Gutzkow, Karl: Die neuen Serapionsbrüder. Bd. 3. Breslau, 1877.Arbeitern zu oft beobachtet. Es that ihm leid, daß durch einen Arzt der Vorfall sogleich in's Publikum dringen mußte. Raimunds Stellung zum Leben war für immer verdorben, wenn es geschah! Er schwankte. Er selbst war bis zum Weinen erschüttert. Wenn Martha das sähe! O wie wohl würden ihm Raimunds Thränen gethan haben, wenn sich diese aus einem plötzlichen, noch als unangebrochen sich kundgebenden reinen Quell der Empfindung kommend bei dem talentvollen Manne verrathen hätten! Wie gerne würde er selbst die Umarmung als eine brüderliche hingenommen und die schöne Vereinigung der Seelenstimmungen gefeiert haben, die in dem Bunde der Verschwägerung liegen können! Eine Fortsetzung des elterlichen Hauses ist ja die Welt einer verheiratheten Schwester für die Schwester, für deren Gatten! Der Bruder gewinnt mit dem Gatten seiner Schwester einen theilnehmenden Beobachter seiner eigenen Bestrebungen! Die gewonnene Schwägerin läßt alle Grade der Zögerung, ihr Inneres zu zeigen, überspringen, Hindernisse fallen, die sonst der Annäherung an ein weibliches Wesen voranzugehen pflegen, eine fremde Persönlichkeit ist uns wie durch ein Wunder gewonnen! Aber hier -! Hier war Alles verschüttet. Wolny blieb daheim und beobachtete die Bewegungen des allmälig Einschlummernden. Den abgetrockneten Arbeitern zu oft beobachtet. Es that ihm leid, daß durch einen Arzt der Vorfall sogleich in’s Publikum dringen mußte. Raimunds Stellung zum Leben war für immer verdorben, wenn es geschah! Er schwankte. Er selbst war bis zum Weinen erschüttert. Wenn Martha das sähe! O wie wohl würden ihm Raimunds Thränen gethan haben, wenn sich diese aus einem plötzlichen, noch als unangebrochen sich kundgebenden reinen Quell der Empfindung kommend bei dem talentvollen Manne verrathen hätten! Wie gerne würde er selbst die Umarmung als eine brüderliche hingenommen und die schöne Vereinigung der Seelenstimmungen gefeiert haben, die in dem Bunde der Verschwägerung liegen können! Eine Fortsetzung des elterlichen Hauses ist ja die Welt einer verheiratheten Schwester für die Schwester, für deren Gatten! Der Bruder gewinnt mit dem Gatten seiner Schwester einen theilnehmenden Beobachter seiner eigenen Bestrebungen! Die gewonnene Schwägerin läßt alle Grade der Zögerung, ihr Inneres zu zeigen, überspringen, Hindernisse fallen, die sonst der Annäherung an ein weibliches Wesen voranzugehen pflegen, eine fremde Persönlichkeit ist uns wie durch ein Wunder gewonnen! Aber hier –! Hier war Alles verschüttet. Wolny blieb daheim und beobachtete die Bewegungen des allmälig Einschlummernden. Den abgetrockneten <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0234" n="228"/> Arbeitern zu oft beobachtet. Es that ihm leid, daß durch einen Arzt der Vorfall sogleich in’s Publikum dringen mußte. Raimunds Stellung zum Leben war für immer verdorben, wenn es geschah! Er schwankte. Er selbst war bis zum Weinen erschüttert. Wenn Martha das sähe! O wie wohl würden ihm Raimunds Thränen gethan haben, wenn sich diese aus einem plötzlichen, noch als unangebrochen sich kundgebenden reinen Quell der Empfindung kommend bei dem talentvollen Manne verrathen hätten! Wie gerne würde er selbst die Umarmung als eine brüderliche hingenommen und die schöne Vereinigung der Seelenstimmungen gefeiert haben, die in dem Bunde der Verschwägerung liegen können! Eine Fortsetzung des elterlichen Hauses ist ja die Welt einer verheiratheten Schwester für die Schwester, für deren Gatten! Der Bruder gewinnt mit dem Gatten seiner Schwester einen theilnehmenden Beobachter seiner eigenen Bestrebungen! Die gewonnene Schwägerin läßt alle Grade der Zögerung, ihr Inneres zu zeigen, überspringen, Hindernisse fallen, die sonst der Annäherung an ein weibliches Wesen voranzugehen pflegen, eine fremde Persönlichkeit ist uns wie durch ein Wunder gewonnen! Aber hier –! Hier war Alles verschüttet.</p> <p>Wolny blieb daheim und beobachtete die Bewegungen des allmälig Einschlummernden. Den abgetrockneten </p> </div> </body> </text> </TEI> [228/0234]
Arbeitern zu oft beobachtet. Es that ihm leid, daß durch einen Arzt der Vorfall sogleich in’s Publikum dringen mußte. Raimunds Stellung zum Leben war für immer verdorben, wenn es geschah! Er schwankte. Er selbst war bis zum Weinen erschüttert. Wenn Martha das sähe! O wie wohl würden ihm Raimunds Thränen gethan haben, wenn sich diese aus einem plötzlichen, noch als unangebrochen sich kundgebenden reinen Quell der Empfindung kommend bei dem talentvollen Manne verrathen hätten! Wie gerne würde er selbst die Umarmung als eine brüderliche hingenommen und die schöne Vereinigung der Seelenstimmungen gefeiert haben, die in dem Bunde der Verschwägerung liegen können! Eine Fortsetzung des elterlichen Hauses ist ja die Welt einer verheiratheten Schwester für die Schwester, für deren Gatten! Der Bruder gewinnt mit dem Gatten seiner Schwester einen theilnehmenden Beobachter seiner eigenen Bestrebungen! Die gewonnene Schwägerin läßt alle Grade der Zögerung, ihr Inneres zu zeigen, überspringen, Hindernisse fallen, die sonst der Annäherung an ein weibliches Wesen voranzugehen pflegen, eine fremde Persönlichkeit ist uns wie durch ein Wunder gewonnen! Aber hier –! Hier war Alles verschüttet.
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