Gutzkow, Karl: Die neuen Serapionsbrüder. Bd. 1. Breslau, 1877.Unwahrheiten, die ich Ihnen schrieb. Die Stellen könnten mißdeutet werden. Gönnen Sie mir das Glück, mich vor Ihnen zu rechtfertigen! Schriftlich ist es unmöglich. Sie werden sich fürchten, meine Wohnung zu betreten. Ich schlage Ihnen vor, Sie in Ihrer diplomatischen Eigenschaft zu besuchen. Ein Zimmer, wo ich Ihnen eine sich auf Portugal beziehende Angelegenheit vortragen könnte, eine Erbschaft von 30,000 Thalern betreffend, wird sich doch wohl in Ihrem geräumigen Palais finden. Bitte um baldigen Bescheid und weisen Sie mich nicht ab, wenn ich komme oder wohl gar so dreist werde, wie Claudia in Emilia Galotti, die aller Anmeldungen spottend die Domestiquen zur Seite stößt und ausruft: Wo bist Du, mein Kind? Ich komme! Aber erschrecken Sie nicht über das Kind! Es ist nur von mir die Rede, die ihre Rechte reclamirt!" Schon an der Stelle, wo die "diplomatische Eigenschaft" erwähnt war, war Udo aufgesprungen. Vollends trieb ihn die Anspielung auf ein Kind im Zimmer hin und her. Er sah die Schreiberin dieser Zeilen, die entweder einige Bildung besaß oder sich diese Briefe von Jemand verfassen ließ, schon im Geist ohne Erlaubniß mit emancipirter Dreistigkeit, in einem rauschenden Gewande, die Treppe und die Zimmer erstürmen, er sah, wie sie sich seine Vertraulichkeit erzwang, Drohungen Unwahrheiten, die ich Ihnen schrieb. Die Stellen könnten mißdeutet werden. Gönnen Sie mir das Glück, mich vor Ihnen zu rechtfertigen! Schriftlich ist es unmöglich. Sie werden sich fürchten, meine Wohnung zu betreten. Ich schlage Ihnen vor, Sie in Ihrer diplomatischen Eigenschaft zu besuchen. Ein Zimmer, wo ich Ihnen eine sich auf Portugal beziehende Angelegenheit vortragen könnte, eine Erbschaft von 30,000 Thalern betreffend, wird sich doch wohl in Ihrem geräumigen Palais finden. Bitte um baldigen Bescheid und weisen Sie mich nicht ab, wenn ich komme oder wohl gar so dreist werde, wie Claudia in Emilia Galotti, die aller Anmeldungen spottend die Domestiquen zur Seite stößt und ausruft: Wo bist Du, mein Kind? Ich komme! Aber erschrecken Sie nicht über das Kind! Es ist nur von mir die Rede, die ihre Rechte reclamirt!“ Schon an der Stelle, wo die „diplomatische Eigenschaft“ erwähnt war, war Udo aufgesprungen. Vollends trieb ihn die Anspielung auf ein Kind im Zimmer hin und her. Er sah die Schreiberin dieser Zeilen, die entweder einige Bildung besaß oder sich diese Briefe von Jemand verfassen ließ, schon im Geist ohne Erlaubniß mit emancipirter Dreistigkeit, in einem rauschenden Gewande, die Treppe und die Zimmer erstürmen, er sah, wie sie sich seine Vertraulichkeit erzwang, Drohungen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0116" n="110"/> Unwahrheiten, die ich Ihnen schrieb. Die Stellen könnten mißdeutet werden. Gönnen Sie mir das Glück, mich vor Ihnen zu rechtfertigen! Schriftlich ist es unmöglich. Sie werden sich fürchten, meine Wohnung zu betreten. Ich schlage Ihnen vor, Sie in Ihrer diplomatischen Eigenschaft zu besuchen. Ein Zimmer, wo ich Ihnen eine sich auf Portugal beziehende Angelegenheit vortragen könnte, eine Erbschaft von 30,000 Thalern betreffend, wird sich doch wohl in Ihrem geräumigen Palais finden. Bitte um baldigen Bescheid und weisen Sie mich nicht ab, wenn ich komme oder wohl gar <ref xml:id="TEXTsodreistBISGalotti" type="editorialNote" target="NSer2E.htm#ERLsodreistBISGalotti">so dreist werde, wie Claudia in Emilia Galotti</ref>, die aller Anmeldungen spottend die Domestiquen zur Seite stößt und ausruft: Wo bist Du, mein Kind? Ich komme! Aber erschrecken Sie nicht über das Kind! Es ist nur von mir die Rede, die ihre Rechte reclamirt!“ </p> <p>Schon an der Stelle, wo die „diplomatische Eigenschaft“ erwähnt war, war Udo aufgesprungen. Vollends trieb ihn die Anspielung auf ein Kind im Zimmer hin und her. Er sah die Schreiberin dieser Zeilen, die entweder einige Bildung besaß oder sich diese Briefe von Jemand verfassen ließ, schon im Geist ohne Erlaubniß mit emancipirter Dreistigkeit, in einem rauschenden Gewande, die Treppe und die Zimmer erstürmen, er sah, wie sie sich seine Vertraulichkeit erzwang, Drohungen </p> </div> </body> </text> </TEI> [110/0116]
Unwahrheiten, die ich Ihnen schrieb. Die Stellen könnten mißdeutet werden. Gönnen Sie mir das Glück, mich vor Ihnen zu rechtfertigen! Schriftlich ist es unmöglich. Sie werden sich fürchten, meine Wohnung zu betreten. Ich schlage Ihnen vor, Sie in Ihrer diplomatischen Eigenschaft zu besuchen. Ein Zimmer, wo ich Ihnen eine sich auf Portugal beziehende Angelegenheit vortragen könnte, eine Erbschaft von 30,000 Thalern betreffend, wird sich doch wohl in Ihrem geräumigen Palais finden. Bitte um baldigen Bescheid und weisen Sie mich nicht ab, wenn ich komme oder wohl gar so dreist werde, wie Claudia in Emilia Galotti, die aller Anmeldungen spottend die Domestiquen zur Seite stößt und ausruft: Wo bist Du, mein Kind? Ich komme! Aber erschrecken Sie nicht über das Kind! Es ist nur von mir die Rede, die ihre Rechte reclamirt!“
Schon an der Stelle, wo die „diplomatische Eigenschaft“ erwähnt war, war Udo aufgesprungen. Vollends trieb ihn die Anspielung auf ein Kind im Zimmer hin und her. Er sah die Schreiberin dieser Zeilen, die entweder einige Bildung besaß oder sich diese Briefe von Jemand verfassen ließ, schon im Geist ohne Erlaubniß mit emancipirter Dreistigkeit, in einem rauschenden Gewande, die Treppe und die Zimmer erstürmen, er sah, wie sie sich seine Vertraulichkeit erzwang, Drohungen
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