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[Gutzkow, Karl]: Briefe eines Narren an eine Närrin. Hamburg, 1832.

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ziehen. Ich glich einer Blume, aber gedörrte, gelbe Blätter machten meine Blüthenkapsel. Ich konnte nicht einmal meine eigne noch verschlossene Herrlichkeit betrachten, nur ahnen. Da brach endlich die lästige, morsche Hülle, und die verschämte Gluth meiner entfalteten Pracht durfte sich frei in den flimmernden Wellen des Lichtes baden. Die Vorurtheile meiner Zeitgenossen, die ihnen anerzogene Bildung erfüllten mein Herz, das nur für das Wohl der Menschheit schlug, mit tiefster Wehmuth. Vergebens rief [verlorenes Material] in die Salons meine ernsten Warnungen; noch war sie aber zu schwach, das Geräusch dreist ausgesprochener Lügen zu übertäuben. Darum trat ich an die Wiege des Unmündigen. Aber auch hier mußt' ich erst die geschwätzigen Ammen mit ihren Mährchen und albernen Erfindungen vertreiben, eh' ich die bedrohte Unschuld in die Einsamkeit der abgelegenen Natur retten konnte. Das süße Lallen der Kleinen flößte in die Empfindungen meines Herzens die innigste Wärme. Ich glaubte, in einem Paradiese zu leben, in dem die Schlange der Verführung nicht wäre, aber ich stand nur wie eine Cyane unter reifen, überreifen Aehren. Ich glaubte, wie der göttliche Gesandte von der Höhe Nebo in ein gelobtes Land zu sehen, wo nur Milch und Honig flösse, und es war Blut, das die Schar meines

ziehen. Ich glich einer Blume, aber gedörrte, gelbe Blätter machten meine Blüthenkapsel. Ich konnte nicht einmal meine eigne noch verschlossene Herrlichkeit betrachten, nur ahnen. Da brach endlich die lästige, morsche Hülle, und die verschämte Gluth meiner entfalteten Pracht durfte sich frei in den flimmernden Wellen des Lichtes baden. Die Vorurtheile meiner Zeitgenossen, die ihnen anerzogene Bildung erfüllten mein Herz, das nur für das Wohl der Menschheit schlug, mit tiefster Wehmuth. Vergebens rief [verlorenes Material] in die Salons meine ernsten Warnungen; noch war sie aber zu schwach, das Geräusch dreist ausgesprochener Lügen zu übertäuben. Darum trat ich an die Wiege des Unmündigen. Aber auch hier mußt’ ich erst die geschwätzigen Ammen mit ihren Mährchen und albernen Erfindungen vertreiben, eh’ ich die bedrohte Unschuld in die Einsamkeit der abgelegenen Natur retten konnte. Das süße Lallen der Kleinen flößte in die Empfindungen meines Herzens die innigste Wärme. Ich glaubte, in einem Paradiese zu leben, in dem die Schlange der Verführung nicht wäre, aber ich stand nur wie eine Cyane unter reifen, überreifen Aehren. Ich glaubte, wie der göttliche Gesandte von der Höhe Nebo in ein gelobtes Land zu sehen, wo nur Milch und Honig flösse, und es war Blut, das die Schar meines

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[226/0239] ziehen. Ich glich einer Blume, aber gedörrte, gelbe Blätter machten meine Blüthenkapsel. Ich konnte nicht einmal meine eigne noch verschlossene Herrlichkeit betrachten, nur ahnen. Da brach endlich die lästige, morsche Hülle, und die verschämte Gluth meiner entfalteten Pracht durfte sich frei in den flimmernden Wellen des Lichtes baden. Die Vorurtheile meiner Zeitgenossen, die ihnen anerzogene Bildung erfüllten mein Herz, das nur für das Wohl der Menschheit schlug, mit tiefster Wehmuth. Vergebens rief _ in die Salons meine ernsten Warnungen; noch war sie aber zu schwach, das Geräusch dreist ausgesprochener Lügen zu übertäuben. Darum trat ich an die Wiege des Unmündigen. Aber auch hier mußt’ ich erst die geschwätzigen Ammen mit ihren Mährchen und albernen Erfindungen vertreiben, eh’ ich die bedrohte Unschuld in die Einsamkeit der abgelegenen Natur retten konnte. Das süße Lallen der Kleinen flößte in die Empfindungen meines Herzens die innigste Wärme. Ich glaubte, in einem Paradiese zu leben, in dem die Schlange der Verführung nicht wäre, aber ich stand nur wie eine Cyane unter reifen, überreifen Aehren. Ich glaubte, wie der göttliche Gesandte von der Höhe Nebo in ein gelobtes Land zu sehen, wo nur Milch und Honig flösse, und es war Blut, das die Schar meines

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Zitationshilfe: [Gutzkow, Karl]: Briefe eines Narren an eine Närrin. Hamburg, 1832, S. 226. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_narren_1832/239>, abgerufen am 23.11.2024.