Gutzkow, Karl: Die neuen Serapionsbrüder. Bd. 1. Breslau, 1877.Ehlerdts schwache Seiten. Hier und da war er ihm begegnet, hatte ihm auch über seine Zeitung geschmeichelt. Schon lange benutzte er ihn als Spion gegen Wolny. Glauben Sie doch das nicht, daß Der einst Ihre Schwester heirathet! hatte er ihm gesagt. Er wird sich, wenn Mama todt ist, in seiner neuen Sphäre durch eine reiche Erbin zu heben suchen! Dann morde ich ihn! hatte Raimund gerufen. Mit kaltem Blute schieß' ich ihn nieder! Auf solche Ausbrüche trat in den italienischen und spanischen Kellern immer jenes erwähnte Flüstern ein. Für heute hatten sich alle drei zu einem gewagten Vorhaben verständigt. Rabes Mutter mußte bald, wie der liebevolle Sohn sich zuweilen ausdrückte, "abfahren." Starb sie ohne Testament, so trat die Strenge seines Vaters gegen ihn in Kraft. Alles gehörte der Mutter und wenn sie wieder heirathete, was ihr Mann wohl voraussetzte, und wenn der neue Gatte die Fabrik fortführte, sogar nach ihrem Tode diesem. Der Assessor galt in Folge seiner vielfachen Verschwendung und der großen Summen, die er schon bezogen, für väterlich und mütterlich abgefunden. Da fehlte plötzlich das strenge, aber gerechte Testament auf dem Gericht. Eine andre beglaubigte Abschrift besaß Wolny. Wolny durch ein noch von der Mutter gemachtes Testament zu verderben, wurde Anfangs versucht. Unausgesetzt liefen anonyme Briefe bei Ehlerdts schwache Seiten. Hier und da war er ihm begegnet, hatte ihm auch über seine Zeitung geschmeichelt. Schon lange benutzte er ihn als Spion gegen Wolny. Glauben Sie doch das nicht, daß Der einst Ihre Schwester heirathet! hatte er ihm gesagt. Er wird sich, wenn Mama todt ist, in seiner neuen Sphäre durch eine reiche Erbin zu heben suchen! Dann morde ich ihn! hatte Raimund gerufen. Mit kaltem Blute schieß’ ich ihn nieder! Auf solche Ausbrüche trat in den italienischen und spanischen Kellern immer jenes erwähnte Flüstern ein. Für heute hatten sich alle drei zu einem gewagten Vorhaben verständigt. Rabes Mutter mußte bald, wie der liebevolle Sohn sich zuweilen ausdrückte, „abfahren.“ Starb sie ohne Testament, so trat die Strenge seines Vaters gegen ihn in Kraft. Alles gehörte der Mutter und wenn sie wieder heirathete, was ihr Mann wohl voraussetzte, und wenn der neue Gatte die Fabrik fortführte, sogar nach ihrem Tode diesem. Der Assessor galt in Folge seiner vielfachen Verschwendung und der großen Summen, die er schon bezogen, für väterlich und mütterlich abgefunden. Da fehlte plötzlich das strenge, aber gerechte Testament auf dem Gericht. Eine andre beglaubigte Abschrift besaß Wolny. Wolny durch ein noch von der Mutter gemachtes Testament zu verderben, wurde Anfangs versucht. Unausgesetzt liefen anonyme Briefe bei <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0235" n="229"/> Ehlerdts schwache Seiten. Hier und da war er ihm begegnet, hatte ihm auch über seine Zeitung geschmeichelt. Schon lange benutzte er ihn als Spion gegen Wolny. Glauben Sie doch das nicht, daß Der einst Ihre Schwester heirathet! hatte er ihm gesagt. Er wird sich, wenn Mama todt ist, in seiner neuen Sphäre durch eine reiche Erbin zu heben suchen! Dann morde ich ihn! hatte Raimund gerufen. Mit kaltem Blute schieß’ ich ihn nieder! Auf solche Ausbrüche trat in den italienischen und spanischen Kellern immer jenes erwähnte Flüstern ein. </p> <p>Für heute hatten sich alle drei zu einem gewagten Vorhaben verständigt. Rabes Mutter <ref xml:id="TEXTmussteBISabfahren" type="editorialNote" target="NSer2E.htm#ERLmussteBISabfahren">mußte bald, wie der liebevolle Sohn sich zuweilen ausdrückte, „abfahren</ref>.“ Starb sie ohne Testament, so trat die Strenge seines Vaters gegen ihn in Kraft. Alles gehörte der Mutter und wenn sie wieder heirathete, was ihr Mann wohl voraussetzte, und wenn der neue Gatte die Fabrik fortführte, sogar nach ihrem Tode diesem. Der Assessor galt in Folge seiner vielfachen Verschwendung und der großen Summen, die er schon bezogen, für väterlich und mütterlich abgefunden. Da fehlte plötzlich das strenge, aber gerechte Testament auf dem Gericht. Eine andre beglaubigte Abschrift besaß Wolny. Wolny durch ein noch von der Mutter gemachtes Testament zu verderben, wurde Anfangs versucht. Unausgesetzt liefen anonyme Briefe bei </p> </div> </body> </text> </TEI> [229/0235]
Ehlerdts schwache Seiten. Hier und da war er ihm begegnet, hatte ihm auch über seine Zeitung geschmeichelt. Schon lange benutzte er ihn als Spion gegen Wolny. Glauben Sie doch das nicht, daß Der einst Ihre Schwester heirathet! hatte er ihm gesagt. Er wird sich, wenn Mama todt ist, in seiner neuen Sphäre durch eine reiche Erbin zu heben suchen! Dann morde ich ihn! hatte Raimund gerufen. Mit kaltem Blute schieß’ ich ihn nieder! Auf solche Ausbrüche trat in den italienischen und spanischen Kellern immer jenes erwähnte Flüstern ein.
Für heute hatten sich alle drei zu einem gewagten Vorhaben verständigt. Rabes Mutter mußte bald, wie der liebevolle Sohn sich zuweilen ausdrückte, „abfahren.“ Starb sie ohne Testament, so trat die Strenge seines Vaters gegen ihn in Kraft. Alles gehörte der Mutter und wenn sie wieder heirathete, was ihr Mann wohl voraussetzte, und wenn der neue Gatte die Fabrik fortführte, sogar nach ihrem Tode diesem. Der Assessor galt in Folge seiner vielfachen Verschwendung und der großen Summen, die er schon bezogen, für väterlich und mütterlich abgefunden. Da fehlte plötzlich das strenge, aber gerechte Testament auf dem Gericht. Eine andre beglaubigte Abschrift besaß Wolny. Wolny durch ein noch von der Mutter gemachtes Testament zu verderben, wurde Anfangs versucht. Unausgesetzt liefen anonyme Briefe bei
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Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die neuen Serapionsbrüder. Bd. 1. Breslau, 1877, S. 229. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_serapionsbrueder01_1877/235>, abgerufen am 16.02.2025. |