebären dürfen und sich mit einer Priesterin abzufinden haben, wenn sie vor diesem Alter ihrer Leibesfrüchte los werden wollen. Plato und Aristoteles, die großen Weltweisen haben wenig Rücksicht auf das noch nicht zum Bewußtseyn gekommene Menschenleben genommen. Aristoteles rathet, </p> </div> </body> </text> </TEI> [180/0208]
Wir haben zuerst von der Bevölkerung zu sprechen. Wie harmlos und dem jetzigen Bestande der Dinge widersprechend beginnt die Geschichte dieser Frage! Wie einfach ist sie bis auf den Augenblick, wo Malthus die fürchterliche Gestalt des immer mehr anwachsenden Riesen in allen ihren Conturen zum ersten Male wahrnahm und durch die Entdeckung seines berühmten Satzes, daß die Bevölkerung geometrisch und die Nahrungsmittel arithmetisch zunehmen, Alles, was in Europa nicht nur lebte, sondern auch Leben schaffen wollte, mit Schrecken erfüllte!
Von jeher haben die Gesetzgeber sich damit beschäftigt, die Fortpflanzung des Menschengeschlechtes zu regeln; doch war ihr Gesichtspunkt immer der, daß ihnen entweder die Zahl zu gering, oder zu hoch nur in dem Falle war, daß aristokratische kleine Gemeinwesen von einer allzujäh zunehmenden Bevölkerung in ihren Privilegien verkürzt zu werden fürchteten. China, an Uebervölkerung leidend, gestattet den Verkauf und die Aussetzung der Kinder, einen Gebrauch, von dem man nicht weiß, ob er weniger grausam ist, als der von Montesquieu angeführte auf der Jnsel Formosa, wo die Weiber vorm fünfunddreißigsten Jahre nicht gebären dürfen und sich mit einer Priesterin abzufinden haben, wenn sie vor diesem Alter ihrer Leibesfrüchte los werden wollen. Plato und Aristoteles, die großen Weltweisen haben wenig Rücksicht auf das noch nicht zum Bewußtseyn gekommene Menschenleben genommen. Aristoteles rathet,
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