Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gutzkow, Karl: Wally, die Zweiflerin. Mannheim, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

müther eindringen läßt, erstiegen. Er hatte
einen ganzen Friedhof todter Gedanken, herr¬
licher Ideen, an die er einst glaubte, hinter
sich: er fiel nicht mehr vor sich selbst nieder
und ließ seine Vergangenheit die Knie seiner
Zukunft umschlingen und sie beten: heilige Zu¬
kunft, glühender Moloch, wann hör' ich auf,
mich mir selbst zu opfern? Cäsar begrub keine
Todten mehr: die stillen Ideen lagen so weit
von ihm, daß seine Bewegungen sie nicht mehr
erdrücken konnten. Er war reif, nur noch
formell, nur noch Skeptiker: er rechnete mit
Begriffsschatten, mit gewesenem Enthusiasmus.
Er war durch die Schule hindurch und hätte nur
noch handeln können; denn wozu ihn seine tod¬
ten Ideen machten, er war ein starker Cha¬
rakter. Unglückliche Jugend! Das Feld der Thätig¬
keit ist dir verschlossen, im Strome der Bege¬
benheiten kann deine wissensmatte Seele nicht
wieder neu geboren werden; du kannst nur

müther eindringen läßt, erſtiegen. Er hatte
einen ganzen Friedhof todter Gedanken, herr¬
licher Ideen, an die er einſt glaubte, hinter
ſich: er fiel nicht mehr vor ſich ſelbſt nieder
und ließ ſeine Vergangenheit die Knie ſeiner
Zukunft umſchlingen und ſie beten: heilige Zu¬
kunft, glühender Moloch, wann hör' ich auf,
mich mir ſelbſt zu opfern? Cäſar begrub keine
Todten mehr: die ſtillen Ideen lagen ſo weit
von ihm, daß ſeine Bewegungen ſie nicht mehr
erdrücken konnten. Er war reif, nur noch
formell, nur noch Skeptiker: er rechnete mit
Begriffsſchatten, mit geweſenem Enthuſiasmus.
Er war durch die Schule hindurch und hätte nur
noch handeln können; denn wozu ihn ſeine tod¬
ten Ideen machten, er war ein ſtarker Cha¬
rakter. Unglückliche Jugend! Das Feld der Thätig¬
keit iſt dir verſchloſſen, im Strome der Bege¬
benheiten kann deine wiſſensmatte Seele nicht
wieder neu geboren werden; du kannſt nur

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0019" n="10"/>
müther eindringen läßt, er&#x017F;tiegen. Er hatte<lb/>
einen ganzen Friedhof todter Gedanken, herr¬<lb/>
licher Ideen, an die er ein&#x017F;t glaubte, hinter<lb/>
&#x017F;ich: er fiel nicht mehr vor &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t nieder<lb/>
und ließ &#x017F;eine Vergangenheit die Knie &#x017F;einer<lb/>
Zukunft um&#x017F;chlingen und &#x017F;ie beten: heilige Zu¬<lb/>
kunft, glühender Moloch, wann hör' ich auf,<lb/>
mich mir &#x017F;elb&#x017F;t zu opfern? Cä&#x017F;ar begrub keine<lb/>
Todten mehr: die &#x017F;tillen Ideen lagen &#x017F;o weit<lb/>
von ihm, daß &#x017F;eine Bewegungen &#x017F;ie nicht mehr<lb/>
erdrücken konnten. Er war reif, nur noch<lb/>
formell, nur noch Skeptiker: er rechnete mit<lb/>
Begriffs&#x017F;chatten, mit gewe&#x017F;enem Enthu&#x017F;iasmus.<lb/>
Er war durch die Schule hindurch und hätte nur<lb/>
noch <hi rendition="#g">handeln</hi> können; denn wozu ihn &#x017F;eine tod¬<lb/>
ten Ideen machten, er war ein &#x017F;tarker Cha¬<lb/>
rakter. Unglückliche Jugend! Das Feld der Thätig¬<lb/>
keit i&#x017F;t dir ver&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en, im Strome der Bege¬<lb/>
benheiten kann deine wi&#x017F;&#x017F;ensmatte Seele nicht<lb/>
wieder neu geboren werden; du kann&#x017F;t nur<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[10/0019] müther eindringen läßt, erſtiegen. Er hatte einen ganzen Friedhof todter Gedanken, herr¬ licher Ideen, an die er einſt glaubte, hinter ſich: er fiel nicht mehr vor ſich ſelbſt nieder und ließ ſeine Vergangenheit die Knie ſeiner Zukunft umſchlingen und ſie beten: heilige Zu¬ kunft, glühender Moloch, wann hör' ich auf, mich mir ſelbſt zu opfern? Cäſar begrub keine Todten mehr: die ſtillen Ideen lagen ſo weit von ihm, daß ſeine Bewegungen ſie nicht mehr erdrücken konnten. Er war reif, nur noch formell, nur noch Skeptiker: er rechnete mit Begriffsſchatten, mit geweſenem Enthuſiasmus. Er war durch die Schule hindurch und hätte nur noch handeln können; denn wozu ihn ſeine tod¬ ten Ideen machten, er war ein ſtarker Cha¬ rakter. Unglückliche Jugend! Das Feld der Thätig¬ keit iſt dir verſchloſſen, im Strome der Bege¬ benheiten kann deine wiſſensmatte Seele nicht wieder neu geboren werden; du kannſt nur

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_wally_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_wally_1835/19
Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Wally, die Zweiflerin. Mannheim, 1835, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_wally_1835/19>, abgerufen am 22.12.2024.