Gutzkow, Karl: Die neuen Serapionsbrüder. Bd. 1. Breslau, 1877.unserer Generation nicht im Mindesten eine Bewegung macht, anderer Leute Rippen zu schonen; der Arbeiter mit seinen eisernen spitzen Werkzeugen; die Maurer im Schurzfell, oft ihrer vier, ja sechs Mann hoch, Abends in "seliger" Armverschränkung, Alles behauptet diesen schmalen Steg und die cupiditas rerum novarum, wie ich's mit Cäsar nennen will, glotzt und starrt und stiert sich im Gehen an, und wer nicht gradezu stumpfsinnig ist, hat von jeder Miene irgend einen Eindruck, ein wenn auch noch so flüchtiges Interesse, einen Embryo von einem Gedanken. Jede Miene läßt ein Bild in unsrer Seele zurück. Die tausendfachen Lebensziele, denen Alles nachrennt, beirren uns in der Verfolgung unsres eignen, ja es geschieht wohl, daß gedankenlose lässige Naturen diese unausgesetzt wechselnden Eindrücke so stark auf sich wirken lassen, daß ihre Nerven darunter leiden, ihr ganzes Wesen überspannt wird. Statt durch diesen Wechsel, dies Ansehen und tausendfache Angesehenwerden, sich zu zerstreuen, überreizen sie sich. Und trägt nun gar Jemand irgend eine Bürde in seiner Seele, ein Familienleid, einen Irrthum, den er begangen, die Reue mit sich über falsche Schritte, die er gethan, oder sonst eine innere Reizbarkeit, so kann, wie schon ohnehin das Leben in großen Städten und die dichtgedrängten Bevölkerungen die Körperkräfte in Anspruch nehmen, dieser unserer Generation nicht im Mindesten eine Bewegung macht, anderer Leute Rippen zu schonen; der Arbeiter mit seinen eisernen spitzen Werkzeugen; die Maurer im Schurzfell, oft ihrer vier, ja sechs Mann hoch, Abends in „seliger“ Armverschränkung, Alles behauptet diesen schmalen Steg und die cupiditas rerum novarum, wie ich’s mit Cäsar nennen will, glotzt und starrt und stiert sich im Gehen an, und wer nicht gradezu stumpfsinnig ist, hat von jeder Miene irgend einen Eindruck, ein wenn auch noch so flüchtiges Interesse, einen Embryo von einem Gedanken. Jede Miene läßt ein Bild in unsrer Seele zurück. Die tausendfachen Lebensziele, denen Alles nachrennt, beirren uns in der Verfolgung unsres eignen, ja es geschieht wohl, daß gedankenlose lässige Naturen diese unausgesetzt wechselnden Eindrücke so stark auf sich wirken lassen, daß ihre Nerven darunter leiden, ihr ganzes Wesen überspannt wird. Statt durch diesen Wechsel, dies Ansehen und tausendfache Angesehenwerden, sich zu zerstreuen, überreizen sie sich. Und trägt nun gar Jemand irgend eine Bürde in seiner Seele, ein Familienleid, einen Irrthum, den er begangen, die Reue mit sich über falsche Schritte, die er gethan, oder sonst eine innere Reizbarkeit, so kann, wie schon ohnehin das Leben in großen Städten und die dichtgedrängten Bevölkerungen die Körperkräfte in Anspruch nehmen, dieser <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0016" n="10"/> unserer Generation nicht im Mindesten eine Bewegung macht, anderer Leute Rippen zu schonen; der Arbeiter mit seinen eisernen spitzen Werkzeugen; die Maurer im Schurzfell, oft ihrer vier, ja sechs Mann hoch, Abends in „seliger“ Armverschränkung, Alles behauptet diesen schmalen Steg und die <ref xml:id="TEXTcupiditasBISwill" type="editorialNote" target="NSer2E.htm#ERLcupiditasBISwill"><hi rendition="#aq">cupiditas rerum novarum</hi>, wie ich’s mit Cäsar nennen will</ref>, glotzt und starrt und stiert sich im Gehen an, und wer nicht gradezu stumpfsinnig ist, hat von jeder Miene irgend einen Eindruck, ein wenn auch noch so flüchtiges Interesse, einen Embryo von einem Gedanken. Jede Miene läßt ein Bild in unsrer Seele zurück. Die tausendfachen Lebensziele, denen Alles nachrennt, beirren uns in der Verfolgung unsres eignen, ja es geschieht wohl, daß gedankenlose lässige Naturen diese unausgesetzt wechselnden Eindrücke so stark auf sich wirken lassen, daß ihre Nerven darunter leiden, ihr ganzes Wesen überspannt wird. Statt durch diesen Wechsel, dies Ansehen und tausendfache Angesehenwerden, sich zu zerstreuen, überreizen sie sich. Und trägt nun gar Jemand irgend eine Bürde in seiner Seele, ein Familienleid, einen Irrthum, den er begangen, die Reue mit sich über falsche Schritte, die er gethan, oder sonst eine innere Reizbarkeit, so kann, wie schon ohnehin das Leben in großen Städten und die dichtgedrängten Bevölkerungen die Körperkräfte in Anspruch nehmen, dieser </p> </div> </body> </text> </TEI> [10/0016]
unserer Generation nicht im Mindesten eine Bewegung macht, anderer Leute Rippen zu schonen; der Arbeiter mit seinen eisernen spitzen Werkzeugen; die Maurer im Schurzfell, oft ihrer vier, ja sechs Mann hoch, Abends in „seliger“ Armverschränkung, Alles behauptet diesen schmalen Steg und die cupiditas rerum novarum, wie ich’s mit Cäsar nennen will, glotzt und starrt und stiert sich im Gehen an, und wer nicht gradezu stumpfsinnig ist, hat von jeder Miene irgend einen Eindruck, ein wenn auch noch so flüchtiges Interesse, einen Embryo von einem Gedanken. Jede Miene läßt ein Bild in unsrer Seele zurück. Die tausendfachen Lebensziele, denen Alles nachrennt, beirren uns in der Verfolgung unsres eignen, ja es geschieht wohl, daß gedankenlose lässige Naturen diese unausgesetzt wechselnden Eindrücke so stark auf sich wirken lassen, daß ihre Nerven darunter leiden, ihr ganzes Wesen überspannt wird. Statt durch diesen Wechsel, dies Ansehen und tausendfache Angesehenwerden, sich zu zerstreuen, überreizen sie sich. Und trägt nun gar Jemand irgend eine Bürde in seiner Seele, ein Familienleid, einen Irrthum, den er begangen, die Reue mit sich über falsche Schritte, die er gethan, oder sonst eine innere Reizbarkeit, so kann, wie schon ohnehin das Leben in großen Städten und die dichtgedrängten Bevölkerungen die Körperkräfte in Anspruch nehmen, dieser
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_serapionsbrueder01_1877 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_serapionsbrueder01_1877/16 |
Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die neuen Serapionsbrüder. Bd. 1. Breslau, 1877, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_serapionsbrueder01_1877/16>, abgerufen am 02.03.2025. |