Gutzkow, Karl: Die neuen Serapionsbrüder. Bd. 2. Breslau, 1877.Sonntags vier Uhr versammelt. Erst gab es einen mit etwas Cichorienzuthat gekräftigten Kaffee mit frischem Kuchen, der vom Tisch wie nicht vorhanden gewesen verschwand, worauf die Taufe stattfand. Hierauf sollte es ein Nachtessen geben, sogar mit Wein, für Liebhaber mit einem Faß Bier. Die Ehehälften entwickelten dabei die volle Bekanntschaft mit den Fortschritten der Mode. Da gab es die feinsten Handschuhe, ausgeschnittene Kleider, Besätze, Reverskragen, Cravatten in Seide und Sammet. Selbst über die Schleppen von Schuster- und Schneidertöchtern konnte man fallen. Der Geistliche war ein würdiger Mann, von einer etwas zur Schau getragenen, bewußten Schwärmerei. Auch er verschmähte, wie ein Brahmine, Alles, was thierische Kost hieß. Er predigte, mit gelegentlicher Erinnerung daran, daß das Neugeborne nicht unter Türken, sondern unter Christen leben sollte, im Uebrigen die reine Vernunft. Sie war ihm dasjenige, was den Menschen theils berechtigt stolz, theils pflichtschuldig demüthig mache. Er bestritt, daß sich Gott in die Angelegenheiten der Menschen persönlich einmische. "Ihr habt Gott in Euch selbst!" sagte er zu Ottomars Beistimmung. "In Eurem Gewissen in jedem Augenblick! Bildet nur Euer Gewissen recht zum Frieden aus, zum sanften Ruhekissen, da werdet Ihr die Gottesnähe schon spüren!" Blaumeißel, evangelischer Sonntags vier Uhr versammelt. Erst gab es einen mit etwas Cichorienzuthat gekräftigten Kaffee mit frischem Kuchen, der vom Tisch wie nicht vorhanden gewesen verschwand, worauf die Taufe stattfand. Hierauf sollte es ein Nachtessen geben, sogar mit Wein, für Liebhaber mit einem Faß Bier. Die Ehehälften entwickelten dabei die volle Bekanntschaft mit den Fortschritten der Mode. Da gab es die feinsten Handschuhe, ausgeschnittene Kleider, Besätze, Reverskragen, Cravatten in Seide und Sammet. Selbst über die Schleppen von Schuster- und Schneidertöchtern konnte man fallen. Der Geistliche war ein würdiger Mann, von einer etwas zur Schau getragenen, bewußten Schwärmerei. Auch er verschmähte, wie ein Brahmine, Alles, was thierische Kost hieß. Er predigte, mit gelegentlicher Erinnerung daran, daß das Neugeborne nicht unter Türken, sondern unter Christen leben sollte, im Uebrigen die reine Vernunft. Sie war ihm dasjenige, was den Menschen theils berechtigt stolz, theils pflichtschuldig demüthig mache. Er bestritt, daß sich Gott in die Angelegenheiten der Menschen persönlich einmische. „Ihr habt Gott in Euch selbst!“ sagte er zu Ottomars Beistimmung. „In Eurem Gewissen in jedem Augenblick! Bildet nur Euer Gewissen recht zum Frieden aus, zum sanften Ruhekissen, da werdet Ihr die Gottesnähe schon spüren!“ Blaumeißel, evangelischer <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0170" n="164"/> Sonntags vier Uhr versammelt. Erst gab es <ref xml:id="TEXTeinenmitBISKaffee" type="editorialNote" target="NSer3E.htm#ERLeinenmitBISKaffee">einen mit etwas Cichorienzuthat gekräftigten Kaffee</ref> mit frischem Kuchen, der vom Tisch wie nicht vorhanden gewesen verschwand, worauf die Taufe stattfand. Hierauf sollte es ein Nachtessen geben, sogar mit Wein, für Liebhaber mit einem Faß Bier. Die Ehehälften entwickelten dabei die volle Bekanntschaft mit den Fortschritten der Mode.</p> <p>Da gab es die feinsten Handschuhe, ausgeschnittene Kleider, Besätze, Reverskragen, Cravatten in Seide und Sammet. Selbst über die Schleppen von Schuster- und Schneidertöchtern konnte man fallen. Der Geistliche war ein würdiger Mann, von einer etwas zur Schau getragenen, bewußten Schwärmerei. Auch er verschmähte, wie ein Brahmine, Alles, was thierische Kost hieß. Er predigte, mit gelegentlicher Erinnerung daran, daß das Neugeborne nicht unter Türken, sondern unter Christen leben sollte, im Uebrigen die reine Vernunft. Sie war ihm dasjenige, was den Menschen theils berechtigt stolz, theils pflichtschuldig demüthig mache. Er bestritt, daß sich Gott in die Angelegenheiten der Menschen persönlich einmische. „Ihr habt Gott in Euch selbst!“ sagte er zu Ottomars Beistimmung. „In Eurem Gewissen in jedem Augenblick! Bildet nur Euer Gewissen recht zum Frieden aus, zum sanften Ruhekissen, da werdet Ihr die Gottesnähe schon spüren!“ Blaumeißel, evangelischer </p> </div> </body> </text> </TEI> [164/0170]
Sonntags vier Uhr versammelt. Erst gab es einen mit etwas Cichorienzuthat gekräftigten Kaffee mit frischem Kuchen, der vom Tisch wie nicht vorhanden gewesen verschwand, worauf die Taufe stattfand. Hierauf sollte es ein Nachtessen geben, sogar mit Wein, für Liebhaber mit einem Faß Bier. Die Ehehälften entwickelten dabei die volle Bekanntschaft mit den Fortschritten der Mode.
Da gab es die feinsten Handschuhe, ausgeschnittene Kleider, Besätze, Reverskragen, Cravatten in Seide und Sammet. Selbst über die Schleppen von Schuster- und Schneidertöchtern konnte man fallen. Der Geistliche war ein würdiger Mann, von einer etwas zur Schau getragenen, bewußten Schwärmerei. Auch er verschmähte, wie ein Brahmine, Alles, was thierische Kost hieß. Er predigte, mit gelegentlicher Erinnerung daran, daß das Neugeborne nicht unter Türken, sondern unter Christen leben sollte, im Uebrigen die reine Vernunft. Sie war ihm dasjenige, was den Menschen theils berechtigt stolz, theils pflichtschuldig demüthig mache. Er bestritt, daß sich Gott in die Angelegenheiten der Menschen persönlich einmische. „Ihr habt Gott in Euch selbst!“ sagte er zu Ottomars Beistimmung. „In Eurem Gewissen in jedem Augenblick! Bildet nur Euer Gewissen recht zum Frieden aus, zum sanften Ruhekissen, da werdet Ihr die Gottesnähe schon spüren!“ Blaumeißel, evangelischer
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Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die neuen Serapionsbrüder. Bd. 2. Breslau, 1877, S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_serapionsbrueder02_1877/170>, abgerufen am 23.07.2024. |