Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Gutzkow, Karl]: Briefe eines Narren an eine Närrin. Hamburg, 1832.

Bild:
<< vorherige Seite

mich gewöhnen wollen, an Ahnungen zu glauben, und -- wie sie mich zu täuschen pflegen, davon find' ich in diesem Augenblick ein Beispiel -- Ich würde das heutige Gastmahl nicht besucht haben, wenn ich mir nicht wieder hätte zuraunen lassen, die vergebens Gesuchten sollten auf diesen Ruinen, die wir jetzt erstiegen haben, gefunden werden. Ja, selbst dieser Stein, auf dem Sie, Fräulein, stehen, war mir traumartig als der Ort des Wiedersehens bestimmt. Aber, mein Gott, warum erblassen Sie?"

In der That schwankte die junge Dame in die Arme des altmodischen Alten. Dann hob sie ihre Augen wieder auf und rief, dem General zugewandt: "Mein Vater!"

Das Erstaunen war allgemein. Der General erkannte sein vergeblich gesuchtes Kind, und in dem Alten einen von ihm nie gesehenen Oheim, dem er jenes beim Marsche nach Spanien durch einen Diener anvertraut hatte. Mannigfache Schicksale, die ihre Aufklärung in den Verhältnissen zu dem spanischen Geistlichen fanden, hatte ihn längere Zeit von seiner Heirath zurückgehalten, bis er in diesem Augenblicke das geliebte Pfand seiner ersten Liebe an sein väterliches Herz drücken konnte. Die spanische Verirrung löste sich bald durch einige Verständigungen mit dem Geistlichen, und man

mich gewöhnen wollen, an Ahnungen zu glauben, und — wie sie mich zu täuschen pflegen, davon find’ ich in diesem Augenblick ein Beispiel — Ich würde das heutige Gastmahl nicht besucht haben, wenn ich mir nicht wieder hätte zuraunen lassen, die vergebens Gesuchten sollten auf diesen Ruinen, die wir jetzt erstiegen haben, gefunden werden. Ja, selbst dieser Stein, auf dem Sie, Fräulein, stehen, war mir traumartig als der Ort des Wiedersehens bestimmt. Aber, mein Gott, warum erblassen Sie?"

In der That schwankte die junge Dame in die Arme des altmodischen Alten. Dann hob sie ihre Augen wieder auf und rief, dem General zugewandt: »Mein Vater!«

Das Erstaunen war allgemein. Der General erkannte sein vergeblich gesuchtes Kind, und in dem Alten einen von ihm nie gesehenen Oheim, dem er jenes beim Marsche nach Spanien durch einen Diener anvertraut hatte. Mannigfache Schicksale, die ihre Aufklärung in den Verhältnissen zu dem spanischen Geistlichen fanden, hatte ihn längere Zeit von seiner Heirath zurückgehalten, bis er in diesem Augenblicke das geliebte Pfand seiner ersten Liebe an sein väterliches Herz drücken konnte. Die spanische Verirrung löste sich bald durch einige Verständigungen mit dem Geistlichen, und man

