Gutzkow, Karl: Die neuen Serapionsbrüder. Bd. 1. Breslau, 1877.aufstehen, würden sich, dessen ganz unbewußt, etwas zu schaffen machen, nur um die magische Störung abzulenken. Das Auge ist beim Menschen thätiger als das Ohr! sagten schon die Alten. An Mimer's Quell trank man Weisheit, mußte aber, wie Odin, Ein Auge zurücklassen! Nun, meine Herren, denken Sie sich eine Bevölkerung von nahe einer Million auf schmalstem Gangboden aneinander vorüberschreitender Menschen, Einer berührt den Andern. Zuweilen muß man warten, bis sich die langsam Gehenden verzogen haben! Auf die gepflasterte Fläche nebenan zu treten, liegt schon nicht mehr in der Uebung des Fußes, ja es hat sich eine gewisse Kunstfertigkeit ausgebildet, in Schlangenwindungen aneinander vorüber zu schlüpfen. Alles blickte zu dem Bildhauer hinüber, der die Rede immerfort mit einem grellen Lachen, womit Bestätigung ausgedrückt werden sollte, begleitete. Nun, fuhr Doctor Eltester fort, nun nehmen Sie die unerträgliche Neugier unserer Bevölkerung hinzu - Wißbegier! verbesserten die Optimisten. Auf diesem schmalen Trottoir, fuhr der Sprecher fort, sind alle Stände gemischt! Der in's Bureau mit krampfhaft hochgezogenen Schultern eilende Geheimrath, die auf den Markt zusteuernde Köchin, deren umfangreicher Handkorb durch die zunehmende Höflichkeit aufstehen, würden sich, dessen ganz unbewußt, etwas zu schaffen machen, nur um die magische Störung abzulenken. Das Auge ist beim Menschen thätiger als das Ohr! sagten schon die Alten. An Mimer’s Quell trank man Weisheit, mußte aber, wie Odin, Ein Auge zurücklassen! Nun, meine Herren, denken Sie sich eine Bevölkerung von nahe einer Million auf schmalstem Gangboden aneinander vorüberschreitender Menschen, Einer berührt den Andern. Zuweilen muß man warten, bis sich die langsam Gehenden verzogen haben! Auf die gepflasterte Fläche nebenan zu treten, liegt schon nicht mehr in der Uebung des Fußes, ja es hat sich eine gewisse Kunstfertigkeit ausgebildet, in Schlangenwindungen aneinander vorüber zu schlüpfen. Alles blickte zu dem Bildhauer hinüber, der die Rede immerfort mit einem grellen Lachen, womit Bestätigung ausgedrückt werden sollte, begleitete. Nun, fuhr Doctor Eltester fort, nun nehmen Sie die unerträgliche Neugier unserer Bevölkerung hinzu – Wißbegier! verbesserten die Optimisten. Auf diesem schmalen Trottoir, fuhr der Sprecher fort, sind alle Stände gemischt! Der in’s Bureau mit krampfhaft hochgezogenen Schultern eilende Geheimrath, die auf den Markt zusteuernde Köchin, deren umfangreicher Handkorb durch die zunehmende Höflichkeit <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0015" n="9"/> aufstehen, würden sich, dessen ganz unbewußt, etwas zu schaffen machen, nur um die magische Störung abzulenken. Das Auge ist beim Menschen thätiger als das Ohr! sagten schon die Alten. <ref xml:id="TEXTAnMimersBISzuruecklassen" type="editorialNote" target="NSer2E.htm#ERLAnMimersBISzuruecklassen">An Mimer’s Quell trank man Weisheit, mußte aber, wie Odin, Ein Auge zurücklassen! </ref> Nun, meine Herren, denken Sie sich eine Bevölkerung von nahe einer Million auf schmalstem Gangboden aneinander vorüberschreitender Menschen, Einer berührt den Andern. Zuweilen muß man warten, bis sich die langsam Gehenden verzogen haben! Auf die gepflasterte Fläche nebenan zu treten, liegt schon nicht mehr in der Uebung des Fußes, ja es hat sich eine gewisse Kunstfertigkeit ausgebildet, in Schlangenwindungen aneinander vorüber zu schlüpfen. </p> <p>Alles blickte zu dem Bildhauer hinüber, der die Rede immerfort mit einem grellen Lachen, womit Bestätigung ausgedrückt werden sollte, begleitete. </p> <p>Nun, fuhr Doctor Eltester fort, nun nehmen Sie die unerträgliche Neugier unserer Bevölkerung hinzu –</p> <p>Wißbegier! verbesserten die Optimisten. </p> <p><ref xml:id="TEXTAufdiesemBISTrottoir" type="editorialNote" target="NSer2E.htm#ERLAufdiesemBISTrottoir">Auf diesem schmalen Trottoir</ref>, fuhr der Sprecher fort, sind alle Stände gemischt! Der in’s Bureau mit krampfhaft hochgezogenen Schultern eilende Geheimrath, die auf den Markt zusteuernde Köchin, deren umfangreicher Handkorb durch die zunehmende Höflichkeit </p> </div> </body> </text> </TEI> [9/0015]
aufstehen, würden sich, dessen ganz unbewußt, etwas zu schaffen machen, nur um die magische Störung abzulenken. Das Auge ist beim Menschen thätiger als das Ohr! sagten schon die Alten. An Mimer’s Quell trank man Weisheit, mußte aber, wie Odin, Ein Auge zurücklassen! Nun, meine Herren, denken Sie sich eine Bevölkerung von nahe einer Million auf schmalstem Gangboden aneinander vorüberschreitender Menschen, Einer berührt den Andern. Zuweilen muß man warten, bis sich die langsam Gehenden verzogen haben! Auf die gepflasterte Fläche nebenan zu treten, liegt schon nicht mehr in der Uebung des Fußes, ja es hat sich eine gewisse Kunstfertigkeit ausgebildet, in Schlangenwindungen aneinander vorüber zu schlüpfen.
Alles blickte zu dem Bildhauer hinüber, der die Rede immerfort mit einem grellen Lachen, womit Bestätigung ausgedrückt werden sollte, begleitete.
Nun, fuhr Doctor Eltester fort, nun nehmen Sie die unerträgliche Neugier unserer Bevölkerung hinzu –
Wißbegier! verbesserten die Optimisten.
Auf diesem schmalen Trottoir, fuhr der Sprecher fort, sind alle Stände gemischt! Der in’s Bureau mit krampfhaft hochgezogenen Schultern eilende Geheimrath, die auf den Markt zusteuernde Köchin, deren umfangreicher Handkorb durch die zunehmende Höflichkeit
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_serapionsbrueder01_1877 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_serapionsbrueder01_1877/15 |
Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die neuen Serapionsbrüder. Bd. 1. Breslau, 1877, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_serapionsbrueder01_1877/15>, abgerufen am 02.03.2025. |