Gutzkow, Karl: Die neuen Serapionsbrüder. Bd. 2. Breslau, 1877.schmerzlicher Waldhornruf einzog und ihn immer so erschütterte, daß er minutenlang sitzen, den Brief in der Hand behalten und starr wie in's Leere blicken konnte, kam regelmäßig die Aufforderung: "Erzähle mir doch endlich, endlich etwas von dem curiosen Leben der Marloff!" Lieber Herr Althing, sagte Edwina, als auch sie erschien und, wie dies so eingeführt war, die Regierungsräthin vertrat, die zu beschäftigt war oder, wenn diese erschien, sich allmälig verschwinden machte, was ist doch Alles passirt, seit wir uns zum erstenmal gesehen! Ich, damals ganz Zimmerpflanze zum Krankwerden, damals nur für den Edelsten der Menschen lebend, nicht achtend, was die Menschen von mir redeten, mit einer Kette an der Thüre Jeden abweisend, der in meinen stillen Frieden dringen wollte! Die Sprachlehrerinnen kannten gewisse Zeichen, um sich zu erkennen zu geben, besonders Abends, wenn einmal wieder im Haus das Gas ausgeblieben war! Sie hätten gestern hier, fuhr sie fort, bei einem Streit zugegen sein sollen, ob man das noch einen Poeten nennen könnte, der aus dem ungeheuern Vorrath an köstlichen Redewendungen, der in hundert vor so einem soi disant-Dichter aufgeschlagenen Büchern läge, für eine allbekannte alte Geschichte eine neue Bekleidung heraussuchte! Man sagte: Eine mit Feuer und Geist schmerzlicher Waldhornruf einzog und ihn immer so erschütterte, daß er minutenlang sitzen, den Brief in der Hand behalten und starr wie in’s Leere blicken konnte, kam regelmäßig die Aufforderung: „Erzähle mir doch endlich, endlich etwas von dem curiosen Leben der Marloff!“ Lieber Herr Althing, sagte Edwina, als auch sie erschien und, wie dies so eingeführt war, die Regierungsräthin vertrat, die zu beschäftigt war oder, wenn diese erschien, sich allmälig verschwinden machte, was ist doch Alles passirt, seit wir uns zum erstenmal gesehen! Ich, damals ganz Zimmerpflanze zum Krankwerden, damals nur für den Edelsten der Menschen lebend, nicht achtend, was die Menschen von mir redeten, mit einer Kette an der Thüre Jeden abweisend, der in meinen stillen Frieden dringen wollte! Die Sprachlehrerinnen kannten gewisse Zeichen, um sich zu erkennen zu geben, besonders Abends, wenn einmal wieder im Haus das Gas ausgeblieben war! Sie hätten gestern hier, fuhr sie fort, bei einem Streit zugegen sein sollen, ob man das noch einen Poeten nennen könnte, der aus dem ungeheuern Vorrath an köstlichen Redewendungen, der in hundert vor so einem soi disant-Dichter aufgeschlagenen Büchern läge, für eine allbekannte alte Geschichte eine neue Bekleidung heraussuchte! Man sagte: Eine mit Feuer und Geist <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0097" n="91"/> schmerzlicher Waldhornruf einzog und ihn immer so erschütterte, daß er minutenlang sitzen, den Brief in der Hand behalten und starr wie in’s Leere blicken konnte, kam regelmäßig die Aufforderung: „Erzähle mir doch endlich, endlich etwas von dem curiosen Leben der Marloff!“</p> <p>Lieber Herr Althing, sagte Edwina, als auch sie erschien und, wie dies so eingeführt war, die Regierungsräthin vertrat, die zu beschäftigt war oder, wenn diese erschien, sich allmälig verschwinden machte, was ist doch Alles passirt, seit wir uns zum erstenmal gesehen! Ich, damals ganz Zimmerpflanze zum Krankwerden, damals nur für den Edelsten der Menschen lebend, nicht achtend, was die Menschen von mir redeten, mit einer Kette an der Thüre Jeden abweisend, der in meinen stillen Frieden dringen wollte! Die Sprachlehrerinnen kannten gewisse Zeichen, um sich zu erkennen zu geben, besonders Abends, wenn einmal wieder im Haus das Gas ausgeblieben war! Sie hätten gestern hier, fuhr sie fort, bei einem Streit zugegen sein sollen, ob man das noch einen Poeten nennen könnte, der aus dem ungeheuern Vorrath an köstlichen Redewendungen, der in hundert vor so einem <ref xml:id="TEXTsoidisantDichter" type="editorialNote" target="NSer3E.htm#ERLsoidisantDichter"><hi rendition="#aq">soi disant</hi>-Dichter</ref> aufgeschlagenen Büchern läge, für eine allbekannte alte Geschichte eine neue Bekleidung heraussuchte! Man sagte: Eine mit Feuer und Geist </p> </div> </body> </text> </TEI> [91/0097]
schmerzlicher Waldhornruf einzog und ihn immer so erschütterte, daß er minutenlang sitzen, den Brief in der Hand behalten und starr wie in’s Leere blicken konnte, kam regelmäßig die Aufforderung: „Erzähle mir doch endlich, endlich etwas von dem curiosen Leben der Marloff!“
Lieber Herr Althing, sagte Edwina, als auch sie erschien und, wie dies so eingeführt war, die Regierungsräthin vertrat, die zu beschäftigt war oder, wenn diese erschien, sich allmälig verschwinden machte, was ist doch Alles passirt, seit wir uns zum erstenmal gesehen! Ich, damals ganz Zimmerpflanze zum Krankwerden, damals nur für den Edelsten der Menschen lebend, nicht achtend, was die Menschen von mir redeten, mit einer Kette an der Thüre Jeden abweisend, der in meinen stillen Frieden dringen wollte! Die Sprachlehrerinnen kannten gewisse Zeichen, um sich zu erkennen zu geben, besonders Abends, wenn einmal wieder im Haus das Gas ausgeblieben war! Sie hätten gestern hier, fuhr sie fort, bei einem Streit zugegen sein sollen, ob man das noch einen Poeten nennen könnte, der aus dem ungeheuern Vorrath an köstlichen Redewendungen, der in hundert vor so einem soi disant-Dichter aufgeschlagenen Büchern läge, für eine allbekannte alte Geschichte eine neue Bekleidung heraussuchte! Man sagte: Eine mit Feuer und Geist
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Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die neuen Serapionsbrüder. Bd. 2. Breslau, 1877, S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_serapionsbrueder02_1877/97>, abgerufen am 23.07.2024. |