[Gutzkow, Karl]: Briefe eines Narren an eine Närrin. Hamburg, 1832.das Opfer eines unerbittlichen Schicksals zu werden! Wenn das Ungewitter in einem Walde wüthet, so mögen die alten, hundertjährigen Stämme sinken; denn sie haben Sonnenschein genug gesehen, Früchte genug getragen; aber wenn schon das erste Hälmchen, die erste Knospe vom Sturme geknickt wird, ach! dann weint der Menschenfreund über die Hinfälligkeit dieses Lebens heiße Thränen. Ja! Du Ceder auf Libanon, Du Veilchen am Bache, lasse den Strom Deiner Thränen rinnen, sie schmücken Dich wie köstliches Geschmeide! Du befürchtest vielleicht, ich hätte über meine politischen Studien die Gesetze der Homiletik vergessen? Ich weiß noch gar wohl aus dem Cursus, den ich in Jena bei Schott in der Theorie der Beredsamkeit gemacht habe, daß nichts der Rede mehr Lebendigkeit gibt, als Einwürfe, die man sich selbst macht, und daß in keinem Schlusse die Hindeutung auf einen höhern Trost fehlen darf. Ich fuhr also fort: Doch, wollen wir murren gegen Gottes weise Fügung? Seine milde Vaterhand auch da, wo er uns prüfen und unsere Treue erforschen will, verkennen? Nein, meine Freunde. Es gibt ein höheres Dasein. Ja! wir werden uns wiedersehen, wenn einst die Stimme in die Gräber das Opfer eines unerbittlichen Schicksals zu werden! Wenn das Ungewitter in einem Walde wüthet, so mögen die alten, hundertjährigen Stämme sinken; denn sie haben Sonnenschein genug gesehen, Früchte genug getragen; aber wenn schon das erste Hälmchen, die erste Knospe vom Sturme geknickt wird, ach! dann weint der Menschenfreund über die Hinfälligkeit dieses Lebens heiße Thränen. Ja! Du Ceder auf Libanon, Du Veilchen am Bache, lasse den Strom Deiner Thränen rinnen, sie schmücken Dich wie köstliches Geschmeide! Du befürchtest vielleicht, ich hätte über meine politischen Studien die Gesetze der Homiletik vergessen? Ich weiß noch gar wohl aus dem Cursus, den ich in Jena bei Schott in der Theorie der Beredsamkeit gemacht habe, daß nichts der Rede mehr Lebendigkeit gibt, als Einwürfe, die man sich selbst macht, und daß in keinem Schlusse die Hindeutung auf einen höhern Trost fehlen darf. Ich fuhr also fort: Doch, wollen wir murren gegen Gottes weise Fügung? Seine milde Vaterhand auch da, wo er uns prüfen und unsere Treue erforschen will, verkennen? Nein, meine Freunde. Es gibt ein höheres Dasein. Ja! wir werden uns wiedersehen, wenn einst die Stimme in die Gräber <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0023" n="10"/> das Opfer eines unerbittlichen Schicksals zu werden! Wenn das Ungewitter in einem Walde wüthet, so mögen die alten, hundertjährigen Stämme sinken; denn sie haben Sonnenschein genug gesehen, Früchte genug getragen; aber wenn schon das erste Hälmchen, die erste Knospe vom Sturme geknickt wird, ach! dann weint der Menschenfreund über die Hinfälligkeit dieses Lebens heiße Thränen. Ja! <ref xml:id="TEXTDuCederaufLibanon" target="BrN3E.htm#ERLDuCederaufLibanon">Du Ceder auf Libanon</ref>, Du Veilchen am Bache, lasse den Strom Deiner Thränen rinnen, sie schmücken Dich wie köstliches Geschmeide!</p> <p>Du befürchtest vielleicht, ich hätte über meine politischen Studien die Gesetze der <ref xml:id="TEXTHomiletik" target="BrN3E.htm#ERLHomiletik">Homiletik</ref> vergessen? Ich weiß noch gar wohl <ref xml:id="TEXTausdemCursusBISgemachthabe" target="BrN3E.htm#ERLausdemCursusBISgemachthabe">aus dem Cursus, den ich in Jena bei Schott in der Theorie der Beredsamkeit gemacht habe</ref>, daß nichts der Rede mehr Lebendigkeit gibt, als Einwürfe, die man sich selbst macht, und daß in keinem Schlusse die Hindeutung auf einen höhern Trost fehlen darf. Ich fuhr also fort:</p> <p>Doch, wollen wir murren gegen Gottes weise Fügung? Seine milde Vaterhand auch da, wo er uns prüfen und unsere Treue erforschen will, verkennen? Nein, meine Freunde. Es gibt ein höheres Dasein. Ja! wir werden uns wiedersehen, wenn einst die Stimme in die Gräber </p> </div> </body> </text> </TEI> [10/0023]
das Opfer eines unerbittlichen Schicksals zu werden! Wenn das Ungewitter in einem Walde wüthet, so mögen die alten, hundertjährigen Stämme sinken; denn sie haben Sonnenschein genug gesehen, Früchte genug getragen; aber wenn schon das erste Hälmchen, die erste Knospe vom Sturme geknickt wird, ach! dann weint der Menschenfreund über die Hinfälligkeit dieses Lebens heiße Thränen. Ja! Du Ceder auf Libanon, Du Veilchen am Bache, lasse den Strom Deiner Thränen rinnen, sie schmücken Dich wie köstliches Geschmeide!
Du befürchtest vielleicht, ich hätte über meine politischen Studien die Gesetze der Homiletik vergessen? Ich weiß noch gar wohl aus dem Cursus, den ich in Jena bei Schott in der Theorie der Beredsamkeit gemacht habe, daß nichts der Rede mehr Lebendigkeit gibt, als Einwürfe, die man sich selbst macht, und daß in keinem Schlusse die Hindeutung auf einen höhern Trost fehlen darf. Ich fuhr also fort:
Doch, wollen wir murren gegen Gottes weise Fügung? Seine milde Vaterhand auch da, wo er uns prüfen und unsere Treue erforschen will, verkennen? Nein, meine Freunde. Es gibt ein höheres Dasein. Ja! wir werden uns wiedersehen, wenn einst die Stimme in die Gräber
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Zitationshilfe: | [Gutzkow, Karl]: Briefe eines Narren an eine Närrin. Hamburg, 1832, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_narren_1832/23>, abgerufen am 22.07.2024. |