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Gutzkow, Karl: Wally, die Zweiflerin. Mannheim, 1835.

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und äußerlicher ihre Begriffe vom Weltzwecke:
je gebildeter jene, desto geheimnißreicher diese.
Die Verwechselung endlicher und unendlicher
Ursachen der Weltregierung lag nahe und so
kam es, daß das Alterthum so viel Historisches
in Mystisches, Mystisches wieder in Himmlisches
verwandelte. Der Naturmensch versteht die
Welt nur so weit, wie sein Auge reicht. Al¬
les, was über den Sehkreis seiner sinnlichen
Vorstellungen hinausliegt, scheint ihm die er¬
klärende Veranlassung der Unerklärlichkeiten zu
sein, die ihn in nächster Nähe umgeben. Da¬
her die zahllosen Details im Glauben der alten
Völker: daher die Uebertreibungen der Phan¬
tasie, das Ungeheure in Zahlen und Formbil¬
dungen. Die alten Religionen sind so aus¬
schweifend, wie Alles, was man, ich sage nicht,
nicht kennt, sondern wie Alles, das man noch
nicht gesehen hat. In diesen Unförmlichkeiten
Entstellungen alter Ueberlieferungen zu finden,

und äußerlicher ihre Begriffe vom Weltzwecke:
je gebildeter jene, deſto geheimnißreicher dieſe.
Die Verwechſelung endlicher und unendlicher
Urſachen der Weltregierung lag nahe und ſo
kam es, daß das Alterthum ſo viel Hiſtoriſches
in Myſtiſches, Myſtiſches wieder in Himmliſches
verwandelte. Der Naturmenſch verſteht die
Welt nur ſo weit, wie ſein Auge reicht. Al¬
les, was über den Sehkreis ſeiner ſinnlichen
Vorſtellungen hinausliegt, ſcheint ihm die er¬
klärende Veranlaſſung der Unerklärlichkeiten zu
ſein, die ihn in nächſter Nähe umgeben. Da¬
her die zahlloſen Details im Glauben der alten
Völker: daher die Uebertreibungen der Phan¬
taſie, das Ungeheure in Zahlen und Formbil¬
dungen. Die alten Religionen ſind ſo aus¬
ſchweifend, wie Alles, was man, ich ſage nicht,
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[268[266]/0275] und äußerlicher ihre Begriffe vom Weltzwecke: je gebildeter jene, deſto geheimnißreicher dieſe. Die Verwechſelung endlicher und unendlicher Urſachen der Weltregierung lag nahe und ſo kam es, daß das Alterthum ſo viel Hiſtoriſches in Myſtiſches, Myſtiſches wieder in Himmliſches verwandelte. Der Naturmenſch verſteht die Welt nur ſo weit, wie ſein Auge reicht. Al¬ les, was über den Sehkreis ſeiner ſinnlichen Vorſtellungen hinausliegt, ſcheint ihm die er¬ klärende Veranlaſſung der Unerklärlichkeiten zu ſein, die ihn in nächſter Nähe umgeben. Da¬ her die zahlloſen Details im Glauben der alten Völker: daher die Uebertreibungen der Phan¬ taſie, das Ungeheure in Zahlen und Formbil¬ dungen. Die alten Religionen ſind ſo aus¬ ſchweifend, wie Alles, was man, ich ſage nicht, nicht kennt, ſondern wie Alles, das man noch nicht geſehen hat. In dieſen Unförmlichkeiten Entſtellungen alter Ueberlieferungen zu finden,

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Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Wally, die Zweiflerin. Mannheim, 1835, S. 268[266]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_wally_1835/275>, abgerufen am 25.11.2024.