Gutzkow, Karl: Die neuen Serapionsbrüder. Bd. 1. Breslau, 1877.Wieder ein anonymer Brief! - sagte mit heiserer Stimme vom Fenster Fräulein Dora, als der pflichttreue Mann gegangen war. Die Ahnung, daß sie selbst wieder der Gegenstand der anonymen Verläumdung war, wie sie's in diesen Ausgeburten der Bosheit schon oft gewesen, ergriff Martha so mächtig, daß sie Miene machte, der Commerzienräthin zu folgen. Sie werden doch nicht! vertrat ihr Fräulein Dora den Weg und sah sie groß mit ihren stechenden Augen an. Was geht Sie denn die Correspondenz meiner Schwester an? Mit diesen Worten folgte sie der Commerzienräthin. Neugier trieb sie, eine innige Theilnahme zu heucheln. Martha stand und schlug sich mit der Hand an die Stirn. Das Benehmen ihres Bruders gegen Wolny, die gestörte Thätigkeit der Fabrik, die schimpfliche Verweisung desselben aus einem Kreise, wo sie sich oft so wohl gefühlt, mehr als im Hause der Commerzienräthin, eines Kreises, wo sie die weiche, die Seele sanft anfächelnde Luft der Bildung genossen hatte, alles das hatte ihr schon an sich den größten Schmerz verursacht. Nun wieder die Worte des Staatsanwalts und etwas neues Geheimnißvolles! Oder vielmehr nur das alte ewig Wiederkehrende, das sich in andern Formen wiederholte! Sie Wieder ein anonymer Brief! – sagte mit heiserer Stimme vom Fenster Fräulein Dora, als der pflichttreue Mann gegangen war. Die Ahnung, daß sie selbst wieder der Gegenstand der anonymen Verläumdung war, wie sie’s in diesen Ausgeburten der Bosheit schon oft gewesen, ergriff Martha so mächtig, daß sie Miene machte, der Commerzienräthin zu folgen. Sie werden doch nicht! vertrat ihr Fräulein Dora den Weg und sah sie groß mit ihren stechenden Augen an. Was geht Sie denn die Correspondenz meiner Schwester an? Mit diesen Worten folgte sie der Commerzienräthin. Neugier trieb sie, eine innige Theilnahme zu heucheln. Martha stand und schlug sich mit der Hand an die Stirn. Das Benehmen ihres Bruders gegen Wolny, die gestörte Thätigkeit der Fabrik, die schimpfliche Verweisung desselben aus einem Kreise, wo sie sich oft so wohl gefühlt, mehr als im Hause der Commerzienräthin, eines Kreises, wo sie die weiche, die Seele sanft anfächelnde Luft der Bildung genossen hatte, alles das hatte ihr schon an sich den größten Schmerz verursacht. Nun wieder die Worte des Staatsanwalts und etwas neues Geheimnißvolles! Oder vielmehr nur das alte ewig Wiederkehrende, das sich in andern Formen wiederholte! Sie <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0155" n="149"/> Wieder ein anonymer Brief! – sagte mit heiserer Stimme vom Fenster Fräulein Dora, als der pflichttreue Mann gegangen war. </p> <p>Die Ahnung, daß sie selbst wieder der Gegenstand der anonymen Verläumdung war, wie sie’s in diesen Ausgeburten der Bosheit schon oft gewesen, ergriff Martha so mächtig, daß sie Miene machte, der Commerzienräthin zu folgen. </p> <p>Sie werden doch nicht! vertrat ihr Fräulein Dora den Weg und sah sie groß mit ihren stechenden Augen an. Was geht Sie denn die Correspondenz meiner Schwester an? Mit diesen Worten folgte sie der Commerzienräthin. Neugier trieb sie, eine innige Theilnahme zu heucheln. </p> <p>Martha stand und schlug sich mit der Hand an die Stirn. Das Benehmen ihres Bruders gegen Wolny, die gestörte Thätigkeit der Fabrik, die schimpfliche Verweisung desselben aus einem Kreise, wo sie sich oft so wohl gefühlt, mehr als im Hause der Commerzienräthin, eines Kreises, wo sie die weiche, die Seele sanft anfächelnde Luft der Bildung genossen hatte, alles das hatte ihr schon an sich den größten Schmerz verursacht. Nun wieder die Worte des Staatsanwalts und etwas neues Geheimnißvolles! Oder vielmehr nur das alte ewig Wiederkehrende, das sich in andern Formen wiederholte! Sie </p> </div> </body> </text> </TEI> [149/0155]
Wieder ein anonymer Brief! – sagte mit heiserer Stimme vom Fenster Fräulein Dora, als der pflichttreue Mann gegangen war.
Die Ahnung, daß sie selbst wieder der Gegenstand der anonymen Verläumdung war, wie sie’s in diesen Ausgeburten der Bosheit schon oft gewesen, ergriff Martha so mächtig, daß sie Miene machte, der Commerzienräthin zu folgen.
Sie werden doch nicht! vertrat ihr Fräulein Dora den Weg und sah sie groß mit ihren stechenden Augen an. Was geht Sie denn die Correspondenz meiner Schwester an? Mit diesen Worten folgte sie der Commerzienräthin. Neugier trieb sie, eine innige Theilnahme zu heucheln.
Martha stand und schlug sich mit der Hand an die Stirn. Das Benehmen ihres Bruders gegen Wolny, die gestörte Thätigkeit der Fabrik, die schimpfliche Verweisung desselben aus einem Kreise, wo sie sich oft so wohl gefühlt, mehr als im Hause der Commerzienräthin, eines Kreises, wo sie die weiche, die Seele sanft anfächelnde Luft der Bildung genossen hatte, alles das hatte ihr schon an sich den größten Schmerz verursacht. Nun wieder die Worte des Staatsanwalts und etwas neues Geheimnißvolles! Oder vielmehr nur das alte ewig Wiederkehrende, das sich in andern Formen wiederholte! Sie
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