Gutzkow, Karl: Die neuen Serapionsbrüder. Bd. 2. Breslau, 1877.würdigkeiten -" schrieb der Vater. Dem war in der That so. Ottomar mußte es eingestehen. Als geborne Fürstin hatte die Wittwe das Hofdamenbedürfniß. Ihr Gatte mochte aus einer besondern Caprice kein solches weibliches Element im Hause dulden. Edwina, die eine Menge von Aeußerungen ihres "Sokrates" aufgezeichnet hatte, würde hier haben die gelegentliche Aeußerung desselben citiren können: "Es stört dergleichen die Intimität zwischen Mann und Frau und ist die Hofdame hübsch" - so konnte aus einer andern Stelle citirt werden - "so fliehe vor Allem die Gelegenheit zur Sünde!" Ottomar starrte wie in einen Abgrund. Er sah, was kommen mußte. Er sah eine große Prüfung. Vielleicht begleitete des Vaters Gedanken auch - die Läuterung von vier eigenthümlich verbundenen Seelen! Bei Alledem ergriff ein Schauder den Sohn, wenn er an seine geliebte Schwester dachte. Wagte sich das besonnene, so verständige Mädchen in die Gefahr, nur um sich dagegen abzustumpfen: wie leicht konnte sie untergehen! Ihre einzige Waffe war ihre Tugend; ihr Harnisch ihre angeborne Stimmung zur Lebensheiterkeit. Aber wenn sie dennoch erläge? Der aufgeregten Phantasie des jungen Mannes schwebte der Vater wie König Lear mit seiner entseelten Cordelia im Arme vor. Ueber den Grafen Udo hatte er noch immer kein endgültiges Urtheil. Diese würdigkeiten –“ schrieb der Vater. Dem war in der That so. Ottomar mußte es eingestehen. Als geborne Fürstin hatte die Wittwe das Hofdamenbedürfniß. Ihr Gatte mochte aus einer besondern Caprice kein solches weibliches Element im Hause dulden. Edwina, die eine Menge von Aeußerungen ihres „Sokrates“ aufgezeichnet hatte, würde hier haben die gelegentliche Aeußerung desselben citiren können: „Es stört dergleichen die Intimität zwischen Mann und Frau und ist die Hofdame hübsch“ – so konnte aus einer andern Stelle citirt werden – „so fliehe vor Allem die Gelegenheit zur Sünde!“ Ottomar starrte wie in einen Abgrund. Er sah, was kommen mußte. Er sah eine große Prüfung. Vielleicht begleitete des Vaters Gedanken auch – die Läuterung von vier eigenthümlich verbundenen Seelen! Bei Alledem ergriff ein Schauder den Sohn, wenn er an seine geliebte Schwester dachte. Wagte sich das besonnene, so verständige Mädchen in die Gefahr, nur um sich dagegen abzustumpfen: wie leicht konnte sie untergehen! Ihre einzige Waffe war ihre Tugend; ihr Harnisch ihre angeborne Stimmung zur Lebensheiterkeit. Aber wenn sie dennoch erläge? Der aufgeregten Phantasie des jungen Mannes schwebte der Vater wie König Lear mit seiner entseelten Cordelia im Arme vor. Ueber den Grafen Udo hatte er noch immer kein endgültiges Urtheil. Diese <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0192" n="186"/> würdigkeiten –“ schrieb der Vater. Dem war in der That so. Ottomar mußte es eingestehen. Als geborne Fürstin hatte die Wittwe das Hofdamenbedürfniß. Ihr Gatte mochte aus einer besondern Caprice kein solches weibliches Element im Hause dulden. Edwina, die eine Menge von Aeußerungen ihres „Sokrates“ aufgezeichnet hatte, würde hier haben die gelegentliche Aeußerung desselben citiren können: „Es stört dergleichen die Intimität zwischen Mann und Frau und ist die Hofdame hübsch“ – so konnte aus einer andern Stelle citirt werden – „so fliehe vor Allem die Gelegenheit zur Sünde!“</p> <p>Ottomar starrte wie in einen Abgrund. Er sah, was kommen mußte. Er sah eine große Prüfung. Vielleicht begleitete des Vaters Gedanken auch – die Läuterung von vier eigenthümlich verbundenen Seelen! Bei Alledem ergriff ein Schauder den Sohn, wenn er an seine geliebte Schwester dachte. Wagte sich das besonnene, so verständige Mädchen in die Gefahr, nur um sich dagegen abzustumpfen: wie leicht konnte sie untergehen! Ihre einzige Waffe war ihre Tugend; ihr Harnisch ihre angeborne Stimmung zur Lebensheiterkeit. Aber wenn sie dennoch erläge? Der aufgeregten Phantasie des jungen Mannes schwebte der Vater wie <ref xml:id="TEXTKoenigBISArme" type="editorialNote" target="NSer3E.htm#ERLKoenigBISArme">König Lear mit seiner entseelten Cordelia im Arme</ref> vor. Ueber den Grafen Udo hatte er noch immer kein endgültiges Urtheil. Diese </p> </div> </body> </text> </TEI> [186/0192]
würdigkeiten –“ schrieb der Vater. Dem war in der That so. Ottomar mußte es eingestehen. Als geborne Fürstin hatte die Wittwe das Hofdamenbedürfniß. Ihr Gatte mochte aus einer besondern Caprice kein solches weibliches Element im Hause dulden. Edwina, die eine Menge von Aeußerungen ihres „Sokrates“ aufgezeichnet hatte, würde hier haben die gelegentliche Aeußerung desselben citiren können: „Es stört dergleichen die Intimität zwischen Mann und Frau und ist die Hofdame hübsch“ – so konnte aus einer andern Stelle citirt werden – „so fliehe vor Allem die Gelegenheit zur Sünde!“
Ottomar starrte wie in einen Abgrund. Er sah, was kommen mußte. Er sah eine große Prüfung. Vielleicht begleitete des Vaters Gedanken auch – die Läuterung von vier eigenthümlich verbundenen Seelen! Bei Alledem ergriff ein Schauder den Sohn, wenn er an seine geliebte Schwester dachte. Wagte sich das besonnene, so verständige Mädchen in die Gefahr, nur um sich dagegen abzustumpfen: wie leicht konnte sie untergehen! Ihre einzige Waffe war ihre Tugend; ihr Harnisch ihre angeborne Stimmung zur Lebensheiterkeit. Aber wenn sie dennoch erläge? Der aufgeregten Phantasie des jungen Mannes schwebte der Vater wie König Lear mit seiner entseelten Cordelia im Arme vor. Ueber den Grafen Udo hatte er noch immer kein endgültiges Urtheil. Diese
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Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die neuen Serapionsbrüder. Bd. 2. Breslau, 1877, S. 186. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_serapionsbrueder02_1877/192>, abgerufen am 23.07.2024. |