Gutzkow, Karl: Die neuen Serapionsbrüder. Bd. 1. Breslau, 1877.Vornehmheit zu unterscheiden gelernt. Die alte Gräfin Wittwe war in der That vornehm, ihr Neffe nicht minder, eines oder das andere Mitglied des Frauenvorstandes verrieth den Geist der Bildung, der Herzensgüte, einen Geist, der trotz des Bewußtseins einer hervorragenden gesellschaftlichen Stellung doch natürlich blieb. Aber die Vornehmthuerei der Generalin! Diese Frau stammte von einem ärmlichen, überzahlreichen, wenn auch mit Lorbern geschmückten Fahnenadelgeschlecht. Sie war mit den Ideen spanischer Adligen, die sich ihre Lumpen selbst flicken müssen, auf die Welt gekommen. Mit Anmaßung ihr ständiges Deficit verdecken, das war die Kunst, die die Frau früh erlernen mußte. Noch eine andere Vornehmthuerei lernte Ottomar kennen, die der gesellschaftlichen Streber. Das war geradezu ein Schandfleck der Zeit. In diesen Kreisen buhlte Alles nach oben hin. Jede Bekanntschaft, die man machte, wurde nach ihrem äußern Werthe erwogen. Ist es eine Staffel für die Mehrung Deiner Würde? Im Gespräche mit einem Hochgestellten verlor man die Besinnung, wenn man einen noch Höhergestellten erblickte, dem man sich nähern zu können hoffen durfte. Mit Ada stand Ottomar auf dem seltsamsten Fuße. Das braune, schwarze, gazellenartige Wesen liebte ihn in der That. Sie liebte ihn trotzdem, daß sie in der Vornehmheit zu unterscheiden gelernt. Die alte Gräfin Wittwe war in der That vornehm, ihr Neffe nicht minder, eines oder das andere Mitglied des Frauenvorstandes verrieth den Geist der Bildung, der Herzensgüte, einen Geist, der trotz des Bewußtseins einer hervorragenden gesellschaftlichen Stellung doch natürlich blieb. Aber die Vornehmthuerei der Generalin! Diese Frau stammte von einem ärmlichen, überzahlreichen, wenn auch mit Lorbern geschmückten Fahnenadelgeschlecht. Sie war mit den Ideen spanischer Adligen, die sich ihre Lumpen selbst flicken müssen, auf die Welt gekommen. Mit Anmaßung ihr ständiges Deficit verdecken, das war die Kunst, die die Frau früh erlernen mußte. Noch eine andere Vornehmthuerei lernte Ottomar kennen, die der gesellschaftlichen Streber. Das war geradezu ein Schandfleck der Zeit. In diesen Kreisen buhlte Alles nach oben hin. Jede Bekanntschaft, die man machte, wurde nach ihrem äußern Werthe erwogen. Ist es eine Staffel für die Mehrung Deiner Würde? Im Gespräche mit einem Hochgestellten verlor man die Besinnung, wenn man einen noch Höhergestellten erblickte, dem man sich nähern zu können hoffen durfte. Mit Ada stand Ottomar auf dem seltsamsten Fuße. Das braune, schwarze, gazellenartige Wesen liebte ihn in der That. Sie liebte ihn trotzdem, daß sie in der <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0225" n="219"/> Vornehmheit zu unterscheiden gelernt. Die alte Gräfin Wittwe war in der That vornehm, ihr Neffe nicht minder, eines oder das andere Mitglied des Frauenvorstandes verrieth den Geist der Bildung, der Herzensgüte, einen Geist, der trotz des Bewußtseins einer hervorragenden gesellschaftlichen Stellung doch natürlich blieb. Aber die Vornehmthuerei der Generalin! Diese Frau stammte von einem ärmlichen, überzahlreichen, wenn auch mit Lorbern geschmückten <ref xml:id="TEXTFahnenadelgeschlecht" type="editorialNote" target="NSer2E.htm#ERLFahnenadelgeschlecht">Fahnenadelgeschlecht</ref>. Sie war mit den Ideen spanischer Adligen, die sich ihre Lumpen selbst flicken müssen, auf die Welt gekommen. Mit Anmaßung ihr ständiges Deficit verdecken, das war die Kunst, die die Frau früh erlernen mußte. Noch eine andere Vornehmthuerei lernte Ottomar kennen, die der gesellschaftlichen Streber. Das war geradezu ein Schandfleck der Zeit. In diesen Kreisen buhlte Alles nach oben hin. Jede Bekanntschaft, die man machte, wurde nach ihrem äußern Werthe erwogen. Ist es eine Staffel für die Mehrung Deiner Würde? Im Gespräche mit einem Hochgestellten verlor man die Besinnung, wenn man einen noch Höhergestellten erblickte, dem man sich nähern zu können hoffen durfte. </p> <p>Mit Ada stand Ottomar auf dem seltsamsten Fuße. Das braune, schwarze, gazellenartige Wesen liebte ihn in der That. Sie liebte ihn trotzdem, daß sie in der </p> </div> </body> </text> </TEI> [219/0225]
Vornehmheit zu unterscheiden gelernt. Die alte Gräfin Wittwe war in der That vornehm, ihr Neffe nicht minder, eines oder das andere Mitglied des Frauenvorstandes verrieth den Geist der Bildung, der Herzensgüte, einen Geist, der trotz des Bewußtseins einer hervorragenden gesellschaftlichen Stellung doch natürlich blieb. Aber die Vornehmthuerei der Generalin! Diese Frau stammte von einem ärmlichen, überzahlreichen, wenn auch mit Lorbern geschmückten Fahnenadelgeschlecht. Sie war mit den Ideen spanischer Adligen, die sich ihre Lumpen selbst flicken müssen, auf die Welt gekommen. Mit Anmaßung ihr ständiges Deficit verdecken, das war die Kunst, die die Frau früh erlernen mußte. Noch eine andere Vornehmthuerei lernte Ottomar kennen, die der gesellschaftlichen Streber. Das war geradezu ein Schandfleck der Zeit. In diesen Kreisen buhlte Alles nach oben hin. Jede Bekanntschaft, die man machte, wurde nach ihrem äußern Werthe erwogen. Ist es eine Staffel für die Mehrung Deiner Würde? Im Gespräche mit einem Hochgestellten verlor man die Besinnung, wenn man einen noch Höhergestellten erblickte, dem man sich nähern zu können hoffen durfte.
Mit Ada stand Ottomar auf dem seltsamsten Fuße. Das braune, schwarze, gazellenartige Wesen liebte ihn in der That. Sie liebte ihn trotzdem, daß sie in der
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_serapionsbrueder01_1877 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_serapionsbrueder01_1877/225 |
Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die neuen Serapionsbrüder. Bd. 1. Breslau, 1877, S. 219. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_serapionsbrueder01_1877/225>, abgerufen am 16.02.2025. |