Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gutzkow, Karl: Wally, die Zweiflerin. Mannheim, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

aus dem Cirkel heraus. Sie walzten ihre De¬
batten herum und erschöpften sich in Conzessio¬
nen praktischer und theoretischer Art. Misch¬
gattungen drängten sich zwischen die Extreme:
Damenprediger, welche das Christenthum mit
Gemälden verglichen, wo die Conturen dem Ra¬
tionalismus, die Farben dem Supernaturalis¬
mus angehören müßten: Professoren der Theo¬
logie, die das Urchristenthum wollten; General¬
superintendenten, welche die Perfektibilität des
Christenthums lehrten. Andre, wie Schleier¬
macher adoptirten die Dogmatik, wenn ihre
Lehrsätze sich gemüthlich als Seelenzustände be¬
thätigten. Mit einem Worte, sie mochten so
freidenkerisch verfahren, wie immer; so riß
doch Niemand den Vorhang der Lüge weg.
Auf der Kanzel gaben sie niemals jenen Glau¬
ben preis, den sie auf dem Katheder anatomisch
zergliederten. Ueberall trifft man auf Diakone
und Consistorialräthe dieser Art, welche sich

aus dem Cirkel heraus. Sie walzten ihre De¬
batten herum und erſchöpften ſich in Conzeſſio¬
nen praktiſcher und theoretiſcher Art. Miſch¬
gattungen drängten ſich zwiſchen die Extreme:
Damenprediger, welche das Chriſtenthum mit
Gemälden verglichen, wo die Conturen dem Ra¬
tionalismus, die Farben dem Supernaturalis¬
mus angehören müßten: Profeſſoren der Theo¬
logie, die das Urchriſtenthum wollten; General¬
ſuperintendenten, welche die Perfektibilität des
Chriſtenthums lehrten. Andre, wie Schleier¬
macher adoptirten die Dogmatik, wenn ihre
Lehrſätze ſich gemüthlich als Seelenzuſtände be¬
thätigten. Mit einem Worte, ſie mochten ſo
freidenkeriſch verfahren, wie immer; ſo riß
doch Niemand den Vorhang der Lüge weg.
Auf der Kanzel gaben ſie niemals jenen Glau¬
ben preis, den ſie auf dem Katheder anatomiſch
zergliederten. Ueberall trifft man auf Diakone
und Conſiſtorialräthe dieſer Art, welche ſich

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0304" n="297[295]"/>
aus dem Cirkel heraus. Sie walzten ihre De¬<lb/>
batten herum und er&#x017F;chöpften &#x017F;ich in Conze&#x017F;&#x017F;io¬<lb/>
nen prakti&#x017F;cher und theoreti&#x017F;cher Art. Mi&#x017F;ch¬<lb/>
gattungen drängten &#x017F;ich zwi&#x017F;chen die Extreme:<lb/>
Damenprediger, welche das Chri&#x017F;tenthum mit<lb/>
Gemälden verglichen, wo die Conturen dem Ra¬<lb/>
tionalismus, die Farben dem Supernaturalis¬<lb/>
mus angehören müßten: Profe&#x017F;&#x017F;oren der Theo¬<lb/>
logie, die das Urchri&#x017F;tenthum wollten; General¬<lb/>
&#x017F;uperintendenten, welche die Perfektibilität des<lb/>
Chri&#x017F;tenthums lehrten. Andre, wie Schleier¬<lb/>
macher adoptirten die Dogmatik, wenn ihre<lb/>
Lehr&#x017F;ätze &#x017F;ich gemüthlich als Seelenzu&#x017F;tände be¬<lb/>
thätigten. Mit einem Worte, &#x017F;ie mochten &#x017F;o<lb/>
freidenkeri&#x017F;ch verfahren, wie immer; &#x017F;o riß<lb/>
doch Niemand den Vorhang der Lüge weg.<lb/>
Auf der Kanzel gaben &#x017F;ie niemals jenen Glau¬<lb/>
ben preis, den &#x017F;ie auf dem Katheder anatomi&#x017F;ch<lb/>
zergliederten. Ueberall trifft man auf Diakone<lb/>
und Con&#x017F;i&#x017F;torialräthe die&#x017F;er Art, welche &#x017F;ich<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[297[295]/0304] aus dem Cirkel heraus. Sie walzten ihre De¬ batten herum und erſchöpften ſich in Conzeſſio¬ nen praktiſcher und theoretiſcher Art. Miſch¬ gattungen drängten ſich zwiſchen die Extreme: Damenprediger, welche das Chriſtenthum mit Gemälden verglichen, wo die Conturen dem Ra¬ tionalismus, die Farben dem Supernaturalis¬ mus angehören müßten: Profeſſoren der Theo¬ logie, die das Urchriſtenthum wollten; General¬ ſuperintendenten, welche die Perfektibilität des Chriſtenthums lehrten. Andre, wie Schleier¬ macher adoptirten die Dogmatik, wenn ihre Lehrſätze ſich gemüthlich als Seelenzuſtände be¬ thätigten. Mit einem Worte, ſie mochten ſo freidenkeriſch verfahren, wie immer; ſo riß doch Niemand den Vorhang der Lüge weg. Auf der Kanzel gaben ſie niemals jenen Glau¬ ben preis, den ſie auf dem Katheder anatomiſch zergliederten. Ueberall trifft man auf Diakone und Conſiſtorialräthe dieſer Art, welche ſich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_wally_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_wally_1835/304
Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Wally, die Zweiflerin. Mannheim, 1835, S. 297[295]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_wally_1835/304>, abgerufen am 23.11.2024.