[Gutzkow, Karl]: Briefe eines Narren an eine Närrin. Hamburg, 1832.an das ganze Wunder glauben. Hab' ich ihn gefunden, so bleibt mir das Wunder des Herzens, die erwärmte Lebenskraft, das gläubige Gefühl noch übrig, und es wird lange währen, ehe mir dieses klar wird. Für mich sind keine Todten auferstanden, keine Geschiedenen ins Leben zurückgekehrt, keine Irdischen bei lebendigem Leibe in den Himmel gefahren: und dennoch weiß ich die frommen Zustände zu achten, in die solche Nachrichten die Gemüther zu setzen pflegen." Eine junge Dame von ausnehmender Schönheit, die sich mit zärtlicher Sorgfalt dem alten Manne, der so eben gesprochen, angeschlossen hatte, begann mit anmuthiger Stimme: "Es freut mich, daß sich endlich Gelegenheit darbietet, unsre Frage in ein Gebiet zu spielen, in dem ich und meine Freundinnen vielleicht heimischer sind. Wenn nur die Verschiedenheit der Individuen die Frage des Wunders entscheiden soll, so werden auch die Zeiten mitzusprechen haben, deren Werth dem Interesse der Poesie genau verbunden ist. Die alte Sage hat von Wundern zu erzählen, die sich in einem modernen Epos lächerlich ausnehmen würden, in einem Drama vollends abgeschmackt sind. Was trägt davon die Schuld? Sind die Menschen andre in einer andern Gattung der Poesie, oder sind die Lagen, in die sie kommen, ungleichartig? an das ganze Wunder glauben. Hab’ ich ihn gefunden, so bleibt mir das Wunder des Herzens, die erwärmte Lebenskraft, das gläubige Gefühl noch übrig, und es wird lange währen, ehe mir dieses klar wird. Für mich sind keine Todten auferstanden, keine Geschiedenen ins Leben zurückgekehrt, keine Irdischen bei lebendigem Leibe in den Himmel gefahren: und dennoch weiß ich die frommen Zustände zu achten, in die solche Nachrichten die Gemüther zu setzen pflegen." Eine junge Dame von ausnehmender Schönheit, die sich mit zärtlicher Sorgfalt dem alten Manne, der so eben gesprochen, angeschlossen hatte, begann mit anmuthiger Stimme: "Es freut mich, daß sich endlich Gelegenheit darbietet, unsre Frage in ein Gebiet zu spielen, in dem ich und meine Freundinnen vielleicht heimischer sind. Wenn nur die Verschiedenheit der Individuen die Frage des Wunders entscheiden soll, so werden auch die Zeiten mitzusprechen haben, deren Werth dem Interesse der Poesie genau verbunden ist. Die alte Sage hat von Wundern zu erzählen, die sich in einem modernen Epos lächerlich ausnehmen würden, in einem Drama vollends abgeschmackt sind. Was trägt davon die Schuld? Sind die Menschen andre in einer andern Gattung der Poesie, oder sind die Lagen, in die sie kommen, ungleichartig? <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0309" n="296"/> an das ganze Wunder glauben. Hab’ ich ihn gefunden, so bleibt mir das Wunder des Herzens, die erwärmte Lebenskraft, das gläubige Gefühl noch übrig, und es wird lange währen, ehe mir dieses klar wird. Für mich sind keine Todten auferstanden, keine Geschiedenen ins Leben zurückgekehrt, keine Irdischen bei lebendigem Leibe in den Himmel gefahren: und dennoch weiß ich die frommen Zustände zu achten, in die solche Nachrichten die Gemüther zu setzen pflegen."</p> <p>Eine junge Dame von ausnehmender Schönheit, die sich mit zärtlicher Sorgfalt dem alten Manne, der so eben gesprochen, angeschlossen hatte, begann mit anmuthiger Stimme: "Es freut mich, daß sich endlich Gelegenheit darbietet, unsre Frage in ein Gebiet zu spielen, in dem ich und meine Freundinnen vielleicht heimischer sind. Wenn nur die Verschiedenheit der Individuen die Frage des Wunders entscheiden soll, so werden auch die Zeiten mitzusprechen haben, deren Werth dem Interesse der Poesie genau verbunden ist. Die alte Sage hat von Wundern zu erzählen, die sich in einem modernen Epos lächerlich ausnehmen würden, in einem Drama vollends abgeschmackt sind. Was trägt davon die Schuld? Sind die Menschen andre in einer andern Gattung der Poesie, oder sind die Lagen, in die sie kommen, ungleichartig? </p> </div> </body> </text> </TEI> [296/0309]
an das ganze Wunder glauben. Hab’ ich ihn gefunden, so bleibt mir das Wunder des Herzens, die erwärmte Lebenskraft, das gläubige Gefühl noch übrig, und es wird lange währen, ehe mir dieses klar wird. Für mich sind keine Todten auferstanden, keine Geschiedenen ins Leben zurückgekehrt, keine Irdischen bei lebendigem Leibe in den Himmel gefahren: und dennoch weiß ich die frommen Zustände zu achten, in die solche Nachrichten die Gemüther zu setzen pflegen."
Eine junge Dame von ausnehmender Schönheit, die sich mit zärtlicher Sorgfalt dem alten Manne, der so eben gesprochen, angeschlossen hatte, begann mit anmuthiger Stimme: "Es freut mich, daß sich endlich Gelegenheit darbietet, unsre Frage in ein Gebiet zu spielen, in dem ich und meine Freundinnen vielleicht heimischer sind. Wenn nur die Verschiedenheit der Individuen die Frage des Wunders entscheiden soll, so werden auch die Zeiten mitzusprechen haben, deren Werth dem Interesse der Poesie genau verbunden ist. Die alte Sage hat von Wundern zu erzählen, die sich in einem modernen Epos lächerlich ausnehmen würden, in einem Drama vollends abgeschmackt sind. Was trägt davon die Schuld? Sind die Menschen andre in einer andern Gattung der Poesie, oder sind die Lagen, in die sie kommen, ungleichartig?
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_narren_1832 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_narren_1832/309 |
Zitationshilfe: | [Gutzkow, Karl]: Briefe eines Narren an eine Närrin. Hamburg, 1832, S. 296. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_narren_1832/309>, abgerufen am 16.02.2025. |