Gutzkow, Karl: Die neuen Serapionsbrüder. Bd. 1. Breslau, 1877.Da raubtest Du ihr einen! Gesteh' es nur! fiel der Graf ein. Es war ein wunderlicher Moment, gestand Ottomar. Sie wehrte meine ausgestreckte Hand ab und näherte sich mir doch so, daß ich meinen Arm, sie war aufgestanden, nirgends anderswohin, als auf den Gürtel ihrer Taille zu legen vermochte. Mit einer bestrickenden Koketterie, halb ausweichend, halb nachgebend, bedeutete sie mich: Mein Sokrates behauptete: Der Mann habe das Bedürfniß, zuweilen das "Weib an sich", nicht das Weib mit den tausend Nücken der Gattinnen, der Mütter, der Töchter, zu sehen und mit ihm umzugehen. Das "Weib an sich" - das war ihm der Begriff, den die Dichter besungen hätten, den das Hohelied Salomonis besungen hat! Im gewöhnlichen, namentlich christlichen Leben existirt das "Weib an sich" nicht mehr, nur im todten Mariendienst der Kirche. Es würde immer mehr abhanden kommen mit den Eisenbahn-Billeteusen, den Telegraphistinnen, den Medicinerinnen u. s. w., wenn wir nicht Poeten, Schwärmerinnen, das Mormonenthum und ähnliche Hülfsmittel hätten, die dem Manne das "Weib an sich" erhielten! Und obschon ich ihr sagte: Es scheint, Sie haben Kant studirt! warf sie mich doch zuletzt gewissermaßen bei alledem zur Thür hinaus, wie mir ihr Mann oder Pflegevater gethan Da raubtest Du ihr einen! Gesteh’ es nur! fiel der Graf ein. Es war ein wunderlicher Moment, gestand Ottomar. Sie wehrte meine ausgestreckte Hand ab und näherte sich mir doch so, daß ich meinen Arm, sie war aufgestanden, nirgends anderswohin, als auf den Gürtel ihrer Taille zu legen vermochte. Mit einer bestrickenden Koketterie, halb ausweichend, halb nachgebend, bedeutete sie mich: Mein Sokrates behauptete: Der Mann habe das Bedürfniß, zuweilen das „Weib an sich“, nicht das Weib mit den tausend Nücken der Gattinnen, der Mütter, der Töchter, zu sehen und mit ihm umzugehen. Das „Weib an sich“ – das war ihm der Begriff, den die Dichter besungen hätten, den das Hohelied Salomonis besungen hat! Im gewöhnlichen, namentlich christlichen Leben existirt das „Weib an sich“ nicht mehr, nur im todten Mariendienst der Kirche. Es würde immer mehr abhanden kommen mit den Eisenbahn-Billeteusen, den Telegraphistinnen, den Medicinerinnen u. s. w., wenn wir nicht Poeten, Schwärmerinnen, das Mormonenthum und ähnliche Hülfsmittel hätten, die dem Manne das „Weib an sich“ erhielten! Und obschon ich ihr sagte: Es scheint, Sie haben Kant studirt! warf sie mich doch zuletzt gewissermaßen bei alledem zur Thür hinaus, wie mir ihr Mann oder Pflegevater gethan <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0204" n="198"/> <p> Da raubtest Du ihr einen! Gesteh’ es nur! fiel der Graf ein.</p> <p>Es war ein wunderlicher Moment, gestand Ottomar. Sie wehrte meine ausgestreckte Hand ab und näherte sich mir doch so, daß ich meinen Arm, sie war aufgestanden, nirgends anderswohin, als auf den Gürtel ihrer Taille zu legen vermochte. Mit einer bestrickenden Koketterie, halb ausweichend, halb nachgebend, bedeutete sie mich: Mein Sokrates behauptete: Der Mann habe das Bedürfniß, zuweilen das „Weib an sich“, nicht das Weib mit den tausend <ref xml:id="TEXTNuecken" type="editorialNote" target="NSer2E.htm#ERLNuecken">Nücken</ref> der Gattinnen, der Mütter, der Töchter, zu sehen und mit ihm umzugehen. <ref xml:id="TEXTDasWeibansich" type="editorialNote" target="NSer2E.htm#ERLDasWeibansich">Das „Weib an sich“</ref> – das war ihm der Begriff, den die Dichter besungen hätten, den das Hohelied Salomonis besungen hat! Im gewöhnlichen, namentlich christlichen Leben existirt das „Weib an sich“ nicht mehr, nur im todten Mariendienst der Kirche. Es würde immer mehr abhanden kommen mit den Eisenbahn-Billeteusen, den Telegraphistinnen, den Medicinerinnen u. s. w., wenn wir nicht Poeten, Schwärmerinnen, das Mormonenthum und ähnliche Hülfsmittel hätten, die dem Manne das „Weib an sich“ erhielten! Und obschon ich ihr sagte: Es scheint, Sie haben Kant studirt! warf sie mich doch zuletzt gewissermaßen bei alledem zur Thür hinaus, wie mir ihr Mann oder Pflegevater gethan </p> </div> </body> </text> </TEI> [198/0204]
Da raubtest Du ihr einen! Gesteh’ es nur! fiel der Graf ein.
Es war ein wunderlicher Moment, gestand Ottomar. Sie wehrte meine ausgestreckte Hand ab und näherte sich mir doch so, daß ich meinen Arm, sie war aufgestanden, nirgends anderswohin, als auf den Gürtel ihrer Taille zu legen vermochte. Mit einer bestrickenden Koketterie, halb ausweichend, halb nachgebend, bedeutete sie mich: Mein Sokrates behauptete: Der Mann habe das Bedürfniß, zuweilen das „Weib an sich“, nicht das Weib mit den tausend Nücken der Gattinnen, der Mütter, der Töchter, zu sehen und mit ihm umzugehen. Das „Weib an sich“ – das war ihm der Begriff, den die Dichter besungen hätten, den das Hohelied Salomonis besungen hat! Im gewöhnlichen, namentlich christlichen Leben existirt das „Weib an sich“ nicht mehr, nur im todten Mariendienst der Kirche. Es würde immer mehr abhanden kommen mit den Eisenbahn-Billeteusen, den Telegraphistinnen, den Medicinerinnen u. s. w., wenn wir nicht Poeten, Schwärmerinnen, das Mormonenthum und ähnliche Hülfsmittel hätten, die dem Manne das „Weib an sich“ erhielten! Und obschon ich ihr sagte: Es scheint, Sie haben Kant studirt! warf sie mich doch zuletzt gewissermaßen bei alledem zur Thür hinaus, wie mir ihr Mann oder Pflegevater gethan
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