Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.Um aber zuletzt den wichtigsten Entscheidungsgrund anzugeben, warum sich Europa niemals gespornt fühlen dürfte, mit Amerika zu wetteifern, so ist dieß die geistige und besonders wissenschaftliche Verschiedenheit beider Welttheile. Wir sehnen uns nach einer andern Zukunft; aber diese Zukunft ist an Erwartungen geknüpft, für welche Nordamerika nicht die geringste Voraussetzung hat. Wir sehnen uns nach der Auflösung zahlloser Fragen, welche jenseits des Ozeans kaum noch verstanden würden. Was ist nicht von scharfsinnigen und leidenschaftlichen Köpfen, von Philosophen und Dichtern unter uns angeregt worden! Welche Jdeen durchkreuzen sich nicht in dem Denkvermögen unsrer Jugend, die die Erhabenheit des Alterthums, die Poesie des Mittelalters und die Empirie der neuen Zeit in sich vereinigen und durcharbeiten möchte! Sind dieß Alles Berührungspunkte für das Land der Comptoire und der Sklaven? Weder die Religion, welche bei uns schwerlich ihre leidenschaftliche Färbung verlieren wird, noch irgend eine Frage der Wissenschaft und Kunst scheint in Nordamerika enträthselt werden zu können. Amerika hat weder Kunst noch Philosophie, es hat nur eine Literatur, die aus ein paar nach Schiffstheer riechenden Romanen besteht. Was die Zukunft getrennt hat, das liegt in der Gegenwart noch weiter auseinander. Es gibt keinen Contrast, der entschiedener wäre, als eine Parallele zwischen John Bull und Jonathan. John Bull ist eine kleine untersetzte Figur, wohlgenährt, mit kleinen Um aber zuletzt den wichtigsten Entscheidungsgrund anzugeben, warum sich Europa niemals gespornt fühlen dürfte, mit Amerika zu wetteifern, so ist dieß die geistige und besonders wissenschaftliche Verschiedenheit beider Welttheile. Wir sehnen uns nach einer andern Zukunft; aber diese Zukunft ist an Erwartungen geknüpft, für welche Nordamerika nicht die geringste Voraussetzung hat. Wir sehnen uns nach der Auflösung zahlloser Fragen, welche jenseits des Ozeans kaum noch verstanden würden. Was ist nicht von scharfsinnigen und leidenschaftlichen Köpfen, von Philosophen und Dichtern unter uns angeregt worden! Welche Jdeen durchkreuzen sich nicht in dem Denkvermögen unsrer Jugend, die die Erhabenheit des Alterthums, die Poesie des Mittelalters und die Empirie der neuen Zeit in sich vereinigen und durcharbeiten möchte! Sind dieß Alles Berührungspunkte für das Land der Comptoire und der Sklaven? Weder die Religion, welche bei uns schwerlich ihre leidenschaftliche Färbung verlieren wird, noch irgend eine Frage der Wissenschaft und Kunst scheint in Nordamerika enträthselt werden zu können. Amerika hat weder Kunst noch Philosophie, es hat nur eine Literatur, die aus ein paar nach Schiffstheer riechenden Romanen besteht. Was die Zukunft getrennt hat, das liegt in der Gegenwart noch weiter auseinander. Es gibt keinen Contrast, der entschiedener wäre, als eine Parallele zwischen John Bull und Jonathan. John Bull ist eine kleine untersetzte Figur, wohlgenährt, mit kleinen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0171" n="143"/> <p>Um aber zuletzt den wichtigsten Entscheidungsgrund anzugeben, warum sich Europa niemals gespornt fühlen dürfte, mit Amerika zu wetteifern, so ist dieß die geistige und besonders wissenschaftliche Verschiedenheit beider Welttheile. Wir sehnen uns nach einer andern Zukunft; aber diese Zukunft ist an Erwartungen geknüpft, für welche Nordamerika nicht die geringste Voraussetzung hat. Wir sehnen uns nach der Auflösung zahlloser Fragen, welche jenseits des Ozeans kaum noch verstanden würden. Was ist nicht von scharfsinnigen und leidenschaftlichen Köpfen, von Philosophen und Dichtern unter uns angeregt worden! Welche Jdeen durchkreuzen sich nicht in dem Denkvermögen unsrer Jugend, die die Erhabenheit des Alterthums, die Poesie des Mittelalters und die Empirie der neuen Zeit in sich vereinigen und durcharbeiten möchte! Sind dieß Alles Berührungspunkte für das Land der Comptoire und der Sklaven? Weder die Religion, welche bei uns schwerlich ihre leidenschaftliche Färbung verlieren wird, noch irgend eine Frage der Wissenschaft und Kunst scheint in Nordamerika enträthselt werden zu können. Amerika hat weder Kunst noch Philosophie, es hat nur eine Literatur, die aus ein paar nach Schiffstheer riechenden Romanen besteht.</p> <p>Was die Zukunft getrennt hat, das liegt in der Gegenwart noch weiter auseinander. Es gibt keinen Contrast, der entschiedener wäre, als eine Parallele zwischen John Bull und Jonathan. John Bull ist eine kleine untersetzte Figur, wohlgenährt, mit kleinen </p> </div> </body> </text> </TEI> [143/0171]
Um aber zuletzt den wichtigsten Entscheidungsgrund anzugeben, warum sich Europa niemals gespornt fühlen dürfte, mit Amerika zu wetteifern, so ist dieß die geistige und besonders wissenschaftliche Verschiedenheit beider Welttheile. Wir sehnen uns nach einer andern Zukunft; aber diese Zukunft ist an Erwartungen geknüpft, für welche Nordamerika nicht die geringste Voraussetzung hat. Wir sehnen uns nach der Auflösung zahlloser Fragen, welche jenseits des Ozeans kaum noch verstanden würden. Was ist nicht von scharfsinnigen und leidenschaftlichen Köpfen, von Philosophen und Dichtern unter uns angeregt worden! Welche Jdeen durchkreuzen sich nicht in dem Denkvermögen unsrer Jugend, die die Erhabenheit des Alterthums, die Poesie des Mittelalters und die Empirie der neuen Zeit in sich vereinigen und durcharbeiten möchte! Sind dieß Alles Berührungspunkte für das Land der Comptoire und der Sklaven? Weder die Religion, welche bei uns schwerlich ihre leidenschaftliche Färbung verlieren wird, noch irgend eine Frage der Wissenschaft und Kunst scheint in Nordamerika enträthselt werden zu können. Amerika hat weder Kunst noch Philosophie, es hat nur eine Literatur, die aus ein paar nach Schiffstheer riechenden Romanen besteht.
Was die Zukunft getrennt hat, das liegt in der Gegenwart noch weiter auseinander. Es gibt keinen Contrast, der entschiedener wäre, als eine Parallele zwischen John Bull und Jonathan. John Bull ist eine kleine untersetzte Figur, wohlgenährt, mit kleinen
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Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 143. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/171>, abgerufen am 28.07.2024. |