[Gutzkow, Karl]: Briefe eines Narren an eine Närrin. Hamburg, 1832.des Regenten wurden in die thörichtsten Dinge gesetzt, so daß es kein Wunder nahm, wenn gerade die wohlerzogensten Kaiser eine tyrannische Herrschaft führten. Man kann nicht begreifen, wie Nero ein solches Ungeheuer werden konnte, da er doch die herrlichste Erziehung unter der Leitung eines Seneca genoß? Aber man vergißt, daß Seneca nächst seinem Schüler der eitelste Geck seiner Zeit war, der seinen Zögling glauben machte, durch wohlgestellte Redeformen, durch die Affectation moralischer Grundsätze lasse sich das Ruder des Staates am Weisesten lenken. Man lese Tacitus, und achte auf dies bittre Lächeln der Ironie, wenn er von dem gepriesenen Declamator und Stoiker Seneca spricht! Die Staatsphilosophen haben sich nie verläugnet. Statuen, Münzen, Gemälde haben die Conservatoren nach Neapel und von dort die archäologischen Agenten nach allen Gegenden der Welt von hier weggeführt, die Todtenschädel will Niemand. Diese hohe Gestalt da mit der zerbrochenen Rippe ist vielleicht mein Bruder, den die wüthenden Rabbiner bei der Zerstörung Jerusalems so gezeichnet haben. Er eilte in seine Heimath und kam durch Pompeji, um uns drüben in Herculanum zu begrüßen: da hat ihn der Vesuv vielleicht hier überrascht. Dort liegt das Skelett eines Kin- des Regenten wurden in die thörichtsten Dinge gesetzt, so daß es kein Wunder nahm, wenn gerade die wohlerzogensten Kaiser eine tyrannische Herrschaft führten. Man kann nicht begreifen, wie Nero ein solches Ungeheuer werden konnte, da er doch die herrlichste Erziehung unter der Leitung eines Seneca genoß? Aber man vergißt, daß Seneca nächst seinem Schüler der eitelste Geck seiner Zeit war, der seinen Zögling glauben machte, durch wohlgestellte Redeformen, durch die Affectation moralischer Grundsätze lasse sich das Ruder des Staates am Weisesten lenken. Man lese Tacitus, und achte auf dies bittre Lächeln der Ironie, wenn er von dem gepriesenen Declamator und Stoiker Seneca spricht! Die Staatsphilosophen haben sich nie verläugnet. Statuen, Münzen, Gemälde haben die Conservatoren nach Neapel und von dort die archäologischen Agenten nach allen Gegenden der Welt von hier weggeführt, die Todtenschädel will Niemand. Diese hohe Gestalt da mit der zerbrochenen Rippe ist vielleicht mein Bruder, den die wüthenden Rabbiner bei der Zerstörung Jerusalems so gezeichnet haben. Er eilte in seine Heimath und kam durch Pompeji, um uns drüben in Herculanum zu begrüßen: da hat ihn der Vesuv vielleicht hier überrascht. Dort liegt das Skelett eines Kin- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0290" n="277"/> des Regenten wurden in die thörichtsten Dinge gesetzt, so daß es kein Wunder nahm, wenn gerade die wohlerzogensten Kaiser eine tyrannische Herrschaft führten. Man kann nicht begreifen, wie Nero ein solches Ungeheuer werden konnte, da er doch die herrlichste Erziehung unter der Leitung eines Seneca genoß? Aber man vergißt, daß Seneca nächst seinem Schüler der eitelste Geck seiner Zeit war, der seinen Zögling glauben machte, durch wohlgestellte Redeformen, durch die Affectation moralischer Grundsätze lasse sich das Ruder des Staates am Weisesten lenken. Man lese Tacitus, und achte auf dies bittre Lächeln der Ironie, wenn er von dem gepriesenen Declamator und Stoiker Seneca spricht! Die Staatsphilosophen haben sich nie verläugnet.</p> <p>Statuen, Münzen, Gemälde haben die Conservatoren nach Neapel und von dort die archäologischen Agenten nach allen Gegenden der Welt von hier weggeführt, die Todtenschädel will Niemand.</p> <p>Diese hohe Gestalt da mit der zerbrochenen Rippe ist vielleicht mein Bruder, den die wüthenden Rabbiner bei der Zerstörung Jerusalems so gezeichnet haben. Er eilte in seine Heimath und kam durch Pompeji, um uns drüben in Herculanum zu begrüßen: da hat ihn der Vesuv vielleicht hier überrascht. Dort liegt das Skelett eines Kin- </p> </div> </body> </text> </TEI> [277/0290]
des Regenten wurden in die thörichtsten Dinge gesetzt, so daß es kein Wunder nahm, wenn gerade die wohlerzogensten Kaiser eine tyrannische Herrschaft führten. Man kann nicht begreifen, wie Nero ein solches Ungeheuer werden konnte, da er doch die herrlichste Erziehung unter der Leitung eines Seneca genoß? Aber man vergißt, daß Seneca nächst seinem Schüler der eitelste Geck seiner Zeit war, der seinen Zögling glauben machte, durch wohlgestellte Redeformen, durch die Affectation moralischer Grundsätze lasse sich das Ruder des Staates am Weisesten lenken. Man lese Tacitus, und achte auf dies bittre Lächeln der Ironie, wenn er von dem gepriesenen Declamator und Stoiker Seneca spricht! Die Staatsphilosophen haben sich nie verläugnet.
Statuen, Münzen, Gemälde haben die Conservatoren nach Neapel und von dort die archäologischen Agenten nach allen Gegenden der Welt von hier weggeführt, die Todtenschädel will Niemand.
Diese hohe Gestalt da mit der zerbrochenen Rippe ist vielleicht mein Bruder, den die wüthenden Rabbiner bei der Zerstörung Jerusalems so gezeichnet haben. Er eilte in seine Heimath und kam durch Pompeji, um uns drüben in Herculanum zu begrüßen: da hat ihn der Vesuv vielleicht hier überrascht. Dort liegt das Skelett eines Kin-
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