Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Gutzkow, Karl]: Briefe eines Narren an eine Närrin. Hamburg, 1832.

Bild:
<< vorherige Seite

mit denen, die sie hegen. Die Wahrheit des Geistes soll ein ewiges Erbe sein.

Die deutschen Schriftsteller Tadeln, theure Lucretia, ist nur die halbe Seite ihrer Würdigung. Noch öfter müssen wir sie bemitleiden. Ich kenne keine Literatur, die durch mildes Urtheil so sehr Alles, durch strengsten Angriff so sehr Nichts ist. Fast alle großen Geister unserer Nation verschwanden, wenn man neben der Gerechtigkeit nicht mehr die Billigkeit wollte gelten lassen. Auf die leichterregte Menge haben sie gewirkt, aber keinen Stein um einen Schritt fortgerückt. Wenn sie vorgeben, zu schaffen, so bildeten sie verschüttete Dome mit neuen Steinen nach, und bauten in der Meinung, Palläste zu zaubern, Ruinen. Deren haben wir genug.

Diese Abenddämmerung verspricht aber den Anbruch eines neuen Morgens. Die Zierde des kommenden Geschlechts wird eine Fülle lebensfroher Kräfte sein. Man hat oft in der Geschichte die Erscheinung erlebt, daß ein neues, thatenkräftiges Herrscherhaus eine sieche, geschwächte Nation wieder neu beleben konnte. So wird die wahre Aristokratie künftiger Geister wie neue Keime und grüne Schößlinge aus der alternden Welt emporwachsen. Die Schuppen werden von den blöden Augen fal-

mit denen, die sie hegen. Die Wahrheit des Geistes soll ein ewiges Erbe sein.

Die deutschen Schriftsteller Tadeln, theure Lucretia, ist nur die halbe Seite ihrer Würdigung. Noch öfter müssen wir sie bemitleiden. Ich kenne keine Literatur, die durch mildes Urtheil so sehr Alles, durch strengsten Angriff so sehr Nichts ist. Fast alle großen Geister unserer Nation verschwanden, wenn man neben der Gerechtigkeit nicht mehr die Billigkeit wollte gelten lassen. Auf die leichterregte Menge haben sie gewirkt, aber keinen Stein um einen Schritt fortgerückt. Wenn sie vorgeben, zu schaffen, so bildeten sie verschüttete Dome mit neuen Steinen nach, und bauten in der Meinung, Palläste zu zaubern, Ruinen. Deren haben wir genug.

