Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.Maximen höchstens, die aus der Geschichte und der speziellen Lebenserfahrung gelernt sind. Diese forscht im Rathschlusse der Gottheit und verknüpft die Gegensätze der Erfahrung gern durch das liebende Band der Aufklärung, glättet die Widersprüche aus und sucht Gesammtzwecke aufzustellen, an welchen die Menschheit gemeinsam arbeiten solle. Was wir in diesem Kapitel geben wollen, ist eine Untersuchung nach den Grundsätzen der letztern Politik. Es gibt zwei Ansichten in Betreff der vereinigten Freistaaten. Die eine, anhänglich an Europa, nennt sie Nachzügler der Geschichte, macht ihnen die Originalität streitig und gesteht ihnen nichts als einen Formalismus zu, den sie auf einseitige und hohle Weise durchführen sollen. Die andre, demokratischen Ursprunges, opfert ihnen die Zustände Europa's, als überlebt und verbraucht, wirft ihnen den Kranz höchster Vollendung zu und fordert Europa auf, sich ihn so zu verdienen, wie Nordamerika. Dasselbe Land, welches Jenen eine Trivialität ist, ist Diesen ein Sitz der Freiheit und Gleichheit. Jene sehen aus Nordamerika eine Monarchie, Diese aus Europa eine Republik werden. Man kann dem Gegensatze beider Meinungen noch einen anderen Ausdruck geben. Jst Nordamerika ein Musterstaat, der uns voranleuchtet, oder kultivirt er nur eine einzelne Branche des großen Weltgeschäftes, eine einzelne Frage, die Europa über Bord warf? Hat Amerika ein eigenes originelles, nur ihm angehöriges Maximen höchstens, die aus der Geschichte und der speziellen Lebenserfahrung gelernt sind. Diese forscht im Rathschlusse der Gottheit und verknüpft die Gegensätze der Erfahrung gern durch das liebende Band der Aufklärung, glättet die Widersprüche aus und sucht Gesammtzwecke aufzustellen, an welchen die Menschheit gemeinsam arbeiten solle. Was wir in diesem Kapitel geben wollen, ist eine Untersuchung nach den Grundsätzen der letztern Politik. Es gibt zwei Ansichten in Betreff der vereinigten Freistaaten. Die eine, anhänglich an Europa, nennt sie Nachzügler der Geschichte, macht ihnen die Originalität streitig und gesteht ihnen nichts als einen Formalismus zu, den sie auf einseitige und hohle Weise durchführen sollen. Die andre, demokratischen Ursprunges, opfert ihnen die Zustände Europa’s, als überlebt und verbraucht, wirft ihnen den Kranz höchster Vollendung zu und fordert Europa auf, sich ihn so zu verdienen, wie Nordamerika. Dasselbe Land, welches Jenen eine Trivialität ist, ist Diesen ein Sitz der Freiheit und Gleichheit. Jene sehen aus Nordamerika eine Monarchie, Diese aus Europa eine Republik werden. Man kann dem Gegensatze beider Meinungen noch einen anderen Ausdruck geben. Jst Nordamerika ein Musterstaat, der uns voranleuchtet, oder kultivirt er nur eine einzelne Branche des großen Weltgeschäftes, eine einzelne Frage, die Europa über Bord warf? Hat Amerika ein eigenes originelles, nur ihm angehöriges <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0154" n="126"/> Maximen höchstens, die aus der Geschichte und der speziellen Lebenserfahrung gelernt sind. Diese forscht im Rathschlusse der Gottheit und verknüpft die Gegensätze der Erfahrung gern durch das liebende Band der Aufklärung, glättet die Widersprüche aus und sucht Gesammtzwecke aufzustellen, an welchen die Menschheit gemeinsam arbeiten solle. Was wir in diesem Kapitel geben wollen, ist eine Untersuchung nach den Grundsätzen der letztern Politik.</p> <p>Es gibt zwei Ansichten in Betreff der vereinigten Freistaaten. Die eine, anhänglich an Europa, nennt sie Nachzügler der Geschichte, macht ihnen die Originalität streitig und gesteht ihnen nichts als einen Formalismus zu, den sie auf einseitige und hohle Weise durchführen sollen. Die andre, demokratischen Ursprunges, opfert ihnen die Zustände Europa’s, als überlebt und verbraucht, wirft ihnen den Kranz höchster Vollendung zu und fordert Europa auf, sich ihn so zu verdienen, wie Nordamerika. Dasselbe Land, welches Jenen eine Trivialität ist, ist Diesen ein Sitz der Freiheit und Gleichheit. Jene sehen aus Nordamerika eine Monarchie, Diese aus Europa eine Republik werden.</p> <p>Man kann dem Gegensatze beider Meinungen noch einen anderen Ausdruck geben. Jst Nordamerika ein Musterstaat, der uns voranleuchtet, oder kultivirt er nur eine einzelne Branche des großen Weltgeschäftes, eine einzelne Frage, die Europa über Bord warf? Hat Amerika ein eigenes originelles, nur ihm angehöriges </p> </div> </body> </text> </TEI> [126/0154]
Maximen höchstens, die aus der Geschichte und der speziellen Lebenserfahrung gelernt sind. Diese forscht im Rathschlusse der Gottheit und verknüpft die Gegensätze der Erfahrung gern durch das liebende Band der Aufklärung, glättet die Widersprüche aus und sucht Gesammtzwecke aufzustellen, an welchen die Menschheit gemeinsam arbeiten solle. Was wir in diesem Kapitel geben wollen, ist eine Untersuchung nach den Grundsätzen der letztern Politik.
Es gibt zwei Ansichten in Betreff der vereinigten Freistaaten. Die eine, anhänglich an Europa, nennt sie Nachzügler der Geschichte, macht ihnen die Originalität streitig und gesteht ihnen nichts als einen Formalismus zu, den sie auf einseitige und hohle Weise durchführen sollen. Die andre, demokratischen Ursprunges, opfert ihnen die Zustände Europa’s, als überlebt und verbraucht, wirft ihnen den Kranz höchster Vollendung zu und fordert Europa auf, sich ihn so zu verdienen, wie Nordamerika. Dasselbe Land, welches Jenen eine Trivialität ist, ist Diesen ein Sitz der Freiheit und Gleichheit. Jene sehen aus Nordamerika eine Monarchie, Diese aus Europa eine Republik werden.
Man kann dem Gegensatze beider Meinungen noch einen anderen Ausdruck geben. Jst Nordamerika ein Musterstaat, der uns voranleuchtet, oder kultivirt er nur eine einzelne Branche des großen Weltgeschäftes, eine einzelne Frage, die Europa über Bord warf? Hat Amerika ein eigenes originelles, nur ihm angehöriges
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/154 |
Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 126. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/154>, abgerufen am 28.07.2024. |