Gutzkow, Karl: Die neuen Serapionsbrüder. Bd. 2. Breslau, 1877.Ich werde wieder an meinen Joseph gehen, sagte die Schwester ärgerlich. Sie suchte ihre Lectüre. Eine Pause trat ein. Die Kranke röchelte. Hörst Du nicht Glocken gehen ? hauchte sie wieder leise. Dabei faltete sie die Hände. Sie schien wie verlassen von allen irdischen Gedanken. Sogar die Briefschaften, die ihre Schwester so ergötzt hatten, die Entdeckung, daß Harrys Frau in Wolny mit wahrhaft exaltirten Ausbrüchen ihrer Neigung verliebt gewesen, Nichts schien sie noch an die Bedingungen des Lebens zu fesseln. Eine Verklärung legte sich auf ihre Gesichtszüge. Diese waren ja von Natur edel und schön; nur durch die fortwährende Bemalung und Verschlemmung mit Puder oder Schönheitsmitteln anderer Art hatte sie sich eine Unzahl von Runzeln und Flecken erworben. Indem rollten wirklich Wagen vor. Nicht lange darauf kam ein Mädchen und flüsterte mit Dora. Die Leidende, die ganz in einer andern Welt zu leben schien, rief: - Martha! Man hörte nicht auf sie. Tante Dora ging schnell hinaus. Allmälig spürte die Kranke, daß sie allein war. Sie erhob sich, hörte sprechen, wiederum Wagen rasseln. Nun klingelte sie. Sie wäre im Stande gewesen, wenn Gräfin Treuenfels vorgefahren wäre, sich sofort auf- Ich werde wieder an meinen Joseph gehen, sagte die Schwester ärgerlich. Sie suchte ihre Lectüre. Eine Pause trat ein. Die Kranke röchelte. Hörst Du nicht Glocken gehen ? hauchte sie wieder leise. Dabei faltete sie die Hände. Sie schien wie verlassen von allen irdischen Gedanken. Sogar die Briefschaften, die ihre Schwester so ergötzt hatten, die Entdeckung, daß Harrys Frau in Wolny mit wahrhaft exaltirten Ausbrüchen ihrer Neigung verliebt gewesen, Nichts schien sie noch an die Bedingungen des Lebens zu fesseln. Eine Verklärung legte sich auf ihre Gesichtszüge. Diese waren ja von Natur edel und schön; nur durch die fortwährende Bemalung und Verschlemmung mit Puder oder Schönheitsmitteln anderer Art hatte sie sich eine Unzahl von Runzeln und Flecken erworben. Indem rollten wirklich Wagen vor. Nicht lange darauf kam ein Mädchen und flüsterte mit Dora. Die Leidende, die ganz in einer andern Welt zu leben schien, rief: – Martha! Man hörte nicht auf sie. Tante Dora ging schnell hinaus. Allmälig spürte die Kranke, daß sie allein war. Sie erhob sich, hörte sprechen, wiederum Wagen rasseln. Nun klingelte sie. Sie wäre im Stande gewesen, wenn Gräfin Treuenfels vorgefahren wäre, sich sofort auf- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0039" n="33"/> <p> Ich werde wieder an meinen Joseph gehen, sagte die Schwester ärgerlich. Sie suchte ihre Lectüre.</p> <p>Eine Pause trat ein. Die Kranke röchelte. Hörst Du nicht Glocken gehen ? hauchte sie wieder leise. Dabei faltete sie die Hände. Sie schien wie verlassen von allen irdischen Gedanken. Sogar die Briefschaften, die ihre Schwester so ergötzt hatten, die Entdeckung, daß Harrys Frau in Wolny mit wahrhaft exaltirten Ausbrüchen ihrer Neigung verliebt gewesen, Nichts schien sie noch an die Bedingungen des Lebens zu fesseln. Eine Verklärung legte sich auf ihre Gesichtszüge. Diese waren ja von Natur edel und schön; nur durch die fortwährende Bemalung und Verschlemmung mit Puder oder Schönheitsmitteln anderer Art hatte sie sich eine Unzahl von Runzeln und Flecken erworben.</p> <p>Indem rollten wirklich Wagen vor.</p> <p>Nicht lange darauf kam ein Mädchen und flüsterte mit Dora.</p> <p>Die Leidende, die ganz in einer andern Welt zu leben schien, rief: – Martha!</p> <p>Man hörte nicht auf sie. Tante Dora ging schnell hinaus. Allmälig spürte die Kranke, daß sie allein war. Sie erhob sich, hörte sprechen, wiederum Wagen rasseln. Nun klingelte sie. Sie wäre im Stande gewesen, wenn Gräfin Treuenfels vorgefahren wäre, sich sofort auf- </p> </div> </body> </text> </TEI> [33/0039]
Ich werde wieder an meinen Joseph gehen, sagte die Schwester ärgerlich. Sie suchte ihre Lectüre.
Eine Pause trat ein. Die Kranke röchelte. Hörst Du nicht Glocken gehen ? hauchte sie wieder leise. Dabei faltete sie die Hände. Sie schien wie verlassen von allen irdischen Gedanken. Sogar die Briefschaften, die ihre Schwester so ergötzt hatten, die Entdeckung, daß Harrys Frau in Wolny mit wahrhaft exaltirten Ausbrüchen ihrer Neigung verliebt gewesen, Nichts schien sie noch an die Bedingungen des Lebens zu fesseln. Eine Verklärung legte sich auf ihre Gesichtszüge. Diese waren ja von Natur edel und schön; nur durch die fortwährende Bemalung und Verschlemmung mit Puder oder Schönheitsmitteln anderer Art hatte sie sich eine Unzahl von Runzeln und Flecken erworben.
Indem rollten wirklich Wagen vor.
Nicht lange darauf kam ein Mädchen und flüsterte mit Dora.
Die Leidende, die ganz in einer andern Welt zu leben schien, rief: – Martha!
Man hörte nicht auf sie. Tante Dora ging schnell hinaus. Allmälig spürte die Kranke, daß sie allein war. Sie erhob sich, hörte sprechen, wiederum Wagen rasseln. Nun klingelte sie. Sie wäre im Stande gewesen, wenn Gräfin Treuenfels vorgefahren wäre, sich sofort auf-
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Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die neuen Serapionsbrüder. Bd. 2. Breslau, 1877, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_serapionsbrueder02_1877/39>, abgerufen am 16.02.2025. |