Wie leichtsinnig bin ich gestern über die Abgründe meines Denkens hingewandelt! Ohne weiteres konnt' ich mich damit beruhigen, diese Zweifel an meinem Glauben hinzunehmen als etwas, das ich mir längst selbst gestanden habe, und doch weiß ich aus meinem frühern Leben, wie unglücklich ich war, daß ich über diese Dinge nichts zu denken wagte. O wie mäch¬ tig ist der Liebe Zauber! Ein männliches Herz, das uns liebt, ist der Wächter aller unsrer Gedanken und muß die stille Verantwortung dessen tragen, was in der Seele des Weibes Sünde und Empörung ist. Wie sicher fühl' ich mich, selbst im Entsetzlichsten, wenn ich nur die warme Hand meines Freundes drücken darf! Er nimmt Alles auf sich: er ist heiter und lächelt und fürchtet nichts.
Wie leichtſinnig bin ich geſtern über die Abgründe meines Denkens hingewandelt! Ohne weiteres konnt' ich mich damit beruhigen, dieſe Zweifel an meinem Glauben hinzunehmen als etwas, das ich mir längſt ſelbſt geſtanden habe, und doch weiß ich aus meinem frühern Leben, wie unglücklich ich war, daß ich über dieſe Dinge nichts zu denken wagte. O wie mäch¬ tig iſt der Liebe Zauber! Ein männliches Herz, das uns liebt, iſt der Wächter aller unſrer Gedanken und muß die ſtille Verantwortung deſſen tragen, was in der Seele des Weibes Sünde und Empörung iſt. Wie ſicher fühl' ich mich, ſelbſt im Entſetzlichſten, wenn ich nur die warme Hand meines Freundes drücken darf! Er nimmt Alles auf ſich: er iſt heiter und lächelt und fürchtet nichts.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0225"n="216"/><p>Wie leichtſinnig bin ich geſtern über die<lb/>
Abgründe meines Denkens hingewandelt! Ohne<lb/>
weiteres konnt' ich mich damit beruhigen, dieſe<lb/>
Zweifel an meinem Glauben hinzunehmen als<lb/>
etwas, das ich mir längſt ſelbſt geſtanden habe,<lb/>
und doch weiß ich aus meinem frühern Leben,<lb/>
wie unglücklich ich war, daß ich über dieſe<lb/>
Dinge nichts zu denken wagte. O wie mäch¬<lb/>
tig iſt der Liebe Zauber! Ein männliches Herz,<lb/>
das uns liebt, iſt der Wächter aller unſrer<lb/>
Gedanken und muß die ſtille Verantwortung<lb/>
deſſen tragen, was in der Seele des Weibes<lb/>
Sünde und Empörung iſt. Wie ſicher fühl'<lb/>
ich mich, ſelbſt im Entſetzlichſten, wenn ich<lb/>
nur die warme Hand meines Freundes drücken<lb/>
darf! Er nimmt Alles auf ſich: er iſt heiter<lb/>
und lächelt und fürchtet nichts.</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/></div></div></body></text></TEI>
[216/0225]
Wie leichtſinnig bin ich geſtern über die
Abgründe meines Denkens hingewandelt! Ohne
weiteres konnt' ich mich damit beruhigen, dieſe
Zweifel an meinem Glauben hinzunehmen als
etwas, das ich mir längſt ſelbſt geſtanden habe,
und doch weiß ich aus meinem frühern Leben,
wie unglücklich ich war, daß ich über dieſe
Dinge nichts zu denken wagte. O wie mäch¬
tig iſt der Liebe Zauber! Ein männliches Herz,
das uns liebt, iſt der Wächter aller unſrer
Gedanken und muß die ſtille Verantwortung
deſſen tragen, was in der Seele des Weibes
Sünde und Empörung iſt. Wie ſicher fühl'
ich mich, ſelbſt im Entſetzlichſten, wenn ich
nur die warme Hand meines Freundes drücken
darf! Er nimmt Alles auf ſich: er iſt heiter
und lächelt und fürchtet nichts.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Gutzkow, Karl: Wally, die Zweiflerin. Mannheim, 1835, S. 216. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_wally_1835/225>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.