[Gutzkow, Karl]: Briefe eines Narren an eine Närrin. Hamburg, 1832.Schwere als er im ersten Augenblicke seines Sturzes gehabt hätte. Ich zweifle sehr, ob Du ein Recht hast, Dich so bestimmt gegen alle Mode zu erklären. Bald trägst Du Dich nach antiker, bald nach orientalischer Sitte, trägst abwechselnd einen spanischen Mantel mit Barett und fliegender Feder, dann wohl wieder einen Reifrock, Tituskopf und Fächer. So bist Du, ohne es zu wollen, eine Sklavin der Mode, nur daß Du sie nicht auf die Putzläden der Galanteriehändler, sondern auf die Garderobe des Theatercostümiers begründest. Ich trage meine Kleider und meine Meinungen immer nach dem neuesten Schnitt. Denn je länger ich Nein sage, desto öfter werd' ich künftig Ja sagen müssen. Je mehr ich mir meine Anhänglichkeit an die alte Sitte gestände, desto schwerer wird mir die Annahme der neuen werden. Ich wohne schon lange nicht mehr im ersten oder zweiten Stockwerk meines Hauses, sondern auf dem Dache, und werde mich, wenn einst der Sturm losbricht, wohl hüten, noch hinunter zu steigen und meine Habseligkeiten zu holen. Du hast mir einen Nachen gesandt, um mit mir eine neue Welt zu entdecken. Aber mein fröhlicher Ton muß Dich wohl belehren, daß ich nicht zu den Mißvergnügten gehöre; ich bleibe Schwere als er im ersten Augenblicke seines Sturzes gehabt hätte. Ich zweifle sehr, ob Du ein Recht hast, Dich so bestimmt gegen alle Mode zu erklären. Bald trägst Du Dich nach antiker, bald nach orientalischer Sitte, trägst abwechselnd einen spanischen Mantel mit Barett und fliegender Feder, dann wohl wieder einen Reifrock, Tituskopf und Fächer. So bist Du, ohne es zu wollen, eine Sklavin der Mode, nur daß Du sie nicht auf die Putzläden der Galanteriehändler, sondern auf die Garderobe des Theatercostümiers begründest. Ich trage meine Kleider und meine Meinungen immer nach dem neuesten Schnitt. Denn je länger ich Nein sage, desto öfter werd’ ich künftig Ja sagen müssen. Je mehr ich mir meine Anhänglichkeit an die alte Sitte gestände, desto schwerer wird mir die Annahme der neuen werden. Ich wohne schon lange nicht mehr im ersten oder zweiten Stockwerk meines Hauses, sondern auf dem Dache, und werde mich, wenn einst der Sturm losbricht, wohl hüten, noch hinunter zu steigen und meine Habseligkeiten zu holen. Du hast mir einen Nachen gesandt, um mit mir eine neue Welt zu entdecken. Aber mein fröhlicher Ton muß Dich wohl belehren, daß ich nicht zu den Mißvergnügten gehöre; ich bleibe <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0019" n="6"/> Schwere als er im ersten Augenblicke seines Sturzes gehabt hätte.</p> <p>Ich zweifle sehr, ob Du ein Recht hast, Dich so bestimmt gegen alle Mode zu erklären. Bald trägst Du Dich nach antiker, bald nach orientalischer Sitte, trägst abwechselnd einen spanischen Mantel mit Barett und fliegender Feder, dann wohl wieder einen Reifrock, <ref xml:id="TEXTTituskopf" target="BrN3E.htm#ERLTituskopf">Tituskopf</ref> und Fächer. So bist Du, ohne es zu wollen, eine Sklavin der Mode, nur daß Du sie nicht auf die Putzläden der Galanteriehändler, sondern auf die Garderobe des Theatercostümiers begründest. Ich trage meine Kleider und meine Meinungen immer nach dem neuesten Schnitt. Denn je länger ich <hi rendition="#g">Nein</hi> sage, desto öfter werd’ ich künftig <hi rendition="#g">Ja</hi> sagen müssen. Je mehr ich mir meine Anhänglichkeit an die alte Sitte gestände, desto schwerer wird mir die Annahme der neuen werden. Ich wohne schon lange nicht mehr im ersten oder zweiten Stockwerk meines Hauses, sondern auf dem Dache, und werde mich, wenn einst der Sturm losbricht, wohl hüten, noch hinunter zu steigen und meine Habseligkeiten zu holen.</p> <p>Du hast mir einen Nachen gesandt, um mit mir eine neue Welt zu entdecken. Aber mein fröhlicher Ton muß Dich wohl belehren, daß ich nicht zu den Mißvergnügten gehöre; <ref xml:id="TEXTichbleibegernBISNarren" target="BrN3E.htm#ERLichbleibegernBISNarren">ich bleibe </ref></p> </div> </body> </text> </TEI> [6/0019]
Schwere als er im ersten Augenblicke seines Sturzes gehabt hätte.
Ich zweifle sehr, ob Du ein Recht hast, Dich so bestimmt gegen alle Mode zu erklären. Bald trägst Du Dich nach antiker, bald nach orientalischer Sitte, trägst abwechselnd einen spanischen Mantel mit Barett und fliegender Feder, dann wohl wieder einen Reifrock, Tituskopf und Fächer. So bist Du, ohne es zu wollen, eine Sklavin der Mode, nur daß Du sie nicht auf die Putzläden der Galanteriehändler, sondern auf die Garderobe des Theatercostümiers begründest. Ich trage meine Kleider und meine Meinungen immer nach dem neuesten Schnitt. Denn je länger ich Nein sage, desto öfter werd’ ich künftig Ja sagen müssen. Je mehr ich mir meine Anhänglichkeit an die alte Sitte gestände, desto schwerer wird mir die Annahme der neuen werden. Ich wohne schon lange nicht mehr im ersten oder zweiten Stockwerk meines Hauses, sondern auf dem Dache, und werde mich, wenn einst der Sturm losbricht, wohl hüten, noch hinunter zu steigen und meine Habseligkeiten zu holen.
Du hast mir einen Nachen gesandt, um mit mir eine neue Welt zu entdecken. Aber mein fröhlicher Ton muß Dich wohl belehren, daß ich nicht zu den Mißvergnügten gehöre; ich bleibe
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Zitationshilfe: | [Gutzkow, Karl]: Briefe eines Narren an eine Närrin. Hamburg, 1832, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_narren_1832/19>, abgerufen am 16.02.2025. |