Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.Sie ist eine alte Großmutter-Erinnerung für Jeden, so daß man nicht von ihr lassen kann, selbst an Thorheiten und Wunderlichkeiten derselben sich leicht gewöhnt und von einer angebornen Pietät für sie beseelt ist. Europa hatte seine Catone, seine Sokrates, Europa ist nicht nur mit der Lehre Christi, sondern auch mit dem Blute Tausender, die sie als Märtyrer besiegelten, eng verbunden. Wir sind gewohnt, den Finger Gottes in der Geschichte walten zu sehen, wozu wir öfter Gelegenheit hatten, als das junge Amerika. Weil wir älter sind, darum haben wir mehr Vorurtheile, sind zäher, spröder und halten fester an Jnstitutionen, bei welchen wir den Faden bis auf ihren Ursprung meist immer verloren haben und sie gleichsam als organische Naturprodukte betrachten, gegen welche keine Einrede Statt findet und die wir tragen müssen, wie uns selbst. Auch lassen sich in der That, wie wir schon oben sagten, diese Jnstitutionen nicht tödten. Sie sind unvertilgbar, weil sie in mehr als in Personen bestehen. Die Jdee des Königthums hat in Frankreich mit dem Tode Ludwigs XVJ. nicht sterben können, sondern selbst, wenn es an dem fürstlichen Blute gefehlt hätte, würden neue Repräsentanten jener Jdee gekommen seyn, wie denn auch Napoleon kam. Gesinnung, Sitte, dagegen kämpfen ist erlaubt, sie aber zu nivelliren auf eine solche Einfachheit, wie in Amerika, dazu müßte die jetzige europäische Generation aussterben und durch Einwanderer aus einem fremden Welttheile ersetzt werden. Sie ist eine alte Großmutter-Erinnerung für Jeden, so daß man nicht von ihr lassen kann, selbst an Thorheiten und Wunderlichkeiten derselben sich leicht gewöhnt und von einer angebornen Pietät für sie beseelt ist. Europa hatte seine Catone, seine Sokrates, Europa ist nicht nur mit der Lehre Christi, sondern auch mit dem Blute Tausender, die sie als Märtyrer besiegelten, eng verbunden. Wir sind gewohnt, den Finger Gottes in der Geschichte walten zu sehen, wozu wir öfter Gelegenheit hatten, als das junge Amerika. Weil wir älter sind, darum haben wir mehr Vorurtheile, sind zäher, spröder und halten fester an Jnstitutionen, bei welchen wir den Faden bis auf ihren Ursprung meist immer verloren haben und sie gleichsam als organische Naturprodukte betrachten, gegen welche keine Einrede Statt findet und die wir tragen müssen, wie uns selbst. Auch lassen sich in der That, wie wir schon oben sagten, diese Jnstitutionen nicht tödten. Sie sind unvertilgbar, weil sie in mehr als in Personen bestehen. Die Jdee des Königthums hat in Frankreich mit dem Tode Ludwigs XVJ. nicht sterben können, sondern selbst, wenn es an dem fürstlichen Blute gefehlt hätte, würden neue Repräsentanten jener Jdee gekommen seyn, wie denn auch Napoleon kam. Gesinnung, Sitte, dagegen kämpfen ist erlaubt, sie aber zu nivelliren auf eine solche Einfachheit, wie in Amerika, dazu müßte die jetzige europäische Generation aussterben und durch Einwanderer aus einem fremden Welttheile ersetzt werden. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0169" n="141"/> Sie ist eine alte Großmutter-Erinnerung für Jeden, so daß man nicht von ihr lassen kann, selbst an Thorheiten und Wunderlichkeiten derselben sich leicht gewöhnt und von einer angebornen Pietät für sie beseelt ist. Europa hatte seine Catone, seine Sokrates, Europa ist nicht nur mit der Lehre Christi, sondern auch mit dem Blute Tausender, die sie als Märtyrer besiegelten, eng verbunden. Wir sind gewohnt, den Finger Gottes in der Geschichte walten zu sehen, wozu wir öfter Gelegenheit hatten, als das junge Amerika. Weil wir älter sind, darum haben wir mehr Vorurtheile, sind zäher, spröder und halten fester an Jnstitutionen, bei welchen wir den Faden bis auf ihren Ursprung meist immer verloren haben und sie gleichsam als organische Naturprodukte betrachten, gegen welche keine Einrede Statt findet und die wir tragen müssen, wie uns selbst.</p> <p>Auch lassen sich in der That, wie wir schon oben sagten, diese Jnstitutionen nicht tödten. Sie sind unvertilgbar, weil sie in mehr als in Personen bestehen. Die Jdee des Königthums hat in Frankreich mit dem Tode Ludwigs <hi rendition="#aq">XVJ</hi>. nicht sterben können, sondern selbst, wenn es an dem fürstlichen Blute gefehlt hätte, würden neue Repräsentanten jener Jdee gekommen seyn, wie denn auch Napoleon kam. Gesinnung, Sitte, dagegen kämpfen ist erlaubt, sie aber zu nivelliren auf eine solche Einfachheit, wie in Amerika, dazu müßte die jetzige europäische Generation aussterben und durch Einwanderer aus einem fremden Welttheile ersetzt werden.</p> </div> </body> </text> </TEI> [141/0169]
Sie ist eine alte Großmutter-Erinnerung für Jeden, so daß man nicht von ihr lassen kann, selbst an Thorheiten und Wunderlichkeiten derselben sich leicht gewöhnt und von einer angebornen Pietät für sie beseelt ist. Europa hatte seine Catone, seine Sokrates, Europa ist nicht nur mit der Lehre Christi, sondern auch mit dem Blute Tausender, die sie als Märtyrer besiegelten, eng verbunden. Wir sind gewohnt, den Finger Gottes in der Geschichte walten zu sehen, wozu wir öfter Gelegenheit hatten, als das junge Amerika. Weil wir älter sind, darum haben wir mehr Vorurtheile, sind zäher, spröder und halten fester an Jnstitutionen, bei welchen wir den Faden bis auf ihren Ursprung meist immer verloren haben und sie gleichsam als organische Naturprodukte betrachten, gegen welche keine Einrede Statt findet und die wir tragen müssen, wie uns selbst.
Auch lassen sich in der That, wie wir schon oben sagten, diese Jnstitutionen nicht tödten. Sie sind unvertilgbar, weil sie in mehr als in Personen bestehen. Die Jdee des Königthums hat in Frankreich mit dem Tode Ludwigs XVJ. nicht sterben können, sondern selbst, wenn es an dem fürstlichen Blute gefehlt hätte, würden neue Repräsentanten jener Jdee gekommen seyn, wie denn auch Napoleon kam. Gesinnung, Sitte, dagegen kämpfen ist erlaubt, sie aber zu nivelliren auf eine solche Einfachheit, wie in Amerika, dazu müßte die jetzige europäische Generation aussterben und durch Einwanderer aus einem fremden Welttheile ersetzt werden.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/169 |
Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 141. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/169>, abgerufen am 28.07.2024. |