Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.besiegt war, als die deutsche? Wäre der Name der Nation nicht blos das Mittel, sondern der Zweck des Aufstandes gegen die französische Usurpation gewesen; wahrlich, Deutschland hätte auf dem Wiener Congresse eine andere Gestaltung gefunden, als seine jetzige ist! Wenn ich beweise, daß die Nationalität keineswegs der ausschließliche Gedanke unserer Zeit ist, so will ich nicht in Abrede stellen, daß man sehr glänzend und bis zur Begeisterung hinreißend über diesen Gedanken reflektiren kann. Die Jdee aber, welche die Völker mit Freiheit, Humanität, mit Fragen des Jahrhunderts, ja leider sogar mit den egoistischen Jnteressen der Existenz verbinden, haben sich die Nationalität längst unterwürfig gemacht. Die Corporationen der alten Zeit leisteten mehr als unsere modernen Specialitäten. Jene ließen unmittelbare Bezüge auf den Staat und die Nation auch bei untergeordneten Ständen zu, ihre ganze Existenz war mit der des Staats unmittelbar zusammenhängend. Gegenwärtig aber ist das Staatsgebäude so sehr Vernunftsabstraktion geworden, daß die sogenannten Constitutionen gar nicht mehr aus historischen Anfängen entwickelt, sondern von allgemeinen Prinzipien der Doktrine hergenommen werden. Das Gefühl der Nationalität schwindet immer mehr und macht einem Universalismus Platz, der, wie er schon in unsere Bildung eingedrungen ist, auch unsere bürgerlichen Verhältnisse umgestaltet. Unser Jahrhundert ist hiedurch zwar um ein Vorurtheil ärmer, aber es ist auch schwächer besiegt war, als die deutsche? Wäre der Name der Nation nicht blos das Mittel, sondern der Zweck des Aufstandes gegen die französische Usurpation gewesen; wahrlich, Deutschland hätte auf dem Wiener Congresse eine andere Gestaltung gefunden, als seine jetzige ist! Wenn ich beweise, daß die Nationalität keineswegs der ausschließliche Gedanke unserer Zeit ist, so will ich nicht in Abrede stellen, daß man sehr glänzend und bis zur Begeisterung hinreißend über diesen Gedanken reflektiren kann. Die Jdee aber, welche die Völker mit Freiheit, Humanität, mit Fragen des Jahrhunderts, ja leider sogar mit den egoistischen Jnteressen der Existenz verbinden, haben sich die Nationalität längst unterwürfig gemacht. Die Corporationen der alten Zeit leisteten mehr als unsere modernen Specialitäten. Jene ließen unmittelbare Bezüge auf den Staat und die Nation auch bei untergeordneten Ständen zu, ihre ganze Existenz war mit der des Staats unmittelbar zusammenhängend. Gegenwärtig aber ist das Staatsgebäude so sehr Vernunftsabstraktion geworden, daß die sogenannten Constitutionen gar nicht mehr aus historischen Anfängen entwickelt, sondern von allgemeinen Prinzipien der Doktrine hergenommen werden. Das Gefühl der Nationalität schwindet immer mehr und macht einem Universalismus Platz, der, wie er schon in unsere Bildung eingedrungen ist, auch unsere bürgerlichen Verhältnisse umgestaltet. Unser Jahrhundert ist hiedurch zwar um ein Vorurtheil ärmer, aber es ist auch schwächer <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0111" n="83"/> besiegt war, als die deutsche? Wäre der Name der Nation nicht blos das Mittel, sondern der Zweck des Aufstandes gegen die französische Usurpation gewesen; wahrlich, Deutschland hätte auf dem Wiener Congresse eine andere Gestaltung gefunden, als seine jetzige ist!</p> <p>Wenn ich beweise, daß die Nationalität keineswegs der ausschließliche Gedanke unserer Zeit ist, so will ich nicht in Abrede stellen, daß man sehr glänzend und bis zur Begeisterung hinreißend über diesen Gedanken reflektiren kann. Die Jdee aber, welche die Völker mit Freiheit, Humanität, mit Fragen des Jahrhunderts, ja leider sogar mit den egoistischen Jnteressen der Existenz verbinden, haben sich die Nationalität längst unterwürfig gemacht. Die Corporationen der alten Zeit leisteten mehr als unsere modernen Specialitäten. Jene ließen unmittelbare Bezüge auf den Staat und die Nation auch bei untergeordneten Ständen zu, ihre ganze Existenz war mit der des Staats unmittelbar zusammenhängend. Gegenwärtig aber ist das Staatsgebäude so sehr Vernunftsabstraktion geworden, daß die sogenannten Constitutionen gar nicht mehr aus historischen Anfängen entwickelt, sondern von allgemeinen Prinzipien der Doktrine hergenommen werden. Das Gefühl der Nationalität schwindet immer mehr und macht einem Universalismus Platz, der, wie er schon in unsere Bildung eingedrungen ist, auch unsere bürgerlichen Verhältnisse umgestaltet. Unser Jahrhundert ist hiedurch zwar um ein Vorurtheil ärmer, aber es ist auch schwächer </p> </div> </body> </text> </TEI> [83/0111]
besiegt war, als die deutsche? Wäre der Name der Nation nicht blos das Mittel, sondern der Zweck des Aufstandes gegen die französische Usurpation gewesen; wahrlich, Deutschland hätte auf dem Wiener Congresse eine andere Gestaltung gefunden, als seine jetzige ist!
Wenn ich beweise, daß die Nationalität keineswegs der ausschließliche Gedanke unserer Zeit ist, so will ich nicht in Abrede stellen, daß man sehr glänzend und bis zur Begeisterung hinreißend über diesen Gedanken reflektiren kann. Die Jdee aber, welche die Völker mit Freiheit, Humanität, mit Fragen des Jahrhunderts, ja leider sogar mit den egoistischen Jnteressen der Existenz verbinden, haben sich die Nationalität längst unterwürfig gemacht. Die Corporationen der alten Zeit leisteten mehr als unsere modernen Specialitäten. Jene ließen unmittelbare Bezüge auf den Staat und die Nation auch bei untergeordneten Ständen zu, ihre ganze Existenz war mit der des Staats unmittelbar zusammenhängend. Gegenwärtig aber ist das Staatsgebäude so sehr Vernunftsabstraktion geworden, daß die sogenannten Constitutionen gar nicht mehr aus historischen Anfängen entwickelt, sondern von allgemeinen Prinzipien der Doktrine hergenommen werden. Das Gefühl der Nationalität schwindet immer mehr und macht einem Universalismus Platz, der, wie er schon in unsere Bildung eingedrungen ist, auch unsere bürgerlichen Verhältnisse umgestaltet. Unser Jahrhundert ist hiedurch zwar um ein Vorurtheil ärmer, aber es ist auch schwächer
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Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/111>, abgerufen am 28.07.2024. |