Gutzkow, Karl: Die neuen Serapionsbrüder. Bd. 3. Breslau, 1877.Die letzte Wendung erfolgte, weil der Graf Helenen schluchzen hörte. Sie hatte ihr Haupt in den Shawl verborgen, darüber erschrak denn doch der Graf. Sein Seelenstudium verließ ihn. Er wußte nicht, warum man weinen kann, wenn man in solcher Weise von einem steinreichen Grafen eine Liebeserklärung empfängt. Es durchfuhr ihn ein Schrecken über vielleicht verletzte Weiblichkeit, verletzte sittliche Würde, ungeziemenden Mißbrauch einer vom Zufall gegebenen Situation. Er dachte auch an Ottomar und schwieg. Sein Herz hämmerte. Er konnte nicht ganz verstehen, daß Helenen war, als bräche ihr eine Welt zusammen, daß Alles, was sie bisher für schön, gut, sittlich gehalten, schwankte, aber er ahnte dergleichen. Aus dem Grafen sprach Helenen, der Neugläubigen, in der That die alte Schlange, Luzifer, der Versucher! Sie sah Christus auf dem Berge: Falle vor mir nieder und bete mich an und ich will Dir die Schätze der Welt geben! Wie das so im Hirn hin und hergeht! Wie die Bilder auftauchen, ungerufen! Die Vorrathskammer der Jugendeindrücke öffnet sich eben! Es ist Blutandrang, Fieber! sagt der Arzt. Der Philosoph muß sich doch tiefer ausdrücken. Der Graf hatte sich in die andere Ecke zurückgezogen und sprach still für sich, aber hörbar: Ich muß meine Zukunft retten! Ada geschieht es ja nach Wunsch! Es Die letzte Wendung erfolgte, weil der Graf Helenen schluchzen hörte. Sie hatte ihr Haupt in den Shawl verborgen, darüber erschrak denn doch der Graf. Sein Seelenstudium verließ ihn. Er wußte nicht, warum man weinen kann, wenn man in solcher Weise von einem steinreichen Grafen eine Liebeserklärung empfängt. Es durchfuhr ihn ein Schrecken über vielleicht verletzte Weiblichkeit, verletzte sittliche Würde, ungeziemenden Mißbrauch einer vom Zufall gegebenen Situation. Er dachte auch an Ottomar und schwieg. Sein Herz hämmerte. Er konnte nicht ganz verstehen, daß Helenen war, als bräche ihr eine Welt zusammen, daß Alles, was sie bisher für schön, gut, sittlich gehalten, schwankte, aber er ahnte dergleichen. Aus dem Grafen sprach Helenen, der Neugläubigen, in der That die alte Schlange, Luzifer, der Versucher! Sie sah Christus auf dem Berge: Falle vor mir nieder und bete mich an und ich will Dir die Schätze der Welt geben! Wie das so im Hirn hin und hergeht! Wie die Bilder auftauchen, ungerufen! Die Vorrathskammer der Jugendeindrücke öffnet sich eben! Es ist Blutandrang, Fieber! sagt der Arzt. Der Philosoph muß sich doch tiefer ausdrücken. Der Graf hatte sich in die andere Ecke zurückgezogen und sprach still für sich, aber hörbar: Ich muß meine Zukunft retten! Ada geschieht es ja nach Wunsch! Es <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0028" n="22"/> <p> Die letzte Wendung erfolgte, weil der Graf Helenen schluchzen hörte. Sie hatte ihr Haupt in den Shawl verborgen, darüber erschrak denn doch der Graf. Sein Seelenstudium verließ ihn. Er wußte nicht, warum man weinen kann, wenn man in solcher Weise von einem steinreichen Grafen eine Liebeserklärung empfängt. Es durchfuhr ihn ein Schrecken über vielleicht verletzte Weiblichkeit, verletzte sittliche Würde, ungeziemenden Mißbrauch einer vom Zufall gegebenen Situation. Er dachte auch an Ottomar und schwieg. Sein Herz hämmerte. Er konnte nicht ganz verstehen, daß Helenen war, als bräche ihr eine Welt zusammen, daß Alles, was sie bisher für schön, gut, sittlich gehalten, schwankte, aber er ahnte dergleichen. Aus dem Grafen sprach Helenen, der Neugläubigen, in der That die alte Schlange, Luzifer, der Versucher! Sie sah Christus auf dem Berge: Falle vor mir nieder und bete mich an und ich will Dir die Schätze der Welt geben! Wie das so im Hirn hin und hergeht! Wie die Bilder auftauchen, ungerufen! Die Vorrathskammer der Jugendeindrücke öffnet sich eben! Es ist Blutandrang, Fieber! sagt der Arzt. Der Philosoph muß sich doch tiefer ausdrücken.</p> <p>Der Graf hatte sich in die andere Ecke zurückgezogen und sprach still für sich, aber hörbar: Ich muß meine Zukunft retten! Ada geschieht es ja nach Wunsch! Es </p> </div> </body> </text> </TEI> [22/0028]
Die letzte Wendung erfolgte, weil der Graf Helenen schluchzen hörte. Sie hatte ihr Haupt in den Shawl verborgen, darüber erschrak denn doch der Graf. Sein Seelenstudium verließ ihn. Er wußte nicht, warum man weinen kann, wenn man in solcher Weise von einem steinreichen Grafen eine Liebeserklärung empfängt. Es durchfuhr ihn ein Schrecken über vielleicht verletzte Weiblichkeit, verletzte sittliche Würde, ungeziemenden Mißbrauch einer vom Zufall gegebenen Situation. Er dachte auch an Ottomar und schwieg. Sein Herz hämmerte. Er konnte nicht ganz verstehen, daß Helenen war, als bräche ihr eine Welt zusammen, daß Alles, was sie bisher für schön, gut, sittlich gehalten, schwankte, aber er ahnte dergleichen. Aus dem Grafen sprach Helenen, der Neugläubigen, in der That die alte Schlange, Luzifer, der Versucher! Sie sah Christus auf dem Berge: Falle vor mir nieder und bete mich an und ich will Dir die Schätze der Welt geben! Wie das so im Hirn hin und hergeht! Wie die Bilder auftauchen, ungerufen! Die Vorrathskammer der Jugendeindrücke öffnet sich eben! Es ist Blutandrang, Fieber! sagt der Arzt. Der Philosoph muß sich doch tiefer ausdrücken.
Der Graf hatte sich in die andere Ecke zurückgezogen und sprach still für sich, aber hörbar: Ich muß meine Zukunft retten! Ada geschieht es ja nach Wunsch! Es
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Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die neuen Serapionsbrüder. Bd. 3. Breslau, 1877, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_serapionsbrueder03_1877/28>, abgerufen am 16.02.2025. |