Gutzkow, Karl: Die neuen Serapionsbrüder. Bd. 1. Breslau, 1877.wahr oder falsch, ob gerecht oder unbillig, ob echt oder nur zum Schein ist, entscheidet. Das Geglaubte wird nicht untersucht, nicht geprüft, man staunt nur, glotzt, reißt die Augen auf! Der Matador ist der Sieger! Und durch irgend ein Hinterpförtchen schließt sich selbst der Ehrliche, der Freisinnige, der Charakter Prätendirende dem Schwindel an. Gehen Sie in's Theater! Das Stück ist erbärmlich! Man fühlt es, man weiß es! Aber die Claqueurs rasen und "Es wird doch gut gespielt!" lautet das fast allgemeine Urtheil. Von der Ueberhebung des Unbedeutenden, von der ständigen Angewiesenheit des Bedeutenden auf ganz gewöhnliche Trompeterei, die aber das Stadtprivilegium hat, will ich nicht reden! Denn eine Aristokratie des Geistes giebt es nicht mehr. Nur eine Tyrannei der Faiseurs führt das Wort. Schopenhauer schrie zwanzig Jahre in's Leere: Ist die Philosophie der Leute nicht die meine, so sind sie Dummköpfe! Allmälig wurde das gehört und geglaubt. Unsere Wissenschaftszustände, das Büchermachen, das Berufenwerden der Professoren von Abdera nach Thule und von Thule nach Abdera, über Alles das hat unsere Zeit - ein schlechtes Gewissen und daher die allgemein mangelnde Lebensfreude! Eine Stille war eingetreten. Man hörte nur Althings schwerseufzendes: Sehr wahr! Aber keine andre wahr oder falsch, ob gerecht oder unbillig, ob echt oder nur zum Schein ist, entscheidet. Das Geglaubte wird nicht untersucht, nicht geprüft, man staunt nur, glotzt, reißt die Augen auf! Der Matador ist der Sieger! Und durch irgend ein Hinterpförtchen schließt sich selbst der Ehrliche, der Freisinnige, der Charakter Prätendirende dem Schwindel an. Gehen Sie in’s Theater! Das Stück ist erbärmlich! Man fühlt es, man weiß es! Aber die Claqueurs rasen und „Es wird doch gut gespielt!“ lautet das fast allgemeine Urtheil. Von der Ueberhebung des Unbedeutenden, von der ständigen Angewiesenheit des Bedeutenden auf ganz gewöhnliche Trompeterei, die aber das Stadtprivilegium hat, will ich nicht reden! Denn eine Aristokratie des Geistes giebt es nicht mehr. Nur eine Tyrannei der Faiseurs führt das Wort. Schopenhauer schrie zwanzig Jahre in’s Leere: Ist die Philosophie der Leute nicht die meine, so sind sie Dummköpfe! Allmälig wurde das gehört und geglaubt. Unsere Wissenschaftszustände, das Büchermachen, das Berufenwerden der Professoren von Abdera nach Thule und von Thule nach Abdera, über Alles das hat unsere Zeit – ein schlechtes Gewissen und daher die allgemein mangelnde Lebensfreude! Eine Stille war eingetreten. Man hörte nur Althings schwerseufzendes: Sehr wahr! Aber keine andre <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0134" n="128"/> wahr oder falsch, ob gerecht oder unbillig, ob echt oder nur zum Schein ist, entscheidet. Das Geglaubte wird nicht untersucht, nicht geprüft, man staunt nur, glotzt, reißt die Augen auf! Der Matador ist der Sieger! Und durch irgend ein Hinterpförtchen schließt sich selbst der Ehrliche, der Freisinnige, der Charakter Prätendirende dem Schwindel an. Gehen Sie in’s Theater! Das Stück ist erbärmlich! Man fühlt es, man weiß es! Aber die Claqueurs rasen und „Es wird doch gut gespielt!“ lautet das fast allgemeine Urtheil. Von der Ueberhebung des Unbedeutenden, von der ständigen Angewiesenheit des Bedeutenden auf ganz gewöhnliche Trompeterei, die aber das Stadtprivilegium hat, will ich nicht reden! Denn <ref xml:id="TEXTeineAristokratieBISmehr" type="editorialNote" target="NSer2E.htm#ERLeineAristokratieBISmehr">eine Aristokratie des Geistes giebt es nicht mehr</ref>. Nur eine Tyrannei der <ref xml:id="TEXTFaiseurs" type="editorialNote" target="NSer2E.htm#ERLFaiseurs">Faiseurs</ref> führt das Wort. <ref xml:id="TEXTSchopenhauerBISDummkoepfe" type="editorialNote" target="NSer2E.htm#ERLSchopenhauerBISDummkoepfe">Schopenhauer schrie zwanzig Jahre in’s Leere: Ist die Philosophie der Leute nicht die meine, so sind sie Dummköpfe!</ref> Allmälig wurde das gehört und geglaubt. Unsere Wissenschaftszustände, das Büchermachen, <ref xml:id="TEXTdasBerufenwerdenBISAbdera" type="editorialNote" target="NSer2E.htm#ERLdasBerufenwerdenBISAbdera">das Berufenwerden der Professoren von Abdera nach Thule und von Thule nach Abdera</ref>, über Alles das hat unsere Zeit – ein schlechtes Gewissen und daher die allgemein mangelnde Lebensfreude! </p> <p>Eine Stille war eingetreten. Man hörte nur Althings schwerseufzendes: Sehr wahr! Aber keine andre </p> </div> </body> </text> </TEI> [128/0134]
wahr oder falsch, ob gerecht oder unbillig, ob echt oder nur zum Schein ist, entscheidet. Das Geglaubte wird nicht untersucht, nicht geprüft, man staunt nur, glotzt, reißt die Augen auf! Der Matador ist der Sieger! Und durch irgend ein Hinterpförtchen schließt sich selbst der Ehrliche, der Freisinnige, der Charakter Prätendirende dem Schwindel an. Gehen Sie in’s Theater! Das Stück ist erbärmlich! Man fühlt es, man weiß es! Aber die Claqueurs rasen und „Es wird doch gut gespielt!“ lautet das fast allgemeine Urtheil. Von der Ueberhebung des Unbedeutenden, von der ständigen Angewiesenheit des Bedeutenden auf ganz gewöhnliche Trompeterei, die aber das Stadtprivilegium hat, will ich nicht reden! Denn eine Aristokratie des Geistes giebt es nicht mehr. Nur eine Tyrannei der Faiseurs führt das Wort. Schopenhauer schrie zwanzig Jahre in’s Leere: Ist die Philosophie der Leute nicht die meine, so sind sie Dummköpfe! Allmälig wurde das gehört und geglaubt. Unsere Wissenschaftszustände, das Büchermachen, das Berufenwerden der Professoren von Abdera nach Thule und von Thule nach Abdera, über Alles das hat unsere Zeit – ein schlechtes Gewissen und daher die allgemein mangelnde Lebensfreude!
Eine Stille war eingetreten. Man hörte nur Althings schwerseufzendes: Sehr wahr! Aber keine andre
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Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die neuen Serapionsbrüder. Bd. 1. Breslau, 1877, S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_serapionsbrueder01_1877/134>, abgerufen am 16.02.2025. |