[Gutzkow, Karl]: Briefe eines Narren an eine Närrin. Hamburg, 1832.Ein Pole saß an meiner Seite, klagend bald über die verlornen Hoffnungen, bald mit lustigen Liedern sich tröstend, ein echtes Sarmatenkind. Unser Gegenüber empfand zwar Theilnahme für das Schicksal des unglücklichen Landes, aber in jener dumpfen, kalten Weise, die uns Norddeutschen, die wir von keiner Kunst, über Politik zu reden, sondern von einer, über sie zu schweigen, wissen, eigen ist. Gegen einen solchen Jubel, wie bei den Triumphzügen der Ramorino, Langermann, Ledochowski im südlichen Deutschland, würd' er kalt und unempfindlich geblieben sein. Wir sympathisiren hier aber nie mit Leidenschaft. Vom Finanzjammer der Zeit ging die Rede. Der Fremde sprach darüber in Tönen, die mich entsetzen machten. Kalt und bitter verwarf er das Geschrei des Tages. Die Parteien schienen ihm über einem fürchterlichen Abgrunde, dessen Existenz sie nicht ahneten, ein frevelhaftes Spiel zu treiben. Die Gefahr werde von einer Seite kommen, da man sie am wenigsten erwarte. Der gemeine Mann sorge zwar nicht für den morgenden Tag; dazu besäß' er zu viel Christenthum. Aber auch für den heutigen habe er nichts als die geistliche Speise, die keinen Magen satt mache. Dieser Magen, nicht die Vernunft, werde um Befriedigung schreien. Die Vernunft müsse ja immer einen Widerstand Ein Pole saß an meiner Seite, klagend bald über die verlornen Hoffnungen, bald mit lustigen Liedern sich tröstend, ein echtes Sarmatenkind. Unser Gegenüber empfand zwar Theilnahme für das Schicksal des unglücklichen Landes, aber in jener dumpfen, kalten Weise, die uns Norddeutschen, die wir von keiner Kunst, über Politik zu reden, sondern von einer, über sie zu schweigen, wissen, eigen ist. Gegen einen solchen Jubel, wie bei den Triumphzügen der Ramorino, Langermann, Ledochowski im südlichen Deutschland, würd’ er kalt und unempfindlich geblieben sein. Wir sympathisiren hier aber nie mit Leidenschaft. Vom Finanzjammer der Zeit ging die Rede. Der Fremde sprach darüber in Tönen, die mich entsetzen machten. Kalt und bitter verwarf er das Geschrei des Tages. Die Parteien schienen ihm über einem fürchterlichen Abgrunde, dessen Existenz sie nicht ahneten, ein frevelhaftes Spiel zu treiben. Die Gefahr werde von einer Seite kommen, da man sie am wenigsten erwarte. Der gemeine Mann sorge zwar nicht für den morgenden Tag; dazu besäß’ er zu viel Christenthum. Aber auch für den heutigen habe er nichts als die geistliche Speise, die keinen Magen satt mache. Dieser Magen, nicht die Vernunft, werde um Befriedigung schreien. Die Vernunft müsse ja immer einen Widerstand <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0082" n="69"/> Ein Pole saß an meiner Seite, klagend bald über die verlornen Hoffnungen, bald mit lustigen Liedern sich tröstend, <ref xml:id="TEXTeinechtesSarmatenkind" target="BrN4E.htm#ERLeinechtesSarmatenkind">ein echtes Sarmatenkind</ref>. Unser Gegenüber empfand zwar Theilnahme für das Schicksal des unglücklichen Landes, aber in jener dumpfen, kalten Weise, die uns Norddeutschen, die wir von keiner Kunst, über Politik zu reden, sondern von einer, über sie zu schweigen, wissen, eigen ist. <ref xml:id="TEXTGegeneinenBISsuedlichenDeutschland" target="BrN4E.htm#ERLGegeneinenBISsuedlichenDeutschland">Gegen einen solchen Jubel, wie bei den Triumphzügen der Ramorino, Langermann, Ledochowski im südlichen Deutschland</ref>, würd’ er kalt und unempfindlich geblieben sein. Wir sympathisiren hier aber nie mit Leidenschaft.</p> <p>Vom Finanzjammer der Zeit ging die Rede. Der Fremde sprach darüber in Tönen, die mich entsetzen machten. Kalt und bitter verwarf er das Geschrei des Tages. Die Parteien schienen ihm über einem fürchterlichen Abgrunde, dessen Existenz sie nicht ahneten, ein frevelhaftes Spiel zu treiben. Die Gefahr werde von einer Seite kommen, da man sie am wenigsten erwarte. Der gemeine Mann sorge zwar nicht für den morgenden Tag; dazu besäß’ er zu viel Christenthum. Aber auch für den heutigen habe er nichts als die geistliche Speise, die keinen Magen satt mache. Dieser Magen, nicht die Vernunft, werde um Befriedigung schreien. Die Vernunft müsse ja immer einen Widerstand </p> </div> </body> </text> </TEI> [69/0082]
Ein Pole saß an meiner Seite, klagend bald über die verlornen Hoffnungen, bald mit lustigen Liedern sich tröstend, ein echtes Sarmatenkind. Unser Gegenüber empfand zwar Theilnahme für das Schicksal des unglücklichen Landes, aber in jener dumpfen, kalten Weise, die uns Norddeutschen, die wir von keiner Kunst, über Politik zu reden, sondern von einer, über sie zu schweigen, wissen, eigen ist. Gegen einen solchen Jubel, wie bei den Triumphzügen der Ramorino, Langermann, Ledochowski im südlichen Deutschland, würd’ er kalt und unempfindlich geblieben sein. Wir sympathisiren hier aber nie mit Leidenschaft.
Vom Finanzjammer der Zeit ging die Rede. Der Fremde sprach darüber in Tönen, die mich entsetzen machten. Kalt und bitter verwarf er das Geschrei des Tages. Die Parteien schienen ihm über einem fürchterlichen Abgrunde, dessen Existenz sie nicht ahneten, ein frevelhaftes Spiel zu treiben. Die Gefahr werde von einer Seite kommen, da man sie am wenigsten erwarte. Der gemeine Mann sorge zwar nicht für den morgenden Tag; dazu besäß’ er zu viel Christenthum. Aber auch für den heutigen habe er nichts als die geistliche Speise, die keinen Magen satt mache. Dieser Magen, nicht die Vernunft, werde um Befriedigung schreien. Die Vernunft müsse ja immer einen Widerstand
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Zitationshilfe: | [Gutzkow, Karl]: Briefe eines Narren an eine Närrin. Hamburg, 1832, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_narren_1832/82>, abgerufen am 16.02.2025. |