Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.Er bedarf eines anregenden Umganges, guter Freunde, die mit ihm schwatzen und mit denen er sich erzürnen kann. Jonathan benimmt sich dagegen weit respektabler. Er hat sich längst eine Hütte gebaut und sich in die Umstände gefunden. Er rechnet nebenbei darauf, Besitzer der Jnsel zu werden, und muß seine ganze Mäßigung aufbieten, John Bull von seinen Streichen abzuhalten. Mit einem Worte, Jonathan übertrifft ihn an Hoffnung, Charakter und praktischer Lebensphilosophie. Jonathan hat dafür einige andere Fehler für sich voraus. Er ist prahlerisch und schneidet gern auf; er vergrößert sein Glück und verkleinert sein Unglück, das heißt, er kann eben so gut lügen, wie heucheln. John Bull - warum sollte der es nicht auch können! Allein Jonathan übertrifft ihn darin, daß dieser nicht blos Heuchler gegen Andere, sondern auch gegen sich selbst ist. Das kann John Bull nimmermehr. Gegen sich selbst ist er aufrichtig, sich gesteht er, wie's mit ihm steht, er faltet keine andächtige Mienen und hängt den Kopf nicht zwischen die Beine, wie Jonathan, der sich selbst einen Sünder nennt, aber nur deßhalb, weil er durch diese kleine Aufrichtigkeit, gegen den Himmel, gegen die Erde desto versteckter seyn zu dürfen glaubt. Jonathan hält sich für den ersten Staatsmann in der Welt. Er sagt und wiederholt es bis zum Ekel: Wir leben in einem freien Lande! Krieg, Marine, Verfassung, Wissenschaft, Alles ist bei ihm gleich unübertrefflich. Er verachtet andere Nationen mehr, als der Patriotismus Er bedarf eines anregenden Umganges, guter Freunde, die mit ihm schwatzen und mit denen er sich erzürnen kann. Jonathan benimmt sich dagegen weit respektabler. Er hat sich längst eine Hütte gebaut und sich in die Umstände gefunden. Er rechnet nebenbei darauf, Besitzer der Jnsel zu werden, und muß seine ganze Mäßigung aufbieten, John Bull von seinen Streichen abzuhalten. Mit einem Worte, Jonathan übertrifft ihn an Hoffnung, Charakter und praktischer Lebensphilosophie. Jonathan hat dafür einige andere Fehler für sich voraus. Er ist prahlerisch und schneidet gern auf; er vergrößert sein Glück und verkleinert sein Unglück, das heißt, er kann eben so gut lügen, wie heucheln. John Bull – warum sollte der es nicht auch können! Allein Jonathan übertrifft ihn darin, daß dieser nicht blos Heuchler gegen Andere, sondern auch gegen sich selbst ist. Das kann John Bull nimmermehr. Gegen sich selbst ist er aufrichtig, sich gesteht er, wie’s mit ihm steht, er faltet keine andächtige Mienen und hängt den Kopf nicht zwischen die Beine, wie Jonathan, der sich selbst einen Sünder nennt, aber nur deßhalb, weil er durch diese kleine Aufrichtigkeit, gegen den Himmel, gegen die Erde desto versteckter seyn zu dürfen glaubt. Jonathan hält sich für den ersten Staatsmann in der Welt. Er sagt und wiederholt es bis zum Ekel: Wir leben in einem freien Lande! Krieg, Marine, Verfassung, Wissenschaft, Alles ist bei ihm gleich unübertrefflich. Er verachtet andere Nationen mehr, als der Patriotismus <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0176" n="148"/> Er bedarf eines anregenden Umganges, guter Freunde, die mit ihm schwatzen und mit denen er sich erzürnen kann. Jonathan benimmt sich dagegen weit respektabler. Er hat sich längst eine Hütte gebaut und sich in die Umstände gefunden. Er rechnet nebenbei darauf, Besitzer der Jnsel zu werden, und muß seine ganze Mäßigung aufbieten, John Bull von seinen Streichen abzuhalten. Mit einem Worte, Jonathan übertrifft ihn an Hoffnung, Charakter und praktischer Lebensphilosophie.</p> <p>Jonathan hat dafür einige andere Fehler für sich voraus. Er ist prahlerisch und schneidet gern auf; er vergrößert sein Glück und verkleinert sein Unglück, das heißt, er kann eben so gut lügen, wie heucheln. John Bull – warum sollte der es nicht auch können! Allein Jonathan übertrifft ihn darin, daß dieser nicht blos Heuchler gegen Andere, sondern auch gegen sich selbst ist. Das kann John Bull nimmermehr. Gegen sich selbst ist er aufrichtig, sich gesteht er, wie’s mit ihm steht, er faltet keine andächtige Mienen und hängt den Kopf nicht zwischen die Beine, wie Jonathan, der sich selbst einen Sünder nennt, aber nur deßhalb, weil er durch diese kleine Aufrichtigkeit, gegen den Himmel, gegen die Erde desto versteckter seyn zu dürfen glaubt.</p> <p>Jonathan hält sich für den ersten Staatsmann in der Welt. Er sagt und wiederholt es bis zum Ekel: Wir leben in einem freien Lande! Krieg, Marine, Verfassung, Wissenschaft, Alles ist bei ihm gleich unübertrefflich. Er verachtet andere Nationen mehr, als der Patriotismus </p> </div> </body> </text> </TEI> [148/0176]
Er bedarf eines anregenden Umganges, guter Freunde, die mit ihm schwatzen und mit denen er sich erzürnen kann. Jonathan benimmt sich dagegen weit respektabler. Er hat sich längst eine Hütte gebaut und sich in die Umstände gefunden. Er rechnet nebenbei darauf, Besitzer der Jnsel zu werden, und muß seine ganze Mäßigung aufbieten, John Bull von seinen Streichen abzuhalten. Mit einem Worte, Jonathan übertrifft ihn an Hoffnung, Charakter und praktischer Lebensphilosophie.
Jonathan hat dafür einige andere Fehler für sich voraus. Er ist prahlerisch und schneidet gern auf; er vergrößert sein Glück und verkleinert sein Unglück, das heißt, er kann eben so gut lügen, wie heucheln. John Bull – warum sollte der es nicht auch können! Allein Jonathan übertrifft ihn darin, daß dieser nicht blos Heuchler gegen Andere, sondern auch gegen sich selbst ist. Das kann John Bull nimmermehr. Gegen sich selbst ist er aufrichtig, sich gesteht er, wie’s mit ihm steht, er faltet keine andächtige Mienen und hängt den Kopf nicht zwischen die Beine, wie Jonathan, der sich selbst einen Sünder nennt, aber nur deßhalb, weil er durch diese kleine Aufrichtigkeit, gegen den Himmel, gegen die Erde desto versteckter seyn zu dürfen glaubt.
Jonathan hält sich für den ersten Staatsmann in der Welt. Er sagt und wiederholt es bis zum Ekel: Wir leben in einem freien Lande! Krieg, Marine, Verfassung, Wissenschaft, Alles ist bei ihm gleich unübertrefflich. Er verachtet andere Nationen mehr, als der Patriotismus
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