Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.befreit. Jene machte die Armuth erträglich, dieser will sie gänzlich abstellen. Der Liberalismus ist freudiger, schneller zur Hand, als die thränenfeuchte Philanthropie des vorigen Jahrhunderts. Diese beschäftigt sich mehr mit dem Menschen, jener mehr mit dem Bürger. Diese entschuldigt, jener klagt an. Es ist zwischen beiden eine Proportion, die sich mit der Ungeduld der zunehmenden Zeit selbst vermehrte. Was früher nicht befriedigte, muß jetzt erzürnen, nachdem so viel Zeit vorüberstrich, ohne daß es abgeändert wurde. Die Verbindung des Liberalismus mit der Propaganda ist erstorben. Es ist nur ein Merkmal von ihm übrig geblieben, die gesteigerte Philanthropie. Als solche ist der Liberalismus der Schmuck unsers Jahrhunderts, das Kleinod, das im Herzen zahlloser gewesener und kommender Jndividuen gelegen hat und liegen wird. Natürliche vernunftgemäße Freiheit der Menschen! Großes Wort, das mit Flammenschrift über dem geheimnißvollen Tempel aller zukünftiger Zeiten leuchten wird. Von diesem Worte wird die Zeit nicht einen Buchstaben lassen. Es ist die moralische Luft, die man athmen muß, um sich in Zukunft noch als Mensch zu fühlen. Wo ist die Philosophie, die hier verdunkeln, wo die Tyrannei, die hier tödten kann? Das Dunkel wird immer nur Dämmerung seyn und dem Tage weichen müssen; der Tod ist hier nur Verwundung: das kann nicht sterben, was die Heilkraft, die Genesung selber ist. Ob auch die Sonne, sagte ein sterbender Patriarch des Orients zu befreit. Jene machte die Armuth erträglich, dieser will sie gänzlich abstellen. Der Liberalismus ist freudiger, schneller zur Hand, als die thränenfeuchte Philanthropie des vorigen Jahrhunderts. Diese beschäftigt sich mehr mit dem Menschen, jener mehr mit dem Bürger. Diese entschuldigt, jener klagt an. Es ist zwischen beiden eine Proportion, die sich mit der Ungeduld der zunehmenden Zeit selbst vermehrte. Was früher nicht befriedigte, muß jetzt erzürnen, nachdem so viel Zeit vorüberstrich, ohne daß es abgeändert wurde. Die Verbindung des Liberalismus mit der Propaganda ist erstorben. Es ist nur ein Merkmal von ihm übrig geblieben, die gesteigerte Philanthropie. Als solche ist der Liberalismus der Schmuck unsers Jahrhunderts, das Kleinod, das im Herzen zahlloser gewesener und kommender Jndividuen gelegen hat und liegen wird. Natürliche vernunftgemäße Freiheit der Menschen! Großes Wort, das mit Flammenschrift über dem geheimnißvollen Tempel aller zukünftiger Zeiten leuchten wird. Von diesem Worte wird die Zeit nicht einen Buchstaben lassen. Es ist die moralische Luft, die man athmen muß, um sich in Zukunft noch als Mensch zu fühlen. Wo ist die Philosophie, die hier verdunkeln, wo die Tyrannei, die hier tödten kann? Das Dunkel wird immer nur Dämmerung seyn und dem Tage weichen müssen; der Tod ist hier nur Verwundung: das kann nicht sterben, was die Heilkraft, die Genesung selber ist. Ob auch die Sonne, sagte ein sterbender Patriarch des Orients zu <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0122" n="94"/> befreit. Jene machte die Armuth erträglich, dieser will sie gänzlich abstellen. Der Liberalismus ist freudiger, schneller zur Hand, als die thränenfeuchte Philanthropie des vorigen Jahrhunderts. Diese beschäftigt sich mehr mit dem Menschen, jener mehr mit dem Bürger. Diese entschuldigt, jener klagt an. Es ist zwischen beiden eine Proportion, die sich mit der Ungeduld der zunehmenden Zeit selbst vermehrte. Was früher nicht befriedigte, muß jetzt erzürnen, nachdem so viel Zeit vorüberstrich, ohne daß es abgeändert wurde.</p> <p>Die Verbindung des Liberalismus mit der Propaganda ist erstorben. Es ist nur ein Merkmal von ihm übrig geblieben, die gesteigerte Philanthropie. Als solche ist der Liberalismus der Schmuck unsers Jahrhunderts, das Kleinod, das im Herzen zahlloser gewesener und kommender Jndividuen gelegen hat und liegen wird. Natürliche vernunftgemäße Freiheit der Menschen! Großes Wort, das mit Flammenschrift über dem geheimnißvollen Tempel aller zukünftiger Zeiten leuchten wird. Von diesem Worte wird die Zeit nicht einen Buchstaben lassen. Es ist die moralische Luft, die man athmen muß, um sich in Zukunft noch als Mensch zu fühlen. Wo ist die Philosophie, die hier verdunkeln, wo die Tyrannei, die hier tödten kann? Das Dunkel wird immer nur Dämmerung seyn und dem Tage weichen müssen; der Tod ist hier nur Verwundung: das kann nicht sterben, was die Heilkraft, die Genesung selber ist. Ob auch die Sonne, sagte ein sterbender Patriarch des Orients zu </p> </div> </body> </text> </TEI> [94/0122]
befreit. Jene machte die Armuth erträglich, dieser will sie gänzlich abstellen. Der Liberalismus ist freudiger, schneller zur Hand, als die thränenfeuchte Philanthropie des vorigen Jahrhunderts. Diese beschäftigt sich mehr mit dem Menschen, jener mehr mit dem Bürger. Diese entschuldigt, jener klagt an. Es ist zwischen beiden eine Proportion, die sich mit der Ungeduld der zunehmenden Zeit selbst vermehrte. Was früher nicht befriedigte, muß jetzt erzürnen, nachdem so viel Zeit vorüberstrich, ohne daß es abgeändert wurde.
Die Verbindung des Liberalismus mit der Propaganda ist erstorben. Es ist nur ein Merkmal von ihm übrig geblieben, die gesteigerte Philanthropie. Als solche ist der Liberalismus der Schmuck unsers Jahrhunderts, das Kleinod, das im Herzen zahlloser gewesener und kommender Jndividuen gelegen hat und liegen wird. Natürliche vernunftgemäße Freiheit der Menschen! Großes Wort, das mit Flammenschrift über dem geheimnißvollen Tempel aller zukünftiger Zeiten leuchten wird. Von diesem Worte wird die Zeit nicht einen Buchstaben lassen. Es ist die moralische Luft, die man athmen muß, um sich in Zukunft noch als Mensch zu fühlen. Wo ist die Philosophie, die hier verdunkeln, wo die Tyrannei, die hier tödten kann? Das Dunkel wird immer nur Dämmerung seyn und dem Tage weichen müssen; der Tod ist hier nur Verwundung: das kann nicht sterben, was die Heilkraft, die Genesung selber ist. Ob auch die Sonne, sagte ein sterbender Patriarch des Orients zu
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Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/122>, abgerufen am 16.02.2025. |