Cäsar sagte mir oft, als Kind hab' er sich fortwährend damit geängstigt, daß er keines natürlichen Todes sterben würde. Die Kata¬ strophe des jungen Sand hätte zu seiner Zeit alle jungen Köpfe auf den Gedanken gebracht, daß sie ihnen auch einst abgeschlagen würden. Keiner, sagte er, glaubte so würdig zu sein, wie Sand, und keiner glaubte deßhalb auch, auf einen milderen Tod rechnen zu dürfen, als Sand. Er gestand mir mit eisigem Grauen, daß er oft Stunden lang heimlich mit ent¬ blößtem Halse gesessen und sich in die Illu¬ sion des Schaffots hineingedacht habe, daß ihm die Thränen geflossen seien, aus Verzweiflung, so sterben zu müssen. Es war immer ein wehmüthiges, liebes Lächeln, das bei solchen Geständnissen auf seinen Lippen lag. O Gott! ich vergess' ihn nicht. Für Alles brauch' ich ihn. Er soll mir zu Allem Beweise geben!
Cäſar ſagte mir oft, als Kind hab' er ſich fortwährend damit geängſtigt, daß er keines natürlichen Todes ſterben würde. Die Kata¬ ſtrophe des jungen Sand hätte zu ſeiner Zeit alle jungen Köpfe auf den Gedanken gebracht, daß ſie ihnen auch einſt abgeſchlagen würden. Keiner, ſagte er, glaubte ſo würdig zu ſein, wie Sand, und keiner glaubte deßhalb auch, auf einen milderen Tod rechnen zu dürfen, als Sand. Er geſtand mir mit eiſigem Grauen, daß er oft Stunden lang heimlich mit ent¬ blößtem Halſe geſeſſen und ſich in die Illu¬ ſion des Schaffots hineingedacht habe, daß ihm die Thränen gefloſſen ſeien, aus Verzweiflung, ſo ſterben zu müſſen. Es war immer ein wehmüthiges, liebes Lächeln, das bei ſolchen Geſtändniſſen auf ſeinen Lippen lag. O Gott! ich vergeſſ' ihn nicht. Für Alles brauch' ich ihn. Er ſoll mir zu Allem Beweiſe geben!
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Cäſar ſagte mir oft, als Kind hab' er ſich
fortwährend damit geängſtigt, daß er keines
natürlichen Todes ſterben würde. Die Kata¬
ſtrophe des jungen Sand hätte zu ſeiner Zeit
alle jungen Köpfe auf den Gedanken gebracht,
daß ſie ihnen auch einſt abgeſchlagen würden.
Keiner, ſagte er, glaubte ſo würdig zu ſein,
wie Sand, und keiner glaubte deßhalb auch,
auf einen milderen Tod rechnen zu dürfen,
als Sand. Er geſtand mir mit eiſigem Grauen,
daß er oft Stunden lang heimlich mit ent¬
blößtem Halſe geſeſſen und ſich in die Illu¬
ſion des Schaffots hineingedacht habe, daß ihm
die Thränen gefloſſen ſeien, aus Verzweiflung,
ſo ſterben zu müſſen. Es war immer ein
wehmüthiges, liebes Lächeln, das bei ſolchen
Geſtändniſſen auf ſeinen Lippen lag. O Gott!
ich vergeſſ' ihn nicht. Für Alles brauch' ich
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Gutzkow, Karl: Wally, die Zweiflerin. Mannheim, 1835, S. 240. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_wally_1835/249>, abgerufen am 22.11.2024.
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