[Gutzkow, Karl]: Briefe eines Narren an eine Närrin. Hamburg, 1832."Der Mensch ist das Maß aller Dinge!" -- sagte eine Figur, deren sonderbarer Aufzug mit der Achtung contrastirte, die man ihr allgemein bewies, der kleine Mann trug sich in seinen Kleidern durchaus nach dem Schnitte einer längst vergessenen Mode, nur sein graues Haar flatterte unter dem dreieckigen Hute, den er bald lüftete, bald wieder aufsetzte, ohne Zwang in langen Locken, deren natürliche Kräuselung sich noch nicht ganz verloren hatte. Seine Mienen sprachen Jugendmuth und eine Begeisterung aus, die er auf das Lebhafteste mit einem starken, goldknöpfigen Bambusrohre accompagnirte. Schnell fuhr er fort: "Wir müssen die Welt in unserer Brust tragen. Der Schmerz, der einem Andern Thränen auspreßt, kann mir oft sehr lächerlich vorkommen, ohne daß ich Jenem darum zu verstehen gebe, mit seinem Schmerze sei es nur Scherz. Für die Bergleute, die in Wieliczka arbeiten, sind die Sterne nicht geschaffen, so wie diese meine Dose für Keinen da ist, der sie nicht gesehen, oder wie Sie jetzt thun, Herr Präsident, daraus geschnupft hat. Mit dem Wunder hat es seine ähnliche Bewandniß. Das Wunder ist etwas Zwiefaches: eine verborgene Erkenntniß und ein unerklärtes Gefühl: Geist und Herz muß an ihm Nahrung haben. So lange mir der Schlüssel des Geheimnisses fehlt, werd' ich »Der Mensch ist das Maß aller Dinge!« — sagte eine Figur, deren sonderbarer Aufzug mit der Achtung contrastirte, die man ihr allgemein bewies, der kleine Mann trug sich in seinen Kleidern durchaus nach dem Schnitte einer längst vergessenen Mode, nur sein graues Haar flatterte unter dem dreieckigen Hute, den er bald lüftete, bald wieder aufsetzte, ohne Zwang in langen Locken, deren natürliche Kräuselung sich noch nicht ganz verloren hatte. Seine Mienen sprachen Jugendmuth und eine Begeisterung aus, die er auf das Lebhafteste mit einem starken, goldknöpfigen Bambusrohre accompagnirte. Schnell fuhr er fort: "Wir müssen die Welt in unserer Brust tragen. Der Schmerz, der einem Andern Thränen auspreßt, kann mir oft sehr lächerlich vorkommen, ohne daß ich Jenem darum zu verstehen gebe, mit seinem Schmerze sei es nur Scherz. Für die Bergleute, die in Wieliczka arbeiten, sind die Sterne nicht geschaffen, so wie diese meine Dose für Keinen da ist, der sie nicht gesehen, oder wie Sie jetzt thun, Herr Präsident, daraus geschnupft hat. Mit dem Wunder hat es seine ähnliche Bewandniß. Das Wunder ist etwas Zwiefaches: eine verborgene Erkenntniß und ein unerklärtes Gefühl: Geist und Herz muß an ihm Nahrung haben. So lange mir der Schlüssel des Geheimnisses fehlt, werd’ ich <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0308" n="295"/> <p>»Der Mensch ist das Maß aller Dinge!« — sagte eine Figur, deren sonderbarer Aufzug mit der Achtung contrastirte, die man ihr allgemein bewies, der kleine Mann trug sich in seinen Kleidern durchaus nach dem Schnitte einer längst vergessenen Mode, nur sein graues Haar flatterte unter dem dreieckigen Hute, den er bald lüftete, bald wieder aufsetzte, ohne Zwang in langen Locken, deren natürliche Kräuselung sich noch nicht ganz verloren hatte. Seine Mienen sprachen Jugendmuth und eine Begeisterung aus, die er auf das Lebhafteste mit einem starken, goldknöpfigen Bambusrohre accompagnirte. Schnell fuhr er fort: "Wir müssen die Welt in unserer Brust tragen. Der Schmerz, der einem Andern Thränen auspreßt, kann mir oft sehr lächerlich vorkommen, ohne daß ich Jenem darum zu verstehen gebe, mit seinem Schmerze sei es nur Scherz. Für die Bergleute, die in Wieliczka arbeiten, sind die Sterne nicht geschaffen, so wie diese meine Dose für Keinen da ist, der sie nicht gesehen, oder wie Sie jetzt thun, Herr Präsident, daraus geschnupft hat. Mit dem Wunder hat es seine ähnliche Bewandniß. Das Wunder ist etwas Zwiefaches: eine verborgene Erkenntniß und ein unerklärtes Gefühl: Geist und Herz muß an ihm Nahrung haben. So lange mir der Schlüssel des Geheimnisses fehlt, werd’ ich </p> </div> </body> </text> </TEI> [295/0308]
»Der Mensch ist das Maß aller Dinge!« — sagte eine Figur, deren sonderbarer Aufzug mit der Achtung contrastirte, die man ihr allgemein bewies, der kleine Mann trug sich in seinen Kleidern durchaus nach dem Schnitte einer längst vergessenen Mode, nur sein graues Haar flatterte unter dem dreieckigen Hute, den er bald lüftete, bald wieder aufsetzte, ohne Zwang in langen Locken, deren natürliche Kräuselung sich noch nicht ganz verloren hatte. Seine Mienen sprachen Jugendmuth und eine Begeisterung aus, die er auf das Lebhafteste mit einem starken, goldknöpfigen Bambusrohre accompagnirte. Schnell fuhr er fort: "Wir müssen die Welt in unserer Brust tragen. Der Schmerz, der einem Andern Thränen auspreßt, kann mir oft sehr lächerlich vorkommen, ohne daß ich Jenem darum zu verstehen gebe, mit seinem Schmerze sei es nur Scherz. Für die Bergleute, die in Wieliczka arbeiten, sind die Sterne nicht geschaffen, so wie diese meine Dose für Keinen da ist, der sie nicht gesehen, oder wie Sie jetzt thun, Herr Präsident, daraus geschnupft hat. Mit dem Wunder hat es seine ähnliche Bewandniß. Das Wunder ist etwas Zwiefaches: eine verborgene Erkenntniß und ein unerklärtes Gefühl: Geist und Herz muß an ihm Nahrung haben. So lange mir der Schlüssel des Geheimnisses fehlt, werd’ ich
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Zitationshilfe: | [Gutzkow, Karl]: Briefe eines Narren an eine Närrin. Hamburg, 1832, S. 295. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_narren_1832/308>, abgerufen am 16.02.2025. |