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Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.

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Statt findet, da lassen die Springfedern bald nach, welche das öffentliche Jnteresse straff und elastisch zusammenhalten. Der politische Jndifferentismus ist noch gefährlicher, als der religiöse. Denn der letztere kann wenigstens mit einer Moral verknüpft seyn, die, weil sie Niemanden betrügt, Niemanden bestiehlt und überhaupt noch keinen Mord begangen hat, sich immer noch für hinreichend fromm und himmelswerth halten kann. Allein der politische Jndifferentismus, selbst wenn er sich in den Schranken des polizeilichen Gehorsams hält, frißt und nagt wurmartig am Staatsgebäude und macht es so morsch, daß es Wind und Wetter nicht mehr ertragen kann. Warum sank Spanien von einem so hohen Gipfel des Ruhmes und der Macht herab? weil der Begriff der Oeffentlichkeit in diesem Lande völlig erschlafft war, weil eine Wechselseitigkeit des Throns mit dem Volke weder im Guten, noch im Bösen (denn selbst Kampf gegen das Volk belebt das letztere mehr als Jndifferentismus) versucht wurde. Jtalien und Deutschland würden dieselbe Blöße geben, wie jetzt die pyrenäische Halbinsel, wenn diese Länder nicht den Vortheil gehabt hätten, daß sie in sich zersplittert waren und auf diesem Wege nicht so durchgreifend und massenhaft verfallen konnten. Und doch - die süddeutschen Fürstenthümer waren die ohnmächtigsten gewesen bis auf die französische Revolution, und in ihnen offenbarte sich auch der Jndifferentismus am beklagenswerthesten, in ihnen traf Napoleon weder National- noch Territorialgefühle an.

Statt findet, da lassen die Springfedern bald nach, welche das öffentliche Jnteresse straff und elastisch zusammenhalten. Der politische Jndifferentismus ist noch gefährlicher, als der religiöse. Denn der letztere kann wenigstens mit einer Moral verknüpft seyn, die, weil sie Niemanden betrügt, Niemanden bestiehlt und überhaupt noch keinen Mord begangen hat, sich immer noch für hinreichend fromm und himmelswerth halten kann. Allein der politische Jndifferentismus, selbst wenn er sich in den Schranken des polizeilichen Gehorsams hält, frißt und nagt wurmartig am Staatsgebäude und macht es so morsch, daß es Wind und Wetter nicht mehr ertragen kann. Warum sank Spanien von einem so hohen Gipfel des Ruhmes und der Macht herab? weil der Begriff der Oeffentlichkeit in diesem Lande völlig erschlafft war, weil eine Wechselseitigkeit des Throns mit dem Volke weder im Guten, noch im Bösen (denn selbst Kampf gegen das Volk belebt das letztere mehr als Jndifferentismus) versucht wurde. Jtalien und Deutschland würden dieselbe Blöße geben, wie jetzt die pyrenäische Halbinsel, wenn diese Länder nicht den Vortheil gehabt hätten, daß sie in sich zersplittert waren und auf diesem Wege nicht so durchgreifend und massenhaft verfallen konnten. Und doch – die süddeutschen Fürstenthümer waren die ohnmächtigsten gewesen bis auf die französische Revolution, und in ihnen offenbarte sich auch der Jndifferentismus am beklagenswerthesten, in ihnen traf Napoleon weder National- noch Territorialgefühle an.

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Statt findet, da lassen die Springfedern bald nach, welche das öffentliche Jnteresse straff und elastisch zusammenhalten. Der politische Jndifferentismus ist noch gefährlicher, als der religiöse. Denn der letztere kann wenigstens mit einer Moral verknüpft seyn, die, weil sie Niemanden betrügt, Niemanden bestiehlt und überhaupt noch keinen Mord begangen hat, sich immer noch für hinreichend fromm und himmelswerth halten kann. Allein der politische Jndifferentismus, selbst wenn er sich in den Schranken des polizeilichen Gehorsams hält, frißt und nagt wurmartig am Staatsgebäude und macht es so morsch, daß es Wind und Wetter nicht mehr ertragen kann. Warum sank Spanien von einem so hohen Gipfel des Ruhmes und der Macht herab? weil der Begriff der Oeffentlichkeit in diesem Lande völlig erschlafft war, weil eine Wechselseitigkeit des Throns mit dem Volke weder im Guten, noch im Bösen (denn selbst Kampf gegen das Volk belebt das letztere mehr als Jndifferentismus) versucht wurde. Jtalien und Deutschland würden dieselbe Blöße geben, wie jetzt die pyrenäische Halbinsel, wenn diese Länder nicht den Vortheil gehabt hätten, daß sie in sich zersplittert waren und auf diesem Wege nicht so durchgreifend und massenhaft verfallen konnten. Und doch &#x2013; die süddeutschen Fürstenthümer waren die ohnmächtigsten gewesen bis auf die französische Revolution, und in ihnen offenbarte sich auch der Jndifferentismus am beklagenswerthesten, in ihnen traf Napoleon weder National- noch Territorialgefühle an. </p>
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[99/0127] Statt findet, da lassen die Springfedern bald nach, welche das öffentliche Jnteresse straff und elastisch zusammenhalten. Der politische Jndifferentismus ist noch gefährlicher, als der religiöse. Denn der letztere kann wenigstens mit einer Moral verknüpft seyn, die, weil sie Niemanden betrügt, Niemanden bestiehlt und überhaupt noch keinen Mord begangen hat, sich immer noch für hinreichend fromm und himmelswerth halten kann. Allein der politische Jndifferentismus, selbst wenn er sich in den Schranken des polizeilichen Gehorsams hält, frißt und nagt wurmartig am Staatsgebäude und macht es so morsch, daß es Wind und Wetter nicht mehr ertragen kann. Warum sank Spanien von einem so hohen Gipfel des Ruhmes und der Macht herab? weil der Begriff der Oeffentlichkeit in diesem Lande völlig erschlafft war, weil eine Wechselseitigkeit des Throns mit dem Volke weder im Guten, noch im Bösen (denn selbst Kampf gegen das Volk belebt das letztere mehr als Jndifferentismus) versucht wurde. Jtalien und Deutschland würden dieselbe Blöße geben, wie jetzt die pyrenäische Halbinsel, wenn diese Länder nicht den Vortheil gehabt hätten, daß sie in sich zersplittert waren und auf diesem Wege nicht so durchgreifend und massenhaft verfallen konnten. Und doch – die süddeutschen Fürstenthümer waren die ohnmächtigsten gewesen bis auf die französische Revolution, und in ihnen offenbarte sich auch der Jndifferentismus am beklagenswerthesten, in ihnen traf Napoleon weder National- noch Territorialgefühle an.

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Gutzkow Editionsprojekt: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-09-13T12:39:16Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/127>, abgerufen am 25.11.2024.