Meinen und Fürwahrhalten. Der Augenblick ist der Urheber unsrer Handlungen und die Ver¬ geßlichkeit die Richterin derselben. Ach, An¬ tonie, ich beschwöre dich! Nimm diese Klagen nicht als die Frucht eines regnerischen Tages; o -- ich leide an einem Schmerze, der unheil¬ bar ist, da ich ihn gar nicht zu nennen weiß. Das rennt, läuft, springt, lacht, singt, weint, zankt, -- nun sage mir um des Himmels Wil¬ len, was steckt dahinter? Was ist der Kern dieser spiralförmig fortkreiselnden Unruhe? Die Männer sind glücklich, weil man an sie Anfor¬ derungen macht. Das Maaß ihrer Handlun¬ gen ist der Beifall oder der Nutzen, den sie damit gewinnen. Auch dies sage, warum wir den Faust nicht lesen sollen? Die Schilderung jener Zweifel, die eines Menschen Brust durch¬ wühlen können, macht uns vertraut mit ihnen und die Wirkung derselben für uns weniger gefährlich. Aber ich fühl' es, daß sich in je¬
Meinen und Fürwahrhalten. Der Augenblick iſt der Urheber unſrer Handlungen und die Ver¬ geßlichkeit die Richterin derſelben. Ach, An¬ tonie, ich beſchwöre dich! Nimm dieſe Klagen nicht als die Frucht eines regneriſchen Tages; o — ich leide an einem Schmerze, der unheil¬ bar iſt, da ich ihn gar nicht zu nennen weiß. Das rennt, läuft, ſpringt, lacht, ſingt, weint, zankt, — nun ſage mir um des Himmels Wil¬ len, was ſteckt dahinter? Was iſt der Kern dieſer ſpiralförmig fortkreiſelnden Unruhe? Die Männer ſind glücklich, weil man an ſie Anfor¬ derungen macht. Das Maaß ihrer Handlun¬ gen iſt der Beifall oder der Nutzen, den ſie damit gewinnen. Auch dies ſage, warum wir den Fauſt nicht leſen ſollen? Die Schilderung jener Zweifel, die eines Menſchen Bruſt durch¬ wühlen können, macht uns vertraut mit ihnen und die Wirkung derſelben für uns weniger gefährlich. Aber ich fühl' es, daß ſich in je¬
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0103"n="94"/>
Meinen und Fürwahrhalten. Der Augenblick<lb/>
iſt der Urheber unſrer Handlungen und die Ver¬<lb/>
geßlichkeit die Richterin derſelben. Ach, An¬<lb/>
tonie, ich beſchwöre dich! Nimm dieſe Klagen<lb/>
nicht als die Frucht eines regneriſchen Tages;<lb/>
o — ich leide an einem Schmerze, der unheil¬<lb/>
bar iſt, da ich ihn gar nicht zu nennen weiß.<lb/>
Das rennt, läuft, ſpringt, lacht, ſingt, weint,<lb/>
zankt, — nun ſage mir um des Himmels Wil¬<lb/>
len, was ſteckt dahinter? Was iſt der Kern<lb/>
dieſer ſpiralförmig fortkreiſelnden Unruhe? Die<lb/>
Männer ſind glücklich, weil man an ſie Anfor¬<lb/>
derungen macht. Das Maaß ihrer Handlun¬<lb/>
gen iſt der Beifall oder der Nutzen, den ſie<lb/>
damit gewinnen. Auch dies ſage, warum wir<lb/>
den Fauſt nicht leſen ſollen? Die Schilderung<lb/>
jener Zweifel, die eines Menſchen Bruſt durch¬<lb/>
wühlen können, macht uns vertraut mit ihnen<lb/>
und die Wirkung derſelben für uns weniger<lb/>
gefährlich. Aber ich fühl' es, daß ſich in je¬<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[94/0103]
Meinen und Fürwahrhalten. Der Augenblick
iſt der Urheber unſrer Handlungen und die Ver¬
geßlichkeit die Richterin derſelben. Ach, An¬
tonie, ich beſchwöre dich! Nimm dieſe Klagen
nicht als die Frucht eines regneriſchen Tages;
o — ich leide an einem Schmerze, der unheil¬
bar iſt, da ich ihn gar nicht zu nennen weiß.
Das rennt, läuft, ſpringt, lacht, ſingt, weint,
zankt, — nun ſage mir um des Himmels Wil¬
len, was ſteckt dahinter? Was iſt der Kern
dieſer ſpiralförmig fortkreiſelnden Unruhe? Die
Männer ſind glücklich, weil man an ſie Anfor¬
derungen macht. Das Maaß ihrer Handlun¬
gen iſt der Beifall oder der Nutzen, den ſie
damit gewinnen. Auch dies ſage, warum wir
den Fauſt nicht leſen ſollen? Die Schilderung
jener Zweifel, die eines Menſchen Bruſt durch¬
wühlen können, macht uns vertraut mit ihnen
und die Wirkung derſelben für uns weniger
gefährlich. Aber ich fühl' es, daß ſich in je¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Gutzkow, Karl: Wally, die Zweiflerin. Mannheim, 1835, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_wally_1835/103>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.