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0314" n="301"/>
mich gewöhnen wollen, an Ahnungen zu glauben, und &#x2014; wie sie mich zu täuschen pflegen, davon find&#x2019; ich in diesem Augenblick ein Beispiel &#x2014; Ich würde das heutige Gastmahl nicht besucht haben, wenn ich mir nicht wieder hätte zuraunen lassen, die vergebens Gesuchten sollten auf diesen Ruinen, die wir jetzt erstiegen haben, gefunden werden. Ja, selbst dieser Stein, auf dem Sie, Fräulein, stehen, war mir traumartig als der Ort des Wiedersehens bestimmt. Aber, mein Gott, warum erblassen Sie?"</p>
        <p>In der That schwankte die junge Dame in die Arme des altmodischen Alten. Dann hob sie ihre Augen wieder auf und rief, dem General zugewandt: »Mein Vater!«</p>
        <p>Das Erstaunen war allgemein. Der General erkannte sein vergeblich gesuchtes Kind, und in dem Alten einen von ihm nie gesehenen Oheim, dem er jenes beim Marsche nach Spanien durch einen Diener anvertraut hatte. Mannigfache Schicksale, die ihre Aufklärung in den Verhältnissen zu dem spanischen Geistlichen fanden, hatte ihn längere Zeit von seiner Heirath zurückgehalten, bis er in diesem Augenblicke das geliebte Pfand seiner ersten Liebe an sein väterliches Herz drücken konnte. Die spanische Verirrung löste sich bald durch einige Verständigungen mit dem Geistlichen, und man
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[301/0314] mich gewöhnen wollen, an Ahnungen zu glauben, und — wie sie mich zu täuschen pflegen, davon find’ ich in diesem Augenblick ein Beispiel — Ich würde das heutige Gastmahl nicht besucht haben, wenn ich mir nicht wieder hätte zuraunen lassen, die vergebens Gesuchten sollten auf diesen Ruinen, die wir jetzt erstiegen haben, gefunden werden. Ja, selbst dieser Stein, auf dem Sie, Fräulein, stehen, war mir traumartig als der Ort des Wiedersehens bestimmt. Aber, mein Gott, warum erblassen Sie?" In der That schwankte die junge Dame in die Arme des altmodischen Alten. Dann hob sie ihre Augen wieder auf und rief, dem General zugewandt: »Mein Vater!« Das Erstaunen war allgemein. Der General erkannte sein vergeblich gesuchtes Kind, und in dem Alten einen von ihm nie gesehenen Oheim, dem er jenes beim Marsche nach Spanien durch einen Diener anvertraut hatte. Mannigfache Schicksale, die ihre Aufklärung in den Verhältnissen zu dem spanischen Geistlichen fanden, hatte ihn längere Zeit von seiner Heirath zurückgehalten, bis er in diesem Augenblicke das geliebte Pfand seiner ersten Liebe an sein väterliches Herz drücken konnte. Die spanische Verirrung löste sich bald durch einige Verständigungen mit dem Geistlichen, und man

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Gutzkow Editionsprojekt: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in der Syntax des Gutzkow Editionsprojekts. (2013-07-01T14:33:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus dem Gutzkow Editionsprojekt entsprechen muss.
Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-07-01T14:33:31Z)
Frederike Neuber: Konvertierung vom Markup des Gutzkow Editionsprojekts nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2013-07-01T14:33:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Gutzkow Editionsprojekt:Editionsprinzipien
  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Übergeschriebenes „e“ über „a“, „o“ und „u“ wird als „ä“, „ö“, „ü“ transkribiert.
  • Die Majuskel J im Frakturdruck wird in der Transkription je nach Lautwert als I bzw. J wiedergegeben.
  • Zeilenumbrüche innerhalb eines Absatzes werden aufgelöst.
  • Silbentrennungen über Zeilengrenzen hinweg werden aufgelöst.
  • Silbentrennungen über Seitengrenzen hinweg werden beibehalten.
  • Anmerkungen und Erläuterungen der Herausgeber der Gutzkow-Edition sind im XML mit <ref target="[Ziel]">...</ref> wiedergegeben. [Ziel] benennt die HTM-Datei und den Abschnitt der jeweiligen Erläuterung auf den Seiten des Gutzkow-Editionsprojekts.
  • Druckfehler und andere Fehler der Vorlage wurden in der Transkription behoben. Zu den hierbei vorgenommenen Textänderungen und zu problematischen Textstellen siehe Abschnitt 2.1.1: Textänderungen auf den Seiten des Gutzkow-Editionsprojekts.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_narren_1832
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_narren_1832/314
Zitationshilfe: [Gutzkow, Karl]: Briefe eines Narren an eine Närrin. Hamburg, 1832, S. 301. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_narren_1832/314>, abgerufen am 22.11.2024.