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Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.

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geben wollte, mit welchen sie sich ihn erzählt haben.

Diese Abschweifung entschuldig' ich durch das, was ich sogleich sagen werde. Jch finde nämlich, daß Diejenigen, welche über die öffentlichen Angelegenheiten schreiben, den Charakter unsrer Zeit nicht gründlich studirt haben, und daß, wenn sie auch die Zeit kennen, ihnen doch wieder die Zeitgenossen gänzlich unbekannt geblieben sind. Es läßt sich vielen Verhältnissen unsres Jahrhunderts eine bessere Form geben; allein der Stoff, aus dem man schaffen will, wird ein andrer seyn, als der ist, welchen man vorfindet. Man kann, streng genommen, nichts Neues gründen, man kann immer nur das Alte verbessern, einen Acker, der brach lag, umpflügen, ihn düngen, man kann Früchte erzielen, Grund und Boden aber müssen gegeben seyn. Was sind nicht für Theorien aufgestellt worden, um unserm Jahrhundert zu Hülfe zu kommen! Sie schöpften alle nur den Schaum von den Zeitgenossen ab und berechneten ihre Schriften für ein Abstraktum, das

geben wollte, mit welchen sie sich ihn erzählt haben.

Diese Abschweifung entschuldig’ ich durch das, was ich sogleich sagen werde. Jch finde nämlich, daß Diejenigen, welche über die öffentlichen Angelegenheiten schreiben, den Charakter unsrer Zeit nicht gründlich studirt haben, und daß, wenn sie auch die Zeit kennen, ihnen doch wieder die Zeitgenossen gänzlich unbekannt geblieben sind. Es läßt sich vielen Verhältnissen unsres Jahrhunderts eine bessere Form geben; allein der Stoff, aus dem man schaffen will, wird ein andrer seyn, als der ist, welchen man vorfindet. Man kann, streng genommen, nichts Neues gründen, man kann immer nur das Alte verbessern, einen Acker, der brach lag, umpflügen, ihn düngen, man kann Früchte erzielen, Grund und Boden aber müssen gegeben seyn. Was sind nicht für Theorien aufgestellt worden, um unserm Jahrhundert zu Hülfe zu kommen! Sie schöpften alle nur den Schaum von den Zeitgenossen ab und berechneten ihre Schriften für ein Abstraktum, das

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[XV/0019] geben wollte, mit welchen sie sich ihn erzählt haben. Diese Abschweifung entschuldig’ ich durch das, was ich sogleich sagen werde. Jch finde nämlich, daß Diejenigen, welche über die öffentlichen Angelegenheiten schreiben, den Charakter unsrer Zeit nicht gründlich studirt haben, und daß, wenn sie auch die Zeit kennen, ihnen doch wieder die Zeitgenossen gänzlich unbekannt geblieben sind. Es läßt sich vielen Verhältnissen unsres Jahrhunderts eine bessere Form geben; allein der Stoff, aus dem man schaffen will, wird ein andrer seyn, als der ist, welchen man vorfindet. Man kann, streng genommen, nichts Neues gründen, man kann immer nur das Alte verbessern, einen Acker, der brach lag, umpflügen, ihn düngen, man kann Früchte erzielen, Grund und Boden aber müssen gegeben seyn. Was sind nicht für Theorien aufgestellt worden, um unserm Jahrhundert zu Hülfe zu kommen! Sie schöpften alle nur den Schaum von den Zeitgenossen ab und berechneten ihre Schriften für ein Abstraktum, das

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Gutzkow Editionsprojekt: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-09-13T12:39:16Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Frederike Neuber: Bearbeitung der digitalen Edition. (2013-09-13T12:39:16Z)
Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-09-13T12:39:16Z)

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Anmerkungen zur Transkription:

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  • Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert



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Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. XV. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/19>, abgerufen am 22.11.2024.