Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.

Bild:
<< vorherige Seite

der Dinge, die romantische ihre Wesenheit, die moderne erklärt ihre Bestimmung. Wie und wodurch sind wir? fragten die Alten; was sind wir? die Mittleren; wozu sind wir? fragen die Modernen. So waren die Ersten mehr Dialektiker, die Zweiten Metaphysiker, die Dritten sind Teleologen. Modern ist es, die Welt anzuerkennen, wie sie geworden ist, aber das Recht zu bezweifeln, ob sie so bleiben darf, wie sie ist. Modern ist es, durch und durch modern, das Kapital der Wahrheit, mit welchem sich Platon und Aristoteles, Occam und Albertus Magnus abmühten, auf sich beruhen zu lassen - wenn nur die Zinsen gerettet sind! Wunderbarer Zusammenhang zwischen unserm Gott, unsrer Unsterblichkeit, unserm Wucher und unserer Staatsschuldentilgungstheorie! der Sinking found *) ist längst eine Chimäre. Das Kapital, hätten wirs, würde uns nur in Verlegenheit bringen; hätten wir die Wahrheit, wir wüßten nicht, wo wir sie unterbringen sollten. Darum lebe der Zinsfuß, der halbjährige Coupon und die dreiprozentige ewige Rente!

Es ist eigen, wenn man von seinen Zeitgenossen spricht, wird man, selbst wenn man nur Gutes von ihnen reden möchte und allen Grund hat, sie gegen falsche Anklagen zu vertheidigen, doch oft von einem

*) Die jährliche Tilgung der Staatsschulden. A. d. U.

der Dinge, die romantische ihre Wesenheit, die moderne erklärt ihre Bestimmung. Wie und wodurch sind wir? fragten die Alten; was sind wir? die Mittleren; wozu sind wir? fragen die Modernen. So waren die Ersten mehr Dialektiker, die Zweiten Metaphysiker, die Dritten sind Teleologen. Modern ist es, die Welt anzuerkennen, wie sie geworden ist, aber das Recht zu bezweifeln, ob sie so bleiben darf, wie sie ist. Modern ist es, durch und durch modern, das Kapital der Wahrheit, mit welchem sich Platon und Aristoteles, Occam und Albertus Magnus abmühten, auf sich beruhen zu lassen – wenn nur die Zinsen gerettet sind! Wunderbarer Zusammenhang zwischen unserm Gott, unsrer Unsterblichkeit, unserm Wucher und unserer Staatsschuldentilgungstheorie! der Sinking found *) ist längst eine Chimäre. Das Kapital, hätten wirs, würde uns nur in Verlegenheit bringen; hätten wir die Wahrheit, wir wüßten nicht, wo wir sie unterbringen sollten. Darum lebe der Zinsfuß, der halbjährige Coupon und die dreiprozentige ewige Rente!

Es ist eigen, wenn man von seinen Zeitgenossen spricht, wird man, selbst wenn man nur Gutes von ihnen reden möchte und allen Grund hat, sie gegen falsche Anklagen zu vertheidigen, doch oft von einem

*) Die jährliche Tilgung der Staatsschulden. A. d. U.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0188" n="160"/>
der Dinge, die romantische ihre Wesenheit, die moderne erklärt ihre Bestimmung. <hi rendition="#g">Wie</hi> und <hi rendition="#g">wodurch</hi> sind wir? fragten die Alten; <hi rendition="#g">was</hi> sind wir? die Mittleren; wozu sind wir? fragen die Modernen. So waren die Ersten mehr Dialektiker, die Zweiten Metaphysiker, die Dritten sind Teleologen. Modern ist es, die Welt anzuerkennen, wie sie geworden ist, aber das Recht zu bezweifeln, ob sie so bleiben darf, wie sie ist. Modern ist es, durch und durch modern, das <hi rendition="#g">Kapital</hi> der Wahrheit, mit welchem sich Platon und Aristoteles, Occam und Albertus Magnus abmühten, auf sich beruhen zu lassen &#x2013; wenn nur die <hi rendition="#g">Zinsen</hi> gerettet sind! Wunderbarer Zusammenhang zwischen unserm Gott, unsrer Unsterblichkeit, unserm Wucher und unserer Staatsschuldentilgungstheorie! der <hi rendition="#aq">Sinking found</hi> <note place="foot" n="*)">Die jährliche Tilgung der Staatsschulden.    A. d. U.</note> ist längst eine Chimäre. Das Kapital, hätten wirs, würde uns nur in Verlegenheit bringen; hätten wir die Wahrheit, wir wüßten nicht, wo wir sie unterbringen sollten. Darum lebe der Zinsfuß, der halbjährige Coupon und die dreiprozentige ewige Rente!</p>
        <p>Es ist eigen, wenn man von seinen Zeitgenossen spricht, wird man, selbst wenn man nur Gutes von ihnen reden möchte und allen Grund hat, sie gegen falsche Anklagen zu vertheidigen, doch oft von einem
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[160/0188] der Dinge, die romantische ihre Wesenheit, die moderne erklärt ihre Bestimmung. Wie und wodurch sind wir? fragten die Alten; was sind wir? die Mittleren; wozu sind wir? fragen die Modernen. So waren die Ersten mehr Dialektiker, die Zweiten Metaphysiker, die Dritten sind Teleologen. Modern ist es, die Welt anzuerkennen, wie sie geworden ist, aber das Recht zu bezweifeln, ob sie so bleiben darf, wie sie ist. Modern ist es, durch und durch modern, das Kapital der Wahrheit, mit welchem sich Platon und Aristoteles, Occam und Albertus Magnus abmühten, auf sich beruhen zu lassen – wenn nur die Zinsen gerettet sind! Wunderbarer Zusammenhang zwischen unserm Gott, unsrer Unsterblichkeit, unserm Wucher und unserer Staatsschuldentilgungstheorie! der Sinking found *) ist längst eine Chimäre. Das Kapital, hätten wirs, würde uns nur in Verlegenheit bringen; hätten wir die Wahrheit, wir wüßten nicht, wo wir sie unterbringen sollten. Darum lebe der Zinsfuß, der halbjährige Coupon und die dreiprozentige ewige Rente! Es ist eigen, wenn man von seinen Zeitgenossen spricht, wird man, selbst wenn man nur Gutes von ihnen reden möchte und allen Grund hat, sie gegen falsche Anklagen zu vertheidigen, doch oft von einem *) Die jährliche Tilgung der Staatsschulden. A. d. U.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Gutzkow Editionsprojekt: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-09-13T12:39:16Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Frederike Neuber: Bearbeitung der digitalen Edition. (2013-09-13T12:39:16Z)
Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-09-13T12:39:16Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/188
Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 160. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/188>, abgerufen am 27.11.2024.