Diese Abenddämmerung verspricht aber den Anbruch eines neuen Morgens. Die Zierde des kommenden Geschlechts wird eine Fülle lebensfroher Kräfte sein. Man hat oft in der Geschichte die Erscheinung erlebt, daß ein neues, thatenkräftiges Herrscherhaus eine sieche, geschwächte Nation wieder neu beleben konnte. So wird die wahre Aristokratie künftiger Geister wie neue Keime und grüne Schößlinge aus der alternden Welt emporwachsen. Die Schuppen werden von den blöden Augen fal-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0336" n="323"/>
mit denen, die sie hegen. Die Wahrheit des Geistes soll ein ewiges Erbe sein.</p>
        <p>Die deutschen Schriftsteller Tadeln, theure Lucretia, ist nur die halbe Seite ihrer Würdigung. Noch öfter müssen wir sie bemitleiden. Ich kenne keine Literatur, die durch mildes Urtheil so sehr Alles, durch strengsten Angriff so sehr Nichts ist. Fast alle großen Geister unserer Nation verschwanden, wenn man neben der Gerechtigkeit nicht mehr die Billigkeit wollte gelten lassen. Auf die leichterregte Menge haben sie gewirkt, aber keinen Stein um einen Schritt fortgerückt. Wenn sie vorgeben, zu schaffen, so bildeten sie verschüttete Dome mit neuen Steinen nach, und bauten in der Meinung, Palläste zu zaubern, Ruinen. Deren haben wir genug.</p>
        <p>Diese Abenddämmerung verspricht aber den Anbruch eines neuen Morgens. Die Zierde des kommenden Geschlechts wird eine Fülle lebensfroher Kräfte sein. Man hat oft in der Geschichte die Erscheinung erlebt, daß ein neues, thatenkräftiges Herrscherhaus eine sieche, geschwächte Nation wieder neu beleben konnte. So wird die wahre Aristokratie künftiger Geister wie neue Keime und grüne Schößlinge aus der alternden Welt emporwachsen. Die Schuppen werden von den blöden Augen fal-
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[323/0336] mit denen, die sie hegen. Die Wahrheit des Geistes soll ein ewiges Erbe sein. Die deutschen Schriftsteller Tadeln, theure Lucretia, ist nur die halbe Seite ihrer Würdigung. Noch öfter müssen wir sie bemitleiden. Ich kenne keine Literatur, die durch mildes Urtheil so sehr Alles, durch strengsten Angriff so sehr Nichts ist. Fast alle großen Geister unserer Nation verschwanden, wenn man neben der Gerechtigkeit nicht mehr die Billigkeit wollte gelten lassen. Auf die leichterregte Menge haben sie gewirkt, aber keinen Stein um einen Schritt fortgerückt. Wenn sie vorgeben, zu schaffen, so bildeten sie verschüttete Dome mit neuen Steinen nach, und bauten in der Meinung, Palläste zu zaubern, Ruinen. Deren haben wir genug. Diese Abenddämmerung verspricht aber den Anbruch eines neuen Morgens. Die Zierde des kommenden Geschlechts wird eine Fülle lebensfroher Kräfte sein. Man hat oft in der Geschichte die Erscheinung erlebt, daß ein neues, thatenkräftiges Herrscherhaus eine sieche, geschwächte Nation wieder neu beleben konnte. So wird die wahre Aristokratie künftiger Geister wie neue Keime und grüne Schößlinge aus der alternden Welt emporwachsen. Die Schuppen werden von den blöden Augen fal-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Gutzkow Editionsprojekt: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in der Syntax des Gutzkow Editionsprojekts. (2013-07-01T14:33:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus dem Gutzkow Editionsprojekt entsprechen muss.
Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-07-01T14:33:31Z)
Frederike Neuber: Konvertierung vom Markup des Gutzkow Editionsprojekts nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2013-07-01T14:33:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Gutzkow Editionsprojekt:Editionsprinzipien
  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Übergeschriebenes „e“ über „a“, „o“ und „u“ wird als „ä“, „ö“, „ü“ transkribiert.
  • Die Majuskel J im Frakturdruck wird in der Transkription je nach Lautwert als I bzw. J wiedergegeben.
  • Zeilenumbrüche innerhalb eines Absatzes werden aufgelöst.
  • Silbentrennungen über Zeilengrenzen hinweg werden aufgelöst.
  • Silbentrennungen über Seitengrenzen hinweg werden beibehalten.
  • Anmerkungen und Erläuterungen der Herausgeber der Gutzkow-Edition sind im XML mit <ref target="[Ziel]">...</ref> wiedergegeben. [Ziel] benennt die HTM-Datei und den Abschnitt der jeweiligen Erläuterung auf den Seiten des Gutzkow-Editionsprojekts.
  • Druckfehler und andere Fehler der Vorlage wurden in der Transkription behoben. Zu den hierbei vorgenommenen Textänderungen und zu problematischen Textstellen siehe Abschnitt 2.1.1: Textänderungen auf den Seiten des Gutzkow-Editionsprojekts.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_narren_1832
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_narren_1832/336
Zitationshilfe: [Gutzkow, Karl]: Briefe eines Narren an eine Närrin. Hamburg, 1832, S. 323. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_narren_1832/336>, abgerufen am 22.11.2024.