Gutzkow, Karl: Die neuen Serapionsbrüder. Bd. 3. Breslau, 1877.rief nur immer: Wien! Wien! Da sollte ein "neues Leben" aufgehen. Den tiefen Riß, der durch Edwinas Seele ging, verstand die Frau nicht, deren einzige Poesie in ihrer schönen Heimath und in der Dosis Cyankali lag, die sie auf ihrem falschen Busen trug. Oft schon rang Edwina mit dem magern, gespenstischen, aber starken Weibe und wollte ihr das todbringende Fläschchen entreißen. Gieb! Gieb! Was soll mir Wien! Sieh', wie ich abfalle! konnte sie in einen alten Spiegel blickend verzweifelnd ausrufen. Sieh' diese grauen Haare! Diese hohlen Wangen! Sieh' diesen matten Blick! Ich will sterben -! Ich muß sterben -! Schminke ist kein Leben! Mich reißt Nichts mehr empor -! Die Ungarin lachte. Sie stutzte ihre Maruzza Abends immer wieder so auf, daß der erste Eindruck fast der alte blieb. Ich könnte Bücher schreiben! seufzte oft Edwina. Ich könnte den Philosophen Räthsel aufgeben! Haben die denn das Leben erkannt? Hat wohl Eure Rahel das Leben auch nur in Einer Pflicht erkannt? Sie hat Nichts beobachtet, als die Fliegen an der Wand. Sie hat jede Dummheit als wichtig ausgeschrieen! Es ist ja Alles halb, unfertig bei ihr, und der Ernst des Lebens will ein Entweder Oder - die gräuliche Alternative Tugend oder Nicht-Tugend! Und vor Allem geistige rief nur immer: Wien! Wien! Da sollte ein „neues Leben“ aufgehen. Den tiefen Riß, der durch Edwinas Seele ging, verstand die Frau nicht, deren einzige Poesie in ihrer schönen Heimath und in der Dosis Cyankali lag, die sie auf ihrem falschen Busen trug. Oft schon rang Edwina mit dem magern, gespenstischen, aber starken Weibe und wollte ihr das todbringende Fläschchen entreißen. Gieb! Gieb! Was soll mir Wien! Sieh’, wie ich abfalle! konnte sie in einen alten Spiegel blickend verzweifelnd ausrufen. Sieh’ diese grauen Haare! Diese hohlen Wangen! Sieh’ diesen matten Blick! Ich will sterben –! Ich muß sterben –! Schminke ist kein Leben! Mich reißt Nichts mehr empor –! Die Ungarin lachte. Sie stutzte ihre Maruzza Abends immer wieder so auf, daß der erste Eindruck fast der alte blieb. Ich könnte Bücher schreiben! seufzte oft Edwina. Ich könnte den Philosophen Räthsel aufgeben! Haben die denn das Leben erkannt? Hat wohl Eure Rahel das Leben auch nur in Einer Pflicht erkannt? Sie hat Nichts beobachtet, als die Fliegen an der Wand. Sie hat jede Dummheit als wichtig ausgeschrieen! Es ist ja Alles halb, unfertig bei ihr, und der Ernst des Lebens will ein Entweder Oder – die gräuliche Alternative Tugend oder Nicht-Tugend! Und vor Allem geistige <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0291" n="285"/> rief nur immer: Wien! Wien! Da sollte ein „neues Leben“ aufgehen. Den tiefen Riß, der durch Edwinas Seele ging, verstand die Frau nicht, deren einzige Poesie in ihrer schönen Heimath und in der Dosis Cyankali lag, die sie auf ihrem falschen Busen trug. Oft schon rang Edwina mit dem magern, gespenstischen, aber starken Weibe und wollte ihr das todbringende Fläschchen entreißen. Gieb! Gieb! Was soll mir Wien! Sieh’, wie ich abfalle! konnte sie in einen alten Spiegel blickend verzweifelnd ausrufen. Sieh’ diese grauen Haare! Diese hohlen Wangen! Sieh’ diesen matten Blick! Ich will sterben –! Ich muß sterben –! Schminke ist kein Leben! Mich reißt Nichts mehr empor –!</p> <p>Die Ungarin lachte. Sie stutzte ihre Maruzza Abends immer wieder so auf, daß der erste Eindruck fast der alte blieb.</p> <p>Ich könnte Bücher schreiben! seufzte oft Edwina. Ich könnte den Philosophen Räthsel aufgeben! Haben die denn das Leben erkannt? Hat wohl Eure Rahel das Leben auch nur in Einer Pflicht erkannt? Sie hat Nichts beobachtet, als die Fliegen an der Wand. Sie hat jede Dummheit als wichtig ausgeschrieen! Es ist ja Alles halb, unfertig bei ihr, und der Ernst des Lebens will ein Entweder Oder – die gräuliche Alternative Tugend oder Nicht-Tugend! Und vor Allem geistige </p> </div> </body> </text> </TEI> [285/0291]
rief nur immer: Wien! Wien! Da sollte ein „neues Leben“ aufgehen. Den tiefen Riß, der durch Edwinas Seele ging, verstand die Frau nicht, deren einzige Poesie in ihrer schönen Heimath und in der Dosis Cyankali lag, die sie auf ihrem falschen Busen trug. Oft schon rang Edwina mit dem magern, gespenstischen, aber starken Weibe und wollte ihr das todbringende Fläschchen entreißen. Gieb! Gieb! Was soll mir Wien! Sieh’, wie ich abfalle! konnte sie in einen alten Spiegel blickend verzweifelnd ausrufen. Sieh’ diese grauen Haare! Diese hohlen Wangen! Sieh’ diesen matten Blick! Ich will sterben –! Ich muß sterben –! Schminke ist kein Leben! Mich reißt Nichts mehr empor –!
Die Ungarin lachte. Sie stutzte ihre Maruzza Abends immer wieder so auf, daß der erste Eindruck fast der alte blieb.
Ich könnte Bücher schreiben! seufzte oft Edwina. Ich könnte den Philosophen Räthsel aufgeben! Haben die denn das Leben erkannt? Hat wohl Eure Rahel das Leben auch nur in Einer Pflicht erkannt? Sie hat Nichts beobachtet, als die Fliegen an der Wand. Sie hat jede Dummheit als wichtig ausgeschrieen! Es ist ja Alles halb, unfertig bei ihr, und der Ernst des Lebens will ein Entweder Oder – die gräuliche Alternative Tugend oder Nicht-Tugend! Und vor Allem geistige
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