Gutzkow, Karl: Die neuen Serapionsbrüder. Bd. 1. Breslau, 1877.zweifelnden Andacht den im Affen verschlossenen Intellect, die gebundene Menschenseele heraussuchen wollte, so sah auch Ottomar, und zuweilen mit wahrer Wehmuth, in der lieblichen Ada das Kind einer verwahrlosten, aristokratisch sein wollenden Erziehung. Schon lange hatte sie für ihn Momente, wo unter den Schlacken ihres Wesens wahre Goldkörner aufblitzten. Oft, wenn sie mit ihrer tiefliegenden sonoren Stimme ein schönes Wort gesprochen hatte, eine edle Empfindung geäußert, ihrer Mutter den Widerpart gehalten, dann jedoch selbst dem offenbaren Unverstande nachgegeben, um nur nicht die Mutter zu überreizen und bei dieser gar zu Unschönes hervorzurufen, rührte ihn das verborgene Gemüth. Wenn sie den abwesenden Bruder vertheidigte, den anwesenden einen dummen Bengel, Bummler, Strick und ähnlich nannte, unbeschadet der Gegenwart des Grafen oder seines Freundes, so fragte er sich: Welches mag die ursprüngliche moralische Triebkraft in diesem seltsamen Wesen sein? Nahe lag ihm, an die Gerechtigkeitsliebe zu denken. Vielleicht war diese edle, aber so gefahrvolle Tugend Adas Ureigenstes. Die Göttin Themis, mit welcher Ottomar nur in einer Vernunftehe lebte, sah ihn auch bei Ada mit verbundenen Augen an. Die Wagschaale vorstreckend, auf ihr Schwert gestützt, zeigte Themis Attribute, die ihn noch immer nicht in die zweifelnden Andacht den im Affen verschlossenen Intellect, die gebundene Menschenseele heraussuchen wollte, so sah auch Ottomar, und zuweilen mit wahrer Wehmuth, in der lieblichen Ada das Kind einer verwahrlosten, aristokratisch sein wollenden Erziehung. Schon lange hatte sie für ihn Momente, wo unter den Schlacken ihres Wesens wahre Goldkörner aufblitzten. Oft, wenn sie mit ihrer tiefliegenden sonoren Stimme ein schönes Wort gesprochen hatte, eine edle Empfindung geäußert, ihrer Mutter den Widerpart gehalten, dann jedoch selbst dem offenbaren Unverstande nachgegeben, um nur nicht die Mutter zu überreizen und bei dieser gar zu Unschönes hervorzurufen, rührte ihn das verborgene Gemüth. Wenn sie den abwesenden Bruder vertheidigte, den anwesenden einen dummen Bengel, Bummler, Strick und ähnlich nannte, unbeschadet der Gegenwart des Grafen oder seines Freundes, so fragte er sich: Welches mag die ursprüngliche moralische Triebkraft in diesem seltsamen Wesen sein? Nahe lag ihm, an die Gerechtigkeitsliebe zu denken. Vielleicht war diese edle, aber so gefahrvolle Tugend Adas Ureigenstes. Die Göttin Themis, mit welcher Ottomar nur in einer Vernunftehe lebte, sah ihn auch bei Ada mit verbundenen Augen an. Die Wagschaale vorstreckend, auf ihr Schwert gestützt, zeigte Themis Attribute, die ihn noch immer nicht in die <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><ref xml:id="TEXTWieSchopenhauerBISwollte" type="editorialNote" target="NSer2E.htm#ERLWieSchopenhauerBISwollte"><pb facs="#f0228" n="222"/> zweifelnden Andacht den im Affen verschlossenen Intellect, die gebundene Menschenseele heraussuchen wollte</ref>, so sah auch Ottomar, und zuweilen mit wahrer Wehmuth, in der lieblichen Ada das Kind einer verwahrlosten, aristokratisch sein wollenden Erziehung. Schon lange hatte sie für ihn Momente, wo unter den Schlacken ihres Wesens wahre Goldkörner aufblitzten. Oft, wenn sie mit ihrer tiefliegenden sonoren Stimme ein schönes Wort gesprochen hatte, eine edle Empfindung geäußert, ihrer Mutter den Widerpart gehalten, dann jedoch selbst dem offenbaren Unverstande nachgegeben, um nur nicht die Mutter zu überreizen und bei dieser gar zu Unschönes hervorzurufen, rührte ihn das verborgene Gemüth. Wenn sie den abwesenden Bruder vertheidigte, den anwesenden einen dummen Bengel, Bummler, Strick und ähnlich nannte, unbeschadet der Gegenwart des Grafen oder seines Freundes, so fragte er sich: Welches mag die ursprüngliche moralische Triebkraft in diesem seltsamen Wesen sein? Nahe lag ihm, an die Gerechtigkeitsliebe zu denken. Vielleicht war diese edle, aber so gefahrvolle Tugend Adas Ureigenstes. <ref xml:id="TEXTDieGoettinThemis" type="editorialNote" target="NSer2E.htm#ERLDieGoettinThemis">Die Göttin Themis</ref>, mit welcher Ottomar nur in einer Vernunftehe lebte, sah ihn auch bei Ada mit verbundenen Augen an. Die Wagschaale vorstreckend, auf ihr Schwert gestützt, zeigte Themis Attribute, die ihn noch immer nicht in die </p> </div> </body> </text> </TEI> [222/0228]
zweifelnden Andacht den im Affen verschlossenen Intellect, die gebundene Menschenseele heraussuchen wollte, so sah auch Ottomar, und zuweilen mit wahrer Wehmuth, in der lieblichen Ada das Kind einer verwahrlosten, aristokratisch sein wollenden Erziehung. Schon lange hatte sie für ihn Momente, wo unter den Schlacken ihres Wesens wahre Goldkörner aufblitzten. Oft, wenn sie mit ihrer tiefliegenden sonoren Stimme ein schönes Wort gesprochen hatte, eine edle Empfindung geäußert, ihrer Mutter den Widerpart gehalten, dann jedoch selbst dem offenbaren Unverstande nachgegeben, um nur nicht die Mutter zu überreizen und bei dieser gar zu Unschönes hervorzurufen, rührte ihn das verborgene Gemüth. Wenn sie den abwesenden Bruder vertheidigte, den anwesenden einen dummen Bengel, Bummler, Strick und ähnlich nannte, unbeschadet der Gegenwart des Grafen oder seines Freundes, so fragte er sich: Welches mag die ursprüngliche moralische Triebkraft in diesem seltsamen Wesen sein? Nahe lag ihm, an die Gerechtigkeitsliebe zu denken. Vielleicht war diese edle, aber so gefahrvolle Tugend Adas Ureigenstes. Die Göttin Themis, mit welcher Ottomar nur in einer Vernunftehe lebte, sah ihn auch bei Ada mit verbundenen Augen an. Die Wagschaale vorstreckend, auf ihr Schwert gestützt, zeigte Themis Attribute, die ihn noch immer nicht in die
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Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die neuen Serapionsbrüder. Bd. 1. Breslau, 1877, S. 222. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_serapionsbrueder01_1877/228>, abgerufen am 16.07.2024. |