Gutzkow, Karl: Die neuen Serapionsbrüder. Bd. 2. Breslau, 1877.die Wälder! seufzte sein Grübeln. Hochlinden - - soll so reich an schattigen Wäldern sein! Ottomar räumte einige Bücher über die neuere Entwickelungstheorie vom Tisch und sah aus dem Vorhandensein derselben, daß auch er Anlaß genug haben konnte, sich einmal eine ländliche Muße zu gönnen, um sie zu lesen. Er dachte über die Fragen dieser Bücher nach. Da fassen sie den Menschen als ein Einzelnes, einen Spargel wie den andern! Der Eine wächst dünner, der Andere dicker! Und das große Räthsel der Menschheit ist grade die bunte Verwobenheit aller Naturen und Interessen ineinander, das Concert der Geister und der Herzen! Was regiert denn? Das, was sogut wie außer uns lebt! Wer versteht es? Zum Schlummer bringen uns Gedanken nicht, nur Bilder der Phantasie. Der Schlaf hat eine eigne Gattung von Bildern. Sind diese grotesk, wie etwa wenn sie Dieterici, mit dem Wickelkind und vom Strahl der Spritze getroffen, vorstellten, dann mit der Pistole in der Hand, so stören sie den Schlaf, sie werden zu Gedanken. Aber mattgrüne Landschaften mit Wiesengrund und stutzenden Rehen darauf, die im Waldesdickicht verschwinden, lindenbeschattete Schlösser, kleine Springbrunnen auf Wiesenmatten mit beschnittenen Taxushecken ringsum - das sind Vorstellungen, unter denen die Seele sich beruhigen die Wälder! seufzte sein Grübeln. Hochlinden – – soll so reich an schattigen Wäldern sein! Ottomar räumte einige Bücher über die neuere Entwickelungstheorie vom Tisch und sah aus dem Vorhandensein derselben, daß auch er Anlaß genug haben konnte, sich einmal eine ländliche Muße zu gönnen, um sie zu lesen. Er dachte über die Fragen dieser Bücher nach. Da fassen sie den Menschen als ein Einzelnes, einen Spargel wie den andern! Der Eine wächst dünner, der Andere dicker! Und das große Räthsel der Menschheit ist grade die bunte Verwobenheit aller Naturen und Interessen ineinander, das Concert der Geister und der Herzen! Was regiert denn? Das, was sogut wie außer uns lebt! Wer versteht es? Zum Schlummer bringen uns Gedanken nicht, nur Bilder der Phantasie. Der Schlaf hat eine eigne Gattung von Bildern. Sind diese grotesk, wie etwa wenn sie Dieterici, mit dem Wickelkind und vom Strahl der Spritze getroffen, vorstellten, dann mit der Pistole in der Hand, so stören sie den Schlaf, sie werden zu Gedanken. Aber mattgrüne Landschaften mit Wiesengrund und stutzenden Rehen darauf, die im Waldesdickicht verschwinden, lindenbeschattete Schlösser, kleine Springbrunnen auf Wiesenmatten mit beschnittenen Taxushecken ringsum – das sind Vorstellungen, unter denen die Seele sich beruhigen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0194" n="188"/> die Wälder! seufzte sein Grübeln. Hochlinden – – soll so reich an schattigen Wäldern sein!</p> <p>Ottomar räumte <ref xml:id="TEXTeinigeBISEntwicklungstheorie" type="editorialNote" target="NSer3E.htm#ERLeinigeBISEntwicklungstheorie">einige Bücher über die neuere Entwickelungstheorie</ref> vom Tisch und sah aus dem Vorhandensein derselben, daß auch er Anlaß genug haben konnte, sich einmal eine ländliche Muße zu gönnen, um sie zu lesen. Er dachte über die Fragen dieser Bücher nach. Da fassen sie den Menschen als ein Einzelnes, einen Spargel wie den andern! Der Eine wächst dünner, der Andere dicker! Und das große Räthsel der Menschheit ist grade die bunte Verwobenheit aller Naturen und Interessen ineinander, das Concert der Geister und der Herzen! Was regiert denn? Das, was sogut wie außer uns lebt! Wer versteht es?</p> <p>Zum Schlummer bringen uns Gedanken nicht, nur Bilder der Phantasie. Der Schlaf hat eine eigne Gattung von Bildern. Sind diese grotesk, wie etwa wenn sie Dieterici, mit dem Wickelkind und vom Strahl der Spritze getroffen, vorstellten, dann mit der Pistole in der Hand, so stören sie den Schlaf, sie werden zu Gedanken. Aber mattgrüne Landschaften mit Wiesengrund und stutzenden Rehen darauf, die im Waldesdickicht verschwinden, lindenbeschattete Schlösser, kleine Springbrunnen auf Wiesenmatten mit beschnittenen Taxushecken ringsum – das sind Vorstellungen, unter denen die Seele sich beruhigen </p> </div> </body> </text> </TEI> [188/0194]
die Wälder! seufzte sein Grübeln. Hochlinden – – soll so reich an schattigen Wäldern sein!
Ottomar räumte einige Bücher über die neuere Entwickelungstheorie vom Tisch und sah aus dem Vorhandensein derselben, daß auch er Anlaß genug haben konnte, sich einmal eine ländliche Muße zu gönnen, um sie zu lesen. Er dachte über die Fragen dieser Bücher nach. Da fassen sie den Menschen als ein Einzelnes, einen Spargel wie den andern! Der Eine wächst dünner, der Andere dicker! Und das große Räthsel der Menschheit ist grade die bunte Verwobenheit aller Naturen und Interessen ineinander, das Concert der Geister und der Herzen! Was regiert denn? Das, was sogut wie außer uns lebt! Wer versteht es?
Zum Schlummer bringen uns Gedanken nicht, nur Bilder der Phantasie. Der Schlaf hat eine eigne Gattung von Bildern. Sind diese grotesk, wie etwa wenn sie Dieterici, mit dem Wickelkind und vom Strahl der Spritze getroffen, vorstellten, dann mit der Pistole in der Hand, so stören sie den Schlaf, sie werden zu Gedanken. Aber mattgrüne Landschaften mit Wiesengrund und stutzenden Rehen darauf, die im Waldesdickicht verschwinden, lindenbeschattete Schlösser, kleine Springbrunnen auf Wiesenmatten mit beschnittenen Taxushecken ringsum – das sind Vorstellungen, unter denen die Seele sich beruhigen
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Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die neuen Serapionsbrüder. Bd. 2. Breslau, 1877, S. 188. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_serapionsbrueder02_1877/194>, abgerufen am 17.02.2025. |