Gutzkow, Karl: Die neuen Serapionsbrüder. Bd. 2. Breslau, 1877.Schreibpulte und Thüren und Fenster. Feierabend! O des vergeßlichen Kassirers! Am andern Morgen wußte man ja Alles - ha, das Schlüsselbund wurde schon sogleich geholt! Wie hätte wohl der alte weißhaarige Mann nur zehn Schritte über die Straße gehen können, ohne an seine Beinkleidertasche zu tasten! Aber gezählt wird so spät nichts mehr. Die Lichter sind ein paar Talglichter so in einem alten Millionär-Comptoir von damals - bald ausgelöscht - wie - Millionäre! Alles war dunkel. Dreitausend Thaler fehlten. Die Schulden können bezahlt werden! Aber nun - nun - was nun -? Nach Amerika? Oder zurück morgen früh auf den alten ledernen, mit Löchern gesegneten Sessel, aus denen Kälberhaare quillen? Der Commissär wird gerufen werden. "Sie waren zuletzt im Comptoir, als ich die Schlüssel vergaß!" Was sage ich da? Jesus, die Geldscheine werden mir schwer, immer schwerer, werden Mühlsteine, ziehen mich nieder, in den Strom -! Mein Leben muß enden - Hülfe! Hülfe! Da war es plötzlich, wie wenn jene Künstler, denen sich Serapion verkauft hatte, auf Flöten geblasen hätten. O, so sanft! So weich! So liebevoll und milde! Sie gaben ihrem Sklaven die Freiheit! Ein Freund, noch gegen Mitternacht aufgesucht, ein College - der ertrug die stürmische Umarmung eines Verzweifelnden, Reue- Schreibpulte und Thüren und Fenster. Feierabend! O des vergeßlichen Kassirers! Am andern Morgen wußte man ja Alles – ha, das Schlüsselbund wurde schon sogleich geholt! Wie hätte wohl der alte weißhaarige Mann nur zehn Schritte über die Straße gehen können, ohne an seine Beinkleidertasche zu tasten! Aber gezählt wird so spät nichts mehr. Die Lichter sind ein paar Talglichter so in einem alten Millionär-Comptoir von damals – bald ausgelöscht – wie – Millionäre! Alles war dunkel. Dreitausend Thaler fehlten. Die Schulden können bezahlt werden! Aber nun – nun – was nun –? Nach Amerika? Oder zurück morgen früh auf den alten ledernen, mit Löchern gesegneten Sessel, aus denen Kälberhaare quillen? Der Commissär wird gerufen werden. „Sie waren zuletzt im Comptoir, als ich die Schlüssel vergaß!“ Was sage ich da? Jesus, die Geldscheine werden mir schwer, immer schwerer, werden Mühlsteine, ziehen mich nieder, in den Strom –! Mein Leben muß enden – Hülfe! Hülfe! Da war es plötzlich, wie wenn jene Künstler, denen sich Serapion verkauft hatte, auf Flöten geblasen hätten. O, so sanft! So weich! So liebevoll und milde! Sie gaben ihrem Sklaven die Freiheit! Ein Freund, noch gegen Mitternacht aufgesucht, ein College – der ertrug die stürmische Umarmung eines Verzweifelnden, Reue- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0199" n="193"/> Schreibpulte und Thüren und Fenster. Feierabend! O des vergeßlichen Kassirers! Am andern Morgen wußte man ja Alles – ha, das Schlüsselbund wurde schon sogleich geholt! Wie hätte wohl der alte weißhaarige Mann nur zehn Schritte über die Straße gehen können, ohne an seine Beinkleidertasche zu tasten! Aber gezählt wird so spät nichts mehr. Die Lichter sind ein paar Talglichter so in einem alten Millionär-Comptoir von damals – bald ausgelöscht – wie – Millionäre! Alles war dunkel. Dreitausend Thaler fehlten.</p> <p>Die Schulden können bezahlt werden! Aber nun – nun – was nun –? Nach Amerika? Oder zurück morgen früh auf den alten ledernen, mit Löchern gesegneten Sessel, aus denen Kälberhaare quillen? Der Commissär wird gerufen werden. „Sie waren zuletzt im Comptoir, als ich die Schlüssel vergaß!“ Was sage ich da? Jesus, die Geldscheine werden mir schwer, immer schwerer, werden Mühlsteine, ziehen mich nieder, in den Strom –! Mein Leben muß enden – Hülfe! Hülfe!</p> <p>Da war es plötzlich, wie wenn jene Künstler, denen sich Serapion verkauft hatte, auf Flöten geblasen hätten. O, so sanft! So weich! So liebevoll und milde! Sie gaben ihrem Sklaven die Freiheit! Ein Freund, noch gegen Mitternacht aufgesucht, ein College – der ertrug die stürmische Umarmung eines Verzweifelnden, Reue- </p> </div> </body> </text> </TEI> [193/0199]
Schreibpulte und Thüren und Fenster. Feierabend! O des vergeßlichen Kassirers! Am andern Morgen wußte man ja Alles – ha, das Schlüsselbund wurde schon sogleich geholt! Wie hätte wohl der alte weißhaarige Mann nur zehn Schritte über die Straße gehen können, ohne an seine Beinkleidertasche zu tasten! Aber gezählt wird so spät nichts mehr. Die Lichter sind ein paar Talglichter so in einem alten Millionär-Comptoir von damals – bald ausgelöscht – wie – Millionäre! Alles war dunkel. Dreitausend Thaler fehlten.
Die Schulden können bezahlt werden! Aber nun – nun – was nun –? Nach Amerika? Oder zurück morgen früh auf den alten ledernen, mit Löchern gesegneten Sessel, aus denen Kälberhaare quillen? Der Commissär wird gerufen werden. „Sie waren zuletzt im Comptoir, als ich die Schlüssel vergaß!“ Was sage ich da? Jesus, die Geldscheine werden mir schwer, immer schwerer, werden Mühlsteine, ziehen mich nieder, in den Strom –! Mein Leben muß enden – Hülfe! Hülfe!
Da war es plötzlich, wie wenn jene Künstler, denen sich Serapion verkauft hatte, auf Flöten geblasen hätten. O, so sanft! So weich! So liebevoll und milde! Sie gaben ihrem Sklaven die Freiheit! Ein Freund, noch gegen Mitternacht aufgesucht, ein College – der ertrug die stürmische Umarmung eines Verzweifelnden, Reue-
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Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die neuen Serapionsbrüder. Bd. 2. Breslau, 1877, S. 193. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_serapionsbrueder02_1877/199>, abgerufen am 23.07.2024